Ortstermin in Dubai: Die Baustellen stehen still
Die staatseigene Investmentgesellschaft Dubai World ist pleite. 300.000 Arbeiter, vor allem aus Südasien, haben bei Dubais Boom ab den 90ern mitgebaut. Jetzt werden sie in Scharen arbeitslos.
Gowri Nahali steht vor dem Bauzaun. Ein etwa 250 Meter hohes Baugerippe ragt vor ihm empor – was wohl neben den vielen anderen Gerippen des neuen Stadtzentrum Downtown Dubai eins der weiteren mehreren Dutzend gläsernen Bürotürme werden soll, deren Weiterbau nun wegen der Krise zunächst gestoppt ist.
"Seit knapp einer Woche dürfen wir nicht mehr auf die Baustelle", erzählt der 34-Jährige. Eines Morgens sei das Tor zu Arbeitsbeginn einfach nicht mehr geöffnet worden. "Keine Ankündigung, keine Erklärung, nichts." Nun steht er jeden Morgen hier, in der Hoffnung, dass er doch noch weiterarbeiten kann.
"Wenn wir hier in drei Wochen noch immer stehen, müssen wir Dubai verlassen und dürfen ein Jahr lang nicht mehr einreisen", erzählt er. Für ihn und seine Familie zu Hause im indischen Bundesstaat Kerala würde dies der finanzielle Ruin bedeuten. Eine andere Einkommensquelle gebe es bei seiner Familie nicht.
Zwei Wochen ist es her, dass bekannt gegeben wurde: Die staatseigene Investmentgesellschaft Dubai World ist pleite. Zu ihr gehören unter anderem der Hafenbetreiber DP World, die Beteiligungsgesellschaft Istitmar World und der Projektentwickler Nahkeel, der unter anderem für an Wahnsinn grenzende Großprojekte wie die Palmeninseln verantwortlich ist.
Am 25. November verfügte die Dubaier Regierung einen Zahlungsaufschub. Bloß die Ankündigung löste einen dramatischen Kurssturz aus. Vielen Anlegern gilt Dubai seitdem als brenzlig.
Dabei hatte die Wirtschaftkrise des kleinen Emirats am persischen Golf schon einige Zeit vorher begonnen. Seit der Lehman-Pleite im Herbst 2008 sind die Immobilienpreise auch in Dubai um mehr als die Hälfte gefallen, Kredite können nicht mehr beglichen werden, Bauvorhaben mussten gestoppt werden. Allein der Projektentwickler Nahkeel hat bereits mehr als 12.000 Beschäftigte entlassen. Davon betroffen sind vor allem die ArbeitsmigrantInnen.
Dabei verdankt Dubai seinen Aufschwung der vergangenen Jahrzehnte eben diesen ArbeitsmigrantInnen. Vor 20 Jahren bestand der größte Teil des heutigen Stadtgebiets noch aus Wüste. Anfang der 90er Jahre begann jedoch ein Bauboom, der weltweit seinesgleichen suchte. Über 200 Wolkenkratzer mit mehr als 150 Metern Höhe sind seitdem entstanden oder befinden sich noch im Bau, 20 mit über 300 Metern Höhe.
300.000 Arbeiter vor allem aus Indien, Bangladesh und Sri Lanka, die wie Nahali jeden Morgen in Bussen aus Sonapur eingekarrt wurden. Sonapar, was auf Hindi so viel heißt wie "Goldene Stadt" ist ein Viertel aus Hunderten von schäbigen Baracken mitten in der Wüste, rund eine Stunde von Dubais Innenstadt entfernt.
"Bevor ich kam, erzählte man mir, in Dubai erwarten mich paradiesische Zustände", sagt Nahali. "Als ich dann einige Zeit hier war, fand ich mich in der Hölle wieder". Trotz praller Sonne und Temperaturen von bis zu 50 Grad hätten er und seine Kollegen bis zu 14 Stunden am Tag geschuftet. Nicht wenige seien dem Hitzetod erlegen.
Während fast jeder dritte einheimische Emirati ein Dollar-Millionär ist und auch die "ArbeitsmigrantInnen" aus Europa oder Nordamerika in der Regel über ein sehr hohes Einkommen verfügen, bekommen die meisten Arbeiter aus Südasien weniger als 5 US-Dollar pro Arbeitstag. "Das ist noch immer viel im Vergleich zu meiner Heimat, wo es überhaupt keine Arbeitsplätze gibt", sagt Nahali.
Etwa zwei Drittel seines Lohnes habe er in den vergangenen Jahren nach Hause schicken und damit die Schulgebühr seiner beiden Kinder finanzieren können, erzählt er. Allein 2007 haben Arbeitsmigranten wie Nahali mehr als 27 Milliarden US-Dollar ihren Familien nach Indien geschickt. Im Bundesstaat Kerala trägt das in Dubai erwirtschaftete Geld zu 22 Prozent des Gesamteinkommens bei.
Doch das war vor der Krise. Inzwischen stehen viele Baustellen still. Nahali selbst weiß gar nicht, wie viele seiner Landsleute das Emirat in den vergangenen Monaten bereits verlassen mussten. Machten die ArbeitsmigrantInnen vor der Krise etwa 85 Prozent der Gesamtbevölkerung der insgesamt rund 1,5 Millionen großen Stadt aus, verlassen laut Zeitungsberichten derzeit täglich zwischen 1.000 bis 1.500 Arbeitsmigranten das Emirat.
Nahali berichtet von vielen seiner Arbeitskollegen, die zum muslimischen Opferfest nach Hause nach Kerala geflogen sind, und dort per SMS mitgeteilt bekamen, dass sie nicht mehr zurückzukommen brauchen. "Ich rechne jeden Moment mit einer ähnlichen Nachricht."
Auch Martha gehört zu denjenigen, die die Stadt verlassen müssen. Die 41-jährige Philippinin sitzt mit mehreren Tüten bepackt am Flughafen. Sie berichtet vom Ehepaar aus London, dem sie die vergangenen zwei Jahre als Hausmädchen gedient hat, in einem 200 Quadratmeter großem Luxuxappartement in einem Wohnkomplex im 36. Stock. Ihr Hausherr sei Vertreter einer großen internationalen Firma gewesen. Sie vermutet, dass auch er wie viele der "Expats" neben seiner regulären Arbeit mit Immobilien in Dubai spekuliert hat – und sich dabei wohl verspekulierte.
"Plötzlich ging alles sehr schnell", erzählt Martha. Innerhalb von wenigen Tagen hätten die beiden die Koffer gepackt, ihr ihren Reisepass ausgehändigt, der bei ihrer Anstellung einkassiert wurde, und seien abgereist. Ihr wurde mitgeteilt, doch mindestens zwei Mal die Woche in der Wohnung nach dem Rechten zu schauen und die Klimaanlage einzuschalten – damit es nicht so stickig werde.
Doch als bereits nach dem ersten Monat ihr Lohn nicht mehr auf ihr Konto landete und sie vor den Dubaier Behörden auch nicht mehr ihr Arbeitsverhältnis nachweisen konnte, muss nun auch sie ausreisen. Von ihren Arbeitgebern hat sie nichts mehr gehört. "Geflohen", vermutet sie. Denn wer in Dubai seine Schulden nicht begleichen kann, dem droht Gefängnisstrafe.
Sie fliegt nun zurück auf die Philippinen. Unglücklich wirkt sie nicht. Ihre Arbeit ist sie nun zwar los, bedauert sie. Aber immerhin werde sie zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder ihren Sohn und ihren Mann sehen. Die Wohnungsschlüssel hat sie behalten. Man könne ja nie wissen, ob sie dem Ehepaar nicht doch irgendwann begegnet. Vielleicht auch wieder in Dubai.
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