Die Krise der Berliner SPD: Abstiegskandidat Wowereit
Lange galt der Bürgermeister als Siegertyp. Doch in Umfragen verliert nicht nur die SPD dramatisch – und viele Genossen fragen sich, ob Klaus Wowereit Teil der Lösung oder Teil des Problems ist.
BERLIN taz | Von Hertha BSC spricht der ehemalige Fan Klaus Wowereit schon lange nicht mehr. Als Instinktmensch weiß der Regierende Bürgermeister, dass die Öffentlichkeit Siegertypen will und keine Verlierer. Doch nun steht der SPD-Politiker selbst auf einem Abstiegsplatz. Nur noch 0,6 Punkte hat er auf der Beliebtheitsskala der Berliner laut der jüngsten Forsa-Umfrage vom Wochenende erzielt. Erstmals liegen damit zwei Politiker vor dem ehemaligen Publikumsliebling: Innensenator Ehrhart Körting (SPD) mit 0,8 sowie Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) mit 0,7 Punkten.
Damit nicht genug. Auch die Berliner SPD befindet sich im freien Fall. Nur noch 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler würden den Sozialdemokraten die Stimme geben, wenn am Sonntag Abgeordnetenhauswahl wäre. Damit ist die SPD gleichauf mit den Grünen. Vorne liegt die CDU, über deren Werte Wowereit und Co. lange nur müde gelächelt hatten. Sie kommt auf 24 Prozent. Der SPD-Koalitionspartner Linke muss mit 16 Prozent ebenfalls Federn lassen, die FDP kommt auf acht Prozent.
Es steht also schlecht um die Sozialdemokraten und ihr ehemaliges Aushängeschild. Und es steht eine Frage im Raum: Ist Klaus Wowereit Teil der Lösung? Oder ist er, wie manche Berliner Genossen inzwischen meinen, Teil des Problems?
Noch mehr Pech für Wowereit: Der Regierende Bürgermeister muss sein Wunschprojekt, die neue Kunsthalle, bis mindestens 2012 auf Eis legen. Die SPD-Fraktion beschloss gegen den Willen des Regierungschefs, bis Ende 2011 nur Mittel für Wanderausstellungen mit zeitgenössischer Kunst freizugeben, sagte der SPD-Finanzexperte Stefan Zackenfels am Mittwoch. Danach soll entschieden werden, ob Berlin eine feste Kunsthalle braucht. "Das ist etwas anderes, als Wowereit wollte", sagte Zackenfels. Der Widerstand der SPD-Fraktion gegen das 30 Millionen teure Projekt kam nicht aus dem Nichts. Schon zu Beginn der Beratungen für den Doppelhaushalt 2010/2011 formierte sich Widerstand in der Fraktion. Wowereit hatte in den eigenen Reihen wenig Unterstützer gesucht. ROLA
Einer, der nichts mehr zu verlieren hat in der Berliner SPD, ist nach der jüngsten Umfrage aus der Deckung gekommen. "Die Berliner SPD muss höllisch aufpassen, dass sie die Probleme der Stadt wahrnehmbarer als bisher löst", sagt Peter Stadtmüller, vor kurzem als Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus in den Ruhestand gegangen. Der Vertrauensverlust sei nicht nur das Ergebnis des Bundestrends.
Tatsächlich ist die SPD in Berlin bei der Bundestagswahl am 27. September 14 Prozentpunkte unter dem Ergebnis der Wahl von 2005 geblieben. In keinem anderen Bundesland - mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt - sind die Sozialdemokraten derart abgestürzt. Für Stadtmüller hat das auch mit dem Regierenden Bürgermeister zu tun, dem immer wieder Amtsmüdigkeit nachgesagt wurde. Wowereit müsse sich nun umso stärker zu Berlin bekennen: "Die Hauptstadt ist seine Bühne. Er hat alle Chancen, Platz eins zurückzuerobern, aber bitte mit Butter bei die Fische."
Auch wenn keiner der derzeitigen Funktionsträger in der Landes-SPD Wowereit offen angehen will - mit seiner Kritik steht Stadtmüller nicht alleine. So manchem Genossen ist noch das Gipfeltreffen des Regierenden mit Bahnchef Rüdiger Grube in Erinnerung. Statt den Mehdorn-Nachfolger wegen des S-Bahn-Chaos zu Zugeständnissen zu zwingen, lobte Wowereit das Engagement des Konzerns am Standort Berlin. "Da hätte selbst Diepgen die Bahn vor sich hergetrieben", ärgerte sich ein Genosse auf dem letzten SPD-Parteitag.
Wowereit und sein Engagement für Berlin - das Reizthema ist seit der Wahl nicht entschärft worden, im Gegenteil: Den Drang des 56-Jährigen an die Bundesspitze der SPD sehen immer mehr Berliner mit Skepsis. Nur noch 42 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Wowereit der richtige Spitzenkandidat seiner Partei ist. Im Westteil ist die Zahl derer, die mit Nein auf die Frage stimmen, mit 48 Prozent sogar größer als die der Wowi-Fans.
Nicht nur die SPD hat also ein Glaubwürdigkeitsproblem, auch Klaus Wowereit hat es. Das erklärt, warum die Schuldzuweisung des Berliner Landesvorstands an das Agenda-2010-Personal der Bundes-SPD um Frank-Walter Steinmeier nach der Wahl kaum Wirkung zeigte. Die Berlinerinnen und Berliner nehmen Wowereit nicht mehr alles ab.
Dass schnelle Besserung in Sicht ist, glaubt in der SPD kaum einer. Auch nicht Fritz Felgentreu. "Die Forsa-Umfrage", sagt der Vertreter der Parteirechten der taz, "ist ein ernstzunehmendes Warnzeichen." Von einer "insgesamt ungünstigen Zeit für die SPD" spricht Felgentreu, der zu den Kritikern der Anti-Steinmeier-Resolution des Landesvorstands gehört hatte.
Doch die Zeit kann noch ungünstiger werden, wenn sich Klaus Wowereit auf dem SPD-Bundesparteitag vom 13. bis 15. November in Dresden zur Wahl als stellvertretender Parteivorsitzender stellt. Von allen Kandidaten für den Bundesvorsitz hat der Berliner Regierende bei der Nominierung mit 61 Prozent das schlechteste bekommen. Dass das Ergebnis in Dresden noch schlechter ausfallen könnte, schließen selbst führende Genossen in Berlin nicht aus. Sogar ein Ergebnis mit einer "5" vorne wird für möglich gehalten. "Gewählt ist gewählt", lautet dazu der lakonische Kommentar eines engen Wowereit-Vertrauten.
Wie aber soll ein beschädigter Klaus Wowereit die Berliner SPD zur Abgeordnetenhauswahl 2011 führen? Selbst Linke und Grüne denken inzwischen darüber nach, mit eigenen Spitzenkandidaten anzutreten. Vom einstigen Siegertyp ist nicht mehr viel geblieben. Auch dazu hat Forsa eine Zahl: 14 Prozent der Wähler halten den Regierungsstil Klaus Wowereits inzwischen für ein Problem der Hauptstadt-SPD. Und 52 Prozent der Berliner gehen davon aus, dass die SPD nicht mehr stärkste Partei wird.
"Das Problem ist, die Wähler wissen nicht mehr, wofür die Berliner SPD steht", sagte Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler kürzlich in der BZ. "Dazu kommt, dass das Gesamtansehen des Senats nicht so doll ist. Das bekommt nun auch der Regierende Bürgermeister zu spüren."
Bleibt als Hoffnung vielleicht doch noch die Hertha? Wenn die Berliner am Ende der Bundesligasaison nicht absteigen, könnte sich Klaus Wowereit womöglich wieder mit blau-weißem Schal zeigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“