Tatort München: Die Sprache des Feindes

Strauchelnd auf dem Weg zum Erfolg: Die Geschichte eines an die Bosse angepassten Arbeiterfunktionärs illustriert angenehm doppelbödig die Zerrissenheit der Gewerkschaften.

Im Kreuzverhör: Arbeitnehmervertreter Leo Greedinger (gespielt von Thomas Sarbacher). Bild: br/hager moss film/heike ulrich

BERLIN taz | Sie nennen ihn den Gewerkschafts-Obama. Doch „Yes, we can“, das heißt bei Leo Greedinger (Thomas Sarbacher), diesem Funktionär ganz neuen Zuschnitts, eben auch: „Wir können nur mit der Industrie gemeinsam siegen.“ Mit Blaumann und Schnauzbart hat er nichts mehr am Hut, er trägt er Smoking und Lackschuhe. Gerne geht er auch mal in die Oper. Außerdem versteht es der Arbeitnehmervertreter, bei Verhandlungen in den Vorstandsetagen der Unternehmen die Sprache des Feindes zu sprechen. Gerade hat er mit den Bonzen der Meyssen AG Aufträge für drei Atomkraftwerke in Korea ausgehandelt – angeblich auch deshalb, weil so 5.000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden können. Die Energiemanager sind jedenfalls dermaßen begeistert von Greedingers Verhandlungsgeschick, dass sie ihm anbieten, die Seiten zu wechseln. Der Gewerkschafter muss also aufpassen; sein Selbstverständnis läuft gefährlich den Vorstellungen zuwider, die sich die alten Proletarier von ihrem Interessenvertreter machen. Dass Greedinger nun mit dem Mord an einem schwulen Investigativjournalisten in Zusammenhang gebracht wird, könnte ihn auf seinem Erfolgskurs endgültig straucheln lassen. Wie heißt es an einer Stelle dieses Münchners „Tatorts“ aus dem Politmilieu: „Eine Schwuchtel, das macht die Basis nicht mit.“ Ob der Hauptverdächtige nun tatsächlich schwul oder bisexuell ist, spielt allerdings erstmal keine Rolle. Im Mittelpunkt steht zwar eine Video-Aufzeichnung, die ihn im Bett des ermordeten Journalisten zeigt, doch wird dieses Filmdokument von den Machern dieses „Tatorts“ (Drehbuch: Christian Jeltsch, Regie Peter Fratzscher) nicht spekulativ ausgeweidet. Statt durchs Video die sexuelle Orientierung des verdächtigen Genossen in den Vordergrund zu rücken, wird es dazu genutzt, das riskante Kalkül des Aufsteigers aufzuzeigen: Täuschung oder Selbsttäuschung? Machtmissbrauch oder Diplomatie für die gute Sache? Dieser Krimi besitzt eine angenehme Art von Doppelbödigkeit; mit voreiligen Schlussfolgerungen sollte man sich zurückhalten. Die beiden Münchner Kriminalhauptkommissare haben jedenfalls eine geteilte Meinung über ihren Hauptverdächtigen. Während Leitmayr (Udo Wachtveitl) auf kritische Distanz geht, wird Batic (Miroslav Nemec) immer mehr persönlich in den Fall hineingezogen. Kein Wunder, Greedinger ist ein alter Jugendfreund, dessen Familie den kroatischstämmigen Ermittler einst während seiner ersten schwierigen Jahre in München zur Seite stand. Auch Greedinger senior, ebenfalls Gewerkschafter, kennt Batic deshalb gut. Doch über seinen Sohn hat der Alte nichts Gutes mehr zu sagen. Früher demonstrierte er mit dem Kleinen Seit an Seit mit Plakaten, die den Slogan „Samstag gehört Vati mir“ trugen. Heute hat Vati nur noch Verachtung für den Aufsteiger übrig: ein grausames Bild für die Zerrissenheit der Gewerkschaften. Ein einender Obama ist nun mal in Wirklichkeit nicht in Sicht. Tatort: Um jeden Preis, So 20.15 Uhr, ARD

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