Wikileaks: Digitale Denunziation oder Aufklärung?
Das Internetprojekt Wikileaks will Transparenz schaffen. Seit drei Jahren veröffentlicht es geheime Dokumente – die Quellen dagegen bleiben verborgen.
BERLIN taz | Das Prädikat "geheim" ist den Machern von Wikileaks Fremdwort und Motivation zugleich. Geheim sind heute weder der Feldjägerbericht zum Tanklasterangriff in Kundus noch der 17.000-Seiten-Vertrag zwischen dem Maut-Betreiber Toll Collect und der Bundesregierung - dank Wikileaks. So heißt das Internetprojekt, das seit 2007 Dokumente veröffentlicht, die der Öffentlichkeit unzugänglich sind. Wer sich hinter Wikileaks verbirgt: geheim.
Nach eigenen Angaben wurde Wikileaks "von chinesischen Dissidenten, Mathematikern und Technologen junger Unternehmen aus den USA, Taiwan, Europa, Australien und Südafrika" gegründet. Namentlich bekannt sind einzig neun Mitglieder des Beratungsgremiums, darunter der australische Hacker Julian Assange. Die Demokratie wollen sie stärken, Transparenz schaffen auf allen Ebenen. Whistleblower, Geheimnisverräter, nennt man die Informanten, die den Aktivisten die Daten zuspielen.
Nach Angaben des Betreibers prüfen rund 1.200 Freiwillige die Dokumente auf Authentizität vor einer Veröffentlichung. Neben brisanten Daten wie den Pager-Nachrichten vom 11. September 2001 werden auch, das ist Konzept, banale Geheimnisse wie private E-Mails ins Netz gestellt, die von öffentlicher Relevanz scheinen. Anders als die Dokumente werden die Quellen streng vertraulich behandelt: Sie bleiben anonym und bekommen rechtlichen wie technischen Beistand von Wikileaks zugesichert.
Mit Wikipedia hat Wikileaks nichts zu tun: Ein "Wiki" ist eine Online-Enzyklopädie, deren Inhalte nicht nur gelesen, sondern auch unmittelbar geändert werden können. "Leak" ist das Leck, das Informationsloch, das die Internetaktivisten zu füllen suchen. Inwieweit sie dabei im rechtlichen Rahmen agieren, ist fraglich. Rund 100-mal gab es schon juristische Bestrebungen gegen Wikileaks, rechtlich belangt wurde es bisher noch nie.
Als heikel und ambivalent wertet Datenschützer Thilo Weichert das Thema. Einerseits begrüße er im Interesse der Informationsfreiheit das Veröffentlichen von Dokumenten, die unberechtigt geheim gehalten werden: "So etwas ist immer wieder sinnvoll und auch aus demokratischen Gründen zu rechtfertigen."
Gleichzeitig bringe die ungefilterte Veröffentlichung auch Probleme mit sich: Massiv könnten Persönlichkeitsrechte von Betroffenen beeinträchtigt werden, wenn die Informationen sich, so Weichert, "auf natürliche Personen beziehen und falsche oder diskriminierende Informationen darstellen". Das Fehlen eines rechtlichen Rahmens erschwert eine Einordnung, was geht und was nicht. So konnte es geschehen, dass im November 2008 die Namen tausender Mitglieder einer rechtsextremen Partei aus Großbritannien veröffentlicht wurden, mitsamt Adressen und Namen der Kinder. Gefragt ist, so Weichert, das Verantwortungsbewusstsein der Betreiber.
Daniel Schmitt, der Sprecher für Wikileaks Deutschland ist und nur unter Pseudonym auftritt, erklärte in einem Zeitungsinterview, dass es in dem Projekt um die "Sicherstellung der historischen Aufzeichnungen" geht, nicht um eine Einteilung in Gut und Böse.
Jüngsten Plänen zufolge wollen sich die Internetaktivisten in Island niederlassen, um dort eine "Informationsfreizone" zu errichten - als Gegenpol zu den bereits existierenden finanziellen Freizonen. Hier sollen verschiedene Regelungen gesetzlich zusammengeführt werden, etwa ein Quellenschutz wie in Schweden sowie die US-Verfassungsklausel zum Schutz der freien Meinungsäußerung. Am 26. Januar soll ein entsprechender Gesetzentwurf beim isländischen Parlament eingebracht werden.
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