Versuchsanordnung: Der Ressentiment-Test

Fünf Stunden lang kündigte ein Schild einen Moscheebau in Hannover an. Prompt kamen die Gegner. Eine gelungene PR-Aktion für das Stück "Moschee DE".

Aufreger für ein paar Stunden: Das Moschee-Baustellenschild in der Innenstadt Hannovers. Bild: dpa

Man nennt es Guerilla-Marketing, und es funktioniert - jedenfalls in Hannover. Dort kündigte am Donnerstag morgen ein Schild den Bau einer Moschee im Zentrum an. In Wirklichkeit entsteht dort, und das wissen eigentlich alle, das Kröpcke-Center. Doch wer nicht sofort schaltete, glaubte, dass dort die "Leipsuasch-Moschee" gebaut werde. Rückwärts gelesen bedeutet es "Schauspiel-Moschee", doch das fiel nicht auf. Im Gegenteil: Der fremd klingende Name ließ Klischees einrasten, und bald diskutierten die ersten Passanten.

"Wir haben die Leute quasi auf frischer Tat bei ihren Ressentiments ertappt", sagt Kolja Mensing. Gemeinsam mit dem Filmemacher Robert Thalheim hat er das Stück "Moschee DE" verfasst, das Ende Februar am Schauspiel Hannover uraufgeführt wird. Das Bauschild war eine PR-Aktion des Theaters. Eine schonungslose, einer versteckten Kamera gleich. Eine gigantische Versuchsanordnung.

Nein, einen Aufruhr habe es am Donnerstag nicht gegeben, sagt Mensing. "Aber da kamen schnell Befürworter und Gegner - animiert von Schauspielhaus-Leuten, die sich als Bürgerinitiativen ausgaben." Bis zum faschistischen Ressentiment hätten die Reaktionen gereicht. Andere predigten Toleranz.

Für Thalheim und Mensing war es ein Spiel. Eine Live-Preview ihres Stücks, das auf einem Moschee-Konflikt in Berlin-Heinersdorf basiert. Dort war es 2006 zu Tumulten gekommen, weil die muslimische Gemeinde eine Moschee wollte. Fast jeder positionierte sich; die ideologischen Fronten spalteten die Siedlung. Inzwischen ist die Moschee gebaut, der konkrete Konflikt erledigt. "Aber nicht der ideologische", sagt Mensing. Und genau das habe ihn interessiert: "Welche Menschen stehen hinter den Positionen? Wie wirkt sich ein solcher Streit auf die Biographien aus?" Überraschend: Die meisten kauen lange daran. "Wir haben rund ein Dutzend Interviews geführt. Ausnahmslos alle haben uns ihre Lebensgeschichte auf den Konflikt hin erzählt. Der Moschee-Streit war für sie anscheinend Wendepunkt und Katalysator", vermutet Mensing.

Zum Beispiel im Leben jenes in prekären Verhältnissen arbeitenden Mannes, der sich in der Anti-Moschee-Initiative engagierte und wieder Sinn im Leben fand. Oder für die Befürworter, die ein Nachbarschaftshaus gründeten, um die Lebensqualität im Stadtteil zu verbessern. "Die Leute haben sich infolge des Streits neu in ihrer Umgebung verortet", sagt Mensing.

Ihn interessiert nicht, ob man Moscheen bauen soll oder nicht. Er und Thalheim haben den Konflikt als Analysewerkzeug benutzt, "um etwas über die Menschen in diesem Land zu erfahren. Um beide Aspekte zu zeigen: die argumentativen Reflexe und die Langzeitwirkung."

Auf bloße Gesellschaftskritik möchte er das Stück so wenig reduziert wissen wie die PR-Aktion am Bauzaun. Dafür, sagt Mensing, sei die spielerische Komponente zu stark. "Wir wollten einfach zeigen, wie leicht man solch einen Konflikt lostreten kann."

Auf der Bühne werden fünf Namenlose den Berliner Konflikt nachspielen und dabei etwas über sich lernen. Das sollen im besten Fall auch die getäuschten Hannoveraner. "Wenn sie in der Zeitung lesen, dass das Bauschild ein Fake war, bemerken sie vielleicht ihre Automatismen", hofft Mensing.

Die "echte" Bauleitung am Kröpcke hat übrigens gelassen reagiert. Ganz geräuschlos hat sie das Schild am Donnerstagmittag entfernt.

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