Merkels Rede vor dem US-Kongress: Endlich wieder lieb haben

Als erste deutsche Kanzlerin wird Angela Merkel am Dienstag vor den Häusern des US-Kongresses reden. Eine Ehre, die sonst nur mit Gegenleistung zu haben ist.

"Piep, piep, piep..." Bild: ap

Am fünften Oktober wurde Geschichte geschrieben. Genauer: umgeschrieben. Bei einer Pressekonferenz an jenem Montag verkündete der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg, Bundeskanzlerin Angela Merkel werde am 3. November in Washington vor beiden Kammern des US-Kongresses eine Rede halten, als zweite deutsche Kanzlerin nach Konrad Adenauer im Jahr 1957. Alle haben das übernommen, von dpa bis "Tagesschau". Aber es ist zu viel der Ehre - für Adenauer. Der "Alte" war zwar im Mai 1957 wieder einmal in Washington, redete dort auch vor Kongressmitgliedern - aber vor einer gemeinsamen Sitzung beider Kammern hat er niemals sprechen dürfen. Das blieb bislang den drei Bundespräsidenten Theodor Heuss (1958), Karl Carstens (1983) und Richard von Weizsäcker (1992) vorbehalten. Merkel ist nicht die erste Kanzlerin seit Adenauer - sie ist einfach die erste.

Warum also denkt man sich so etwas aus? Der Rheinländer Adenauer und die Ossi-Kanzlerin Merkel. Der eine trieb die Spaltung Deutschlands durch Westanbindung der Bundesrepublik voran, die andere wurde - auch wegen Adenauer - im geteilten Deutschland auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs sozialisiert. Auf welche Kontinuität soll der Lapsus hinweisen?

Es gibt eine. Sie ist mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten mehr als deutlich geworden. Die Deutschen wollen die USA als Führungsmacht. Ein Jahrzehnt lang haben sie sich von Washington entfremdet, hat ein Präsident George W. Bush es unmöglich gemacht, begeistert die transatlantische Freundschaft zu feiern. Kurz träumte Deutschland unter Rot-Grün von einer zivilen europäischen Gegenmacht mit Deutschland und Frankreich als Motor - die CDU wollte das ohnehin nie, und das im Irakkrieg gespaltene Europa beerdigte die Idee rasch. Geblieben ist Unsicherheit. Die multipolare Welt, die noch Anfang der Neunziger viele herbeisehnten, um die USA als einzige verbliebene Supermacht in die Schranken zu weisen, ist längst da - und sie ängstigt die Deutschen. Wer zwischen Russland, China und den USA die Wahl hat, weiß wieder, an wessen Seite "wir" stehen wollen. Das Tollste an Obama ist, dass wir die USA endlich wieder lieb haben dürfen.

Wenn Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, einen ausländischen Staats- oder Regierungschef einlädt, vor beiden Häusern des Kongresses zu sprechen, dann ist das zweifellos eine Ehre - aber eine mit Preisschild. Einhundertvier Mal hat es solche Adressen gegeben, seit der britische Premier Winston Churchill im Dezember 1941 den Anfang machte. Es dauerte nicht lange, bis die USA herausgefunden hatten, dass diese Einladung eine gute Chance ist, Politik zu machen. Eine Rede vor dem Kongress bedeutet für jeden ausländischen Politiker die größtmögliche Bestätigung der eigenen Wichtigkeit. Das kostet.

Selbst Adenauer konnte 1957 die Bilder aus Washington nutzen, um sich vor der anstehenden Wiederwahl als Staatsmann und Stabilitätsgarant darzustellen - er gewann mit absoluter Mehrheit gegen die SPD unter Erich Ollenhauer. Im Gegenzug konnte Washington im Kalten Krieg von Adenauer-Deutschland fordern, was immer es wollte.

Sollte Merkel das aber genauso ergehen? Was nutzt der Kanzlerin die Ehre der Rede in Washington? Geht es nur darum, wie der Spiegel mutmaßt, Koalitionspartner Westerwelle zu zeigen, wer - auch außenpolitisch - Richtlinienkompetenz beansprucht? Oder kann Merkel tatsächlich irgendetwas durchsetzen? Schon fordert BDI-Chef Hans-Peter Keitel, Merkel solle sich gegen befürchteten Protektionismus Washingtons stark machen. Auch für Klimaschutz soll sie sich einsetzen, sagen Keitel und andere, immerhin sind es nur noch gut vier Wochen bis zum Klimagipfel in Kopenhagen.

Das wird sie alles schön bleiben lassen. Denn Merkel kann überhaupt kein Interesse daran haben, dass die Liste der Gefälligkeiten, die Deutschland den USA schuldet, länger wird. Bislang hat die Bundesregierung Präsident Obamas Wünsche, etwa nach deutlicher Ausweitung der Truppenstärke in Afghanistan, kalt abblitzen lassen. Für das deutsche Standing in Washington bedeutet das: kurz oberhalb der Wahrnehmungsgrenze. Merkel wäre zwar stolz darauf, das zu ändern. Anzubieten hat sie freilich nichts - oder besser: fast nichts.

Denn Merkel hat etwas, das andere nicht haben: sich selbst und ihre eigene Biografie. Der Mauerfall-Jahrestag in Washington ist ein idealer Termin für sie: Bei beiden US-amerikanischen Parteien kommt es gut an, daran erinnert zu werden, im Kalten Krieg auf der Siegerseite gestanden zu haben. Bei den zigtausenden ehemals in der Bundesrepublik stationierten US-Soldaten erst recht.

Ein Kanzler mit westdeutscher Vergangenheit hätte an so einem Tag nur alte Dankbarkeits- und Unterwerfungsrituale wiederholen können. Merkel als Vertreterin der "friedlichen Revolutionäre" (auch wenn sie selbst nie dazugehörte) kann selbstbewusst mehr. Es gibt ein natürliches Interesse US-amerikanischer Politik, mit ihr gutzustehen. Ob das auf Dauer reicht, um zurückgeliebt zu werden, wird sich allerdings erst zeigen.

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