Sozialhistoriker Promberger: "Armut ist sehr heterogen"

Der Sozialhistoriker Promberger sagt: "Wir müssen uns überlegen, wie wir Lebensleistungen respektieren" und plädiert für eine moderate ALG-I-Verlängerung und eine differenzierte Sicht auf Armut.

"Es ist richtig, die Regelsätze für Kinder zu erhöhen." Bild: dpa

taz: Herr Promberger, fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV gibt es in der Politik einen Nachbesserungstrend, und zwar bei allen Parteien. Widerspricht die Armutssicherung durch Hartz IV dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden?

Markus Promberger: Armut ist sehr heterogen. Da gibt es beispielsweise Menschen, denen der Anschluss an die Erwerbswelt über eine Ausbildung nicht gelungen ist, Menschen, die krank sind oder die eine Scheidung hinter sich haben. Zudem haben wir unterschiedliche Zugangswege. Manche haben nie arbeiten können. Manche kommen durch persönliche Veränderungen und Krisen, andere über eine langjährige Erwerbstätigkeit und das Einzahlen in Sicherungssysteme. Letztere rechnen sich einen biografischen Verdienst zu und sehen sich nun auf einmal im selben System wie Menschen, die nie gearbeitet haben.

Entsprach die alte soziale Sicherung mit der Arbeitslosenhilfe und der früheren Verrentung mehr dem Gerechtigkeitsempfinden?

Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder können in diesem Jahr nicht mit höheren Regelsätzen rechnen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte in einem Zeitungsinterview mit der Rheinischen Post, für eine Neuberechnung der Sätze seien "zahlreiche Daten notwendig, die wir teilweise erst im Herbst bekommen". Nach ihrer Meinung mehrten sich die Anzeichen, dass das Bundesverfassungsgericht fordere, "die Methode der Berechnung aller Regelsätze zu ändern". Die Regelsätze für Kinder schon vor einer Neuberechnung zu erhöhen, hält von der Leyen nicht für sinnvoll. Ein Urteil des Gerichts zu den Regelsätzen wird Ende Februar erwartet.

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Markus Promberger (46) 46, ist promovierter Soziologe und Sozialhistoriker. Er leitet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg den Forschungsbereich über Erwerbslosigkeit und soziale Teilhabe.

Ja und nein. Hartz IV ist näher dran an der Armutsbekämpfung als Menschenrecht, nimmt aber die Unterscheidungen zwischen Armen und Leuten, die einen anderen Anspruch haben, stark zurück. Es gab früher einen breit gefächerten Kosmos an Versorgungsansprüchen, von Kriegsversehrtenrenten bis zur Arbeitslosenhilfe. Die Sozialhilfe, die Fürsorge war die letzte Auffangstation. Durch die Hartz-IV-Reform sind auch die Langzeitarbeitslosen in dieser letzten Auffangstation gelandet.

Welche Lösungen gibt es?

Wir müssen uns überlegen, wie wir Lebensleistungen respektieren. Ich halte die ja bereits maßvoll verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für langjährig Versicherte unter Gerechtigkeitsaspekten für richtig, trotz der arbeitsmarktpolitischen Nebenwirkungen.

Alleinerziehende bringen auch eine Lebensleistung und gesundheitlich Eingeschränkte haben sich mitunter einfach nur kaputtgearbeitet.

Stimmt. Es ist beispielsweise richtig, die Regelsätze für Kinder zu erhöhen. Viele andere europäische Länder leisten sich beispielsweise auch, die Tür zur Erwerbsunfähigkeitsrente offener zu halten, als es bei uns der Fall ist. Wir müssen uns mehr mit der Anerkennung von Alter, Krankheit, aber auch Erziehungsarbeit beschäftigen.

Die Regierungskoalition aus Union und FDP möchte die Hinzuverdienstgrenzen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger erhöhen.

Es macht insofern Sinn, diese Grenzen zu erhöhen, weil damit die Motivation der Erwerbslosen wächst, sich eine Tätigkeit zu suchen. Allerdings wird es dann für Arbeitgeber noch normaler, Arbeitsplätze anzubieten, von deren Lohn man nicht ohne Geld vom Staat leben kann.

Ist die Wählerschaft überhaupt bereit, Sozialabgaben und Steuern wieder verstärkt für Armutsbekämpfung zu verwenden?

Auch wenn das Pendel in der öffentlichen Diskussion immer wieder hin und her schwingt - mal werden die Hartz-IV-Empfänger bedauert, dann wieder werden sie verunglimpft -, im Grunde aber ist die Bereitschaft zu spüren, wieder mehr öffentliches Geld für diese Aufgaben auszugeben. Denn die Gefahren von Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung sind auch für die Mittelschichten in den vergangenen Jahren sehr konkret und greifbar geworden.

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