Medien in Haiti nach Beben: Schweigen auf fast allen Kanälen

Kompamusik, Nachrichten, Alphabetisierungsprogramme: Das Radio ist das wichtigste Medium Haitis. Nach dem Beben übernehmen neue Medien teilweise seine Funktion.

Vor dem Erdbeben: Radioverkäufer in Haiti. Bild: ap

Excès Bruno rührte gerade Farbe an, als die Erde bebte. Der kreolsprachige Radiosender Mélodie FM, der ihn im Hintergrund mit Kompamusik berieselte, beendete abrupt seine Übertragung. Innerhalb von wenigen Sekunden waren die Haitianer in Port-au-Prince und Umgebung von der wichtigsten Informationsquelle des Landes abgeschnitten. "Ich höre immer Mélodie FM", sagt der 32 Jahre alte Anstreicher, "er bringt gute Musik, und ich werde informiert."

Radiosender, die rund um die Uhr Kompa-, Reggae-, Rock- und Popmusik dudeln, gibt es zu Hunderten in Haiti. Und das nicht nur in der Hauptstadt - auch in den abgeschiedenen ländlichen Regionen ist das Radio eines der wichtigsten Kommunikationsmittel. Überall sieht man Menschen, die ein Kleinradio ans Ohr gepresst haben.

"Für unsere Arbeit als Hilfsorganisation ist das Radio ein wichtiges Kommunikationsmittel", sagt Michael Kühn, Direktor der Deutschen Welthungerhilfe in Haiti. Versammlungen in den Projektgebieten werden tagelang vorher über die auf Mittel- und Kurzwelle sendenden Radiostationen angekündigt. "Das funktioniert wunderbar", versichert Kühn. Denn die kleinen batteriebetriebenen Empfangsgeräte sind oft die einzige Verbindung für die Menschen in den schwer zugänglichen Bergregionen des Landes, wo nur selten Stromkabel hinführen. Aber auch deshalb, weil sie ihr Programm vor allem in Kreol übertragen - der überwiegende Teil der Bevölkerung spricht ungenügend oder gar nicht Französisch.

Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung im "Land der Berge" können noch immer nicht lesen und schreiben. Mithilfe von Alphabetisierungsprogrammen über Radiosender, die von der venezolanischen Regierung finanziert werden, konnte die Analphabetenrate um 5 Prozentpunkte reduziert werden.

Das Radio ist Kommunikationsform Nummer eins für die Menschen. Auf den Märkten sieht man Marktfrauen mit einem Kleinempfänger ebenso wie in den Tap-Tap genannten Kleinbussen. Aber auch technologische Neuerungen wie Handys mit Fernsehverbindung sind inzwischen der Renner im Armenhaus Lateinamerikas. Wer Verwandte im Ausland hat, wünscht sich ein solches Multimediaempfangsgerät. Nach dem Erdstoß am vergangenen Dienstag verstummten dann die Radios und Mobiltelefone gleichermaßen. Nur wer Satelliteninternet hatte, behielt die Verbindung zur Außenwelt.

Das Schweigen auf allen Kanälen traf die Menschen doppelt, denn plötzlich waren sie von jeder Information abgeschnitten. Nur Musiksender wie Signal FM, Caribe FM und Mélodie FM gingen nach kurzer Unterbrechung wieder auf Sendung. Von Radio Metropolo und Radio Kiskeya, die für seriöse Journalisten und zuverlässige Informationen stehen, war dagegen nur ein Rauschen zu hören.

Radio Metropole ist seit Sonntag wieder on air, allerdings nur stundenweise. Das Sendegebäude ist scher beschädigt, zahlreiche Mitarbeiter des Senders von Richard Widmaier haben Angehörige verloren und sind nicht einsatzfähig. Die Restcrew hat ihr Studio auf der staubigen Straße vor dem Sendegebäude in Delmas 58 aufgebaut.

Währenddessen hat eine neue Form der Kommunikation in Haiti an Bedeutung gewonnen. Über Twitter, Facebook und Skype machten sich Verwandte im Ausland auf die Suche nach Informationen über Familienangehörige. Manche konnten sogar Hilfsorganisationen und Botschaften, manchmal mit großer Präzision, über den Ort informieren, von dem sich Verschüttete aus den Trümmern per SMS gemeldet hatten.

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