Politikverdrossenheit: Der Ost-West-Konflikt
Der Bremer Osten kämpft weiter um Lärmentlastung - und die Gegner in Bremens Parteien, Behörden und auf der anderen Seite der Weser.
Die Reifen surren. Immerzu. Beständig schwappt der Lärm der nahen Autobahn 1 herüber. Immer wieder schallt es dazu von einer der drei Eisenbahnlinien herüber, die Hemelingen umfangen. "Vor elf Uhr", sagt Karin Mundt, "lohnt es gar nicht, ins Bett zu gehen." Dann nimmt wenigstens der Fluglärm ab. Wer in den Süden startet, fliegt meist über Hemelingen. Wer in Bremenlandet, auch. Daran soll sich auch nichts ändern. Empfiehlt die Fluglärmkommission (FLK).
Karin Mundt könnte es sich einfach machen. Und wegziehen. Jetzt, da ihr Mann nicht mehr bei Mercedes arbeitet. Aber "aufgeben", sagt sie - das kommt für sie nicht in Frage. Nicht einmal im Sommer, wenn sie, "kein Fenster aufmachen kann". So wie sie denken viele hier im Osten.
Donnerstag Abend, Bürgerhaus Hemelingen. Der "Projektausschuss Lärm" des Stadtteilparlamentes tagt, es ist das erste Treffen, seit die FLK beschlossen hat, dass die Abflugrouten vom Flughafen bleiben sollen, wie sie sind. Und nicht schon früher, weiter im Westen der Stadt, ins Wesertal abbiegen. Was mehrere Gutachten als lärmschonend nahe gelegt, die Parlamentarier beschlossen haben. Was Hemelingen entlasten würde. Was die FLK in großer Mehrheit ablehnt. "Es gibt keinen triftigen Grund, die Abflugrouten zu verändern", sagt Ralf Wehrse, im Bauressort zuständig für Immissionsschutz.
Doch es geht schon lange nicht mehr nur um jene zu Chiffren mutierten, theoretischen Drehpunkte startender Flieger - über die hier alle mit großer Selbstverständlichkeit fachsimpeln. Es ist ein Streit des Bremer Ostens gegen den Westen, der Stadtteile links der Weser gegen jene rechts der Weser. Und es ist, sagt Karin Mundt, "ein Kampf gegen die Behörden", allen voran das Bauressort des Grünen Reinhard Loske. Das, sagt sie, "ist der große Gegner". Jüngst hat sein Ressort abgelehnt, ein Lärmmessgerät für Hemelingen zu finanzieren. "Alles endet bei Loske", sagt Mundt. Das Misstrauen gegen die Politik ist groß hier im alten Arbeiterviertel, wo 42.000 Menschen leben. "Man kann sich", sagt Mundt, "auf keine Partei mehr verlassen." Als am Donnerstag Arndt Mack, wie sie Sprecher der Hemelinger Bürgerinitiative Lückenloser Lärmschutz (BILL), von der "Bananenrepublik" Bremen redet, die "beseitigt" werden müsse, da ist der Beifall groß. "Die Zeit der netten Worte ist vorbei", sagt auch Melanie Kennard, SPD-Beiratssprecherin.
Der Kern dieser Bananenrepublik, das ist hier die FLK, in Hemelingen Synonym für bremischen "Filz" und den "Lobbyismus" des Westens. Vorsitzender der FLK ist Ingo Funck, SPD-Ortsamtsleiter von Obervieland, Interessensvertreter in eigener Sache, zugleich Sprachrohr einer Mehrheit von der anderen Weserseite. Wehrse nennt das Gremium "fachlich fundiert". "Es gibt andere Sichten als die der Hemelinger." Als die Grünen-Politikerin Maike Schäfer sagt, dass man "ernsthaft prüfen müsse", ob es in der FLK "Befangenheiten" gebe, erntet sie Protest. Das ist hier keine Frage mehr. "Gerechtigkeit", sagt Mundt, "kann es erst geben, wenn Funck zurück tritt." Von "Amtsmissbrauch" ist die Rede, von "Manipulation".
BILL fordert, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, doch so richtig Hoffnung hegt keiner in Hemelingen, auch Schäfer hält sich mit Zusagen zurück, ein CDU-Mann will zumindest "Werben". Ortsamtsleiter Ulrich Höft regt eine "konspirative Sitzung" an, um Protestaktionen zu planen. Klagen kann der Beirat selbst nicht, wohl aber Mundt oder Mack. Ein Urteil aus Kassel macht ihnen Hoffnung. Sie wollen alle Instanzen ausschöpfen. Das Luftfahrtbundesamt anrufen, das letztendlich zu entscheiden hat, die Deutsche Flugsicherung, die vorher befindet. Jeden, der Einfluss haben könnte. Und nicht aus Bremen kommt.
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