Debatte Export-Weltmeister: Chinas Titel ohne Wert

Deutschland wurde von China als "Exportweltmeister" überflügelt. Doch von diesem Erfolg allein kann sich das Land noch nichts kaufen.

Im letzten Quartal 2009 hat China den bisherigen Exportweltmeister Deutschland vom Thron gestoßen. Dieser Titel ist zwar zweifelhaft, aber in der Wirtschaftswelt dennoch sehr prestigeträchtig. Und nicht nur das: Noch in diesem Jahr könnte China auch Japan als bislang zweitgrößte Industrienation überholen.

Nicht nur hierzulande ist das Gejammer nun groß. "So nicht, China", titelte die Zeit und wetterte gegen angeblich unlautere Methoden, während Spiegel Online China gleich die größte Schuld an der Finanzkrise gab, weil dessen "aggressive Wechselkursstrategie" das globale Ungleichgewicht noch weiter vergrößere. Außerdem würde Peking die heimische Wirtschaft mithilfe eines gigantischen Konjunkturpakets ankurbeln: Der Kauf eines Autos etwa werde "großzügig mit Steuernachlässen" gefördert.

Hallo? Waren es nicht die Deutschen, die die Abwrackprämie zur Stärkung der heimischen Autoindustrie erfanden und als Erste anwandten? Sind es nicht die Industrieländer, die auf Konjunkturpakete setzen, um ihrer Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen? Ist Deutschland nicht selbst seit Jahren maßlos und einseitig auf den Export fixiert, was in diesem Ausmaß immer auf Kosten anderer Länder geht? So leicht lässt sich der Schwarze Peter nicht nach Fernost schieben.

Jahrgang 1975, ist Wirtschafts- und Inlands-Redakteur der taz. Er hat Politikwissenschaft studiert und beschäftigt sich vor allem mit der "Politik von Unten"- von Antifa bis attac.

In einem Punkt haben die Kritiker jedoch recht: Er betrifft die chinesische Wechselkurspolitik. Nach Jahren einer schrittweisen Aufwertung ist der chinesische Yuan seit Ausbruch der Krise im Sommer 2008 praktisch wieder an den US-Dollar gekoppelt worden - und das auf einem unterbewertetem Niveau. Die chinesische Zentralregierung kauft dabei eifrig ausländische Devisen auf und häuft gigantische Währungsreserven an. So sorgt Peking dafür, dass China preisgünstiger exportieren kann als andere Schwellen- und Industrieländer - und überschwemmt die Welt auf diesem Wege mit billiger Ramschware.

Dass hierzulande nur gegen den Yuan gewettert wird, ist aber einseitig, denn die US-Amerikaner machen nichts anderes: um die eigenen Exporte in Schwung zu bringen, überschwemmen sie die Weltfinanzmärkte mit stets neuen Dollars und werten darüber den Greenback ab. Der angekoppelte Yuan schließt sich bloß der US-Währungspolitik an.

Leidtragende dieser Wechselkurspolitik beider Wirtschaftsmächte sind die Europäer: Ihre Waren verteuern sich auf den Weltmärkten. Verlierer sind aber vor allem die Chinesen selbst. Auf gigantische 2,3 Billionen Dollar werden Chinas Währungsreserven inzwischen beziffert. Allein an US-amerikanischen Staatsanleihen hält die chinesische Zentralbank Papiere im Wert von rund 700 Milliarden Dollar. Theoretisch könnte China diese Staatsanleihen verkaufen. Doch da die Summe inzwischen so hoch ist, würde schon die bloße Ankündigung eines solchen Verkaufs dazu führen, dass die Kurse der US-Staatsanleihen im Nu einbrechen - und weltweit eine Inflation auslösen.

Damit nicht genug: Zur Finanzierung ihrer Bankenrettungspläne und Konjunkturprogramme nehmen die USA derzeit weiterhin kräftig Schulden auf und werfen noch mehr Staatsanleihen auf den Markt. Finden sich nicht genug Käufer, sieht sich die US-Regierung gezwungen, die Zinsen für die Anleihen anzuheben. Steigen die Zinsen, heißt dies wiederum, dass die Kurse der bereits existierenden Anleihen fallen. Das heißt: Nicht nur dass China seine enormen Reserven nicht abbauen kann, die Chinesen müssen sogar immer weiter kaufen, damit der Wert ihres Vermögens nicht sinkt.

Für die Chinesen, deren Milliarden Arbeiterinnen und Arbeiter zu diesem Staatsvermögen beigetragen haben, entbehrt das nicht einer gewissen Tragik. Sie sind an diesem Dilemma aber ebenso beteiligt wie die hoch verschuldeten US-Amerikaner. Deutschland als nunmehr zweitgrößte Exportnation, die keine so gigantischen Devisenreserven angehäuft hat, dagegen profitiert von dieser Konstellation.

Deutschlands Exporterfolg wird hierzulande gerne damit begründet, dass die Deutschen eben so gut im Maschinenbau seien. Chinesische Exporte zählen im Gegensatz dazu meist nicht zur Hochtechnologie. Bei vielen Produkten aus China, die hier als Ramschware verhökert werden, mag das stimmen. Es täuscht aber darüber hinweg, dass China nicht zuletzt mit massiver Unterstützung der Zentralregierung bereits seit einigen Jahren massiv auf den Aufbau eigener Schlüsseltechnologien setzt.

Im IT-Bereich sind die Chinesen bereits Spitze; mit der Serienproduktion von eigenen Flugzeuge ist schon in den kommenden Wochen zu rechnen. Nachdem deutsche Firmen fast ein Jahrzehnt lang ganz allein darauf setzten, ihren veralteten und völlig überteuerten Transrapid nach Fernost zu verhökern, haben die Chinesen inzwischen ihren eigenen Hochgeschwindigkeitszug entwickelt - der ist nur 50 km/h langsamer, dafür aber deutlich billiger, und bereits für den Export nach Russland und den USA im Gespräch.

Aufbau von Zukunftsindustrien

Auch chinesische Autos mögen heute noch belächelt werden. Doch schon bald dürfte China nicht mehr nur der jetzt schon weltweit größte Absatzmarkt für Automobile, sondern auch in der Produktion die Nummer eins sein. In Zeiten von Klimawandel und steigenden Ölpreisen liegt die Zukunft der Automobilindustrie in der Batterietechnik - und da ist China bereits jetzt schon führend.

Mit der Entwicklung eigener Schlüsseltechnologien setzt das Reich der Mitte verstärkt auf die eigene Binnenwirtschaft und bemüht sich damit um mehr Fairness auf den Weltmärkten. Anders als Deutschland macht China seine Hausaufgaben und nimmt Abschied von der einseitigen Exportfixierung.

Das allein genügt sicher noch nicht - solange in China Minderjährige unter miserablen Arbeitsbedingungen auch weiterhin im Auftrag von westlichen Firmen en masse billige Schuhe und MP3-Player für den Rest der Welt produzieren, bleibt noch viel zu tun. Doch momentan wirtschaften die Chinesen keineswegs besser, aber auch nicht grundsätzlich mieser als die Europäer. Einen Meistertitel hat derzeit keiner verdient.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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