162 Castoren aus Jülich: Ahaus wird zentrale Atomdeponie

162 Castor-Behälter sollen ab 2011 von Jülich nach Ahaus rollen, und in Duisburg wird die Konditionierungsanlage ausgebaut. Gegner beraten über Widerstand in Nordrhein-Westfalen.

Schon etwas länger her: Schienenblockaden im Jahr 1998. : reuters

Dem nicht einmal 40.000 Einwohner zählenden Städtchen Ahaus an der niederländischen Grenze droht eine Zukunft als eine der größten Atommülldeponien Deutschlands. Bereits im Frühjahr 2011 will das Forschungszentrum Jülich 152 Castoren mit Brennelementen des dortigen Hochtemperaturreaktors ins Münsterland schaffen.

Das geht aus Unterlagen des Bundesforschungsministeriums hervor, die der taz vorliegen. Danach sollen die Atommülltransporte im ersten Quartal 2011 beginnen und spätestens im 2. Quartal 2013 abgeschlossen sein - dabei prüft das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) noch immer, ob die Transporte überhaupt genehmigungsfähig sind. "Mindestens 26 hochgefährliche Atommüllkonvois mit jeweils sechs Castoren sollen mitten durch Köln, Duisburg, Oberhausen und das Münsterland rollen", warnen Atomkraftgegner wie Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg.

Hintergrund der Atommüllverschiebung ist die Dekontaminierung des Geländes des Forschungszentrums. Der Boden unter dem Jülicher Kugelhaufenreaktor ist seit einem Störfall 1978 radioaktiv verstrahlt. Dessen Betreiber, die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR) plant deshalb, den 2.100 Tonnen schweren Reaktorkern in einem weltweit einmaligen Versuch um 200 Meter auf einem Luftkissenschlitten versetzen zu lassen, um an das verseuchte Erdreich zu gelangen. Die kugelförmigen Brennelemente des Reaktors lagern derzeit in einem Zwischenlager in Jülich - doch dessen Betriebsgenehmigung läuft Ende Juni 2013 aus.

Den Bau eines neuen Lagers auf dem eigenen Gelände aber will das Forschungszentrum offenbar aus ökonomischen Gründen verhindern: "Die Kosten einer Lagerung in Ahaus sind viel, viel geringer", so Sprecherin Anne Rother zur taz. "Wir rechnen mit einer Ersparnis in dreistelliger Millionenhöhe in einen Zeitraum von drei Jahrzehnten."

Die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wolle Jülich als "grüne Wiese" präsentieren, um wieder Akzeptanz für die Hochtemperaturreaktortechnik (HTR) zu schaffen, glaubt der Energieexperte der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Reiner Priggen: "Die träumen den Traum vom HTR als einziger in Deutschland entwickelter Reaktortechnik weiter." So habe NRW-Forschungsminister Andreas Pinkwart (FDP) bereits ein 100 Millionen Euro schweres Forschungsprogramm vorgelegt, das auch den Bau von Atomforschungsreaktoren ermögliche.

Entsprechend hoch ist der politische Druck, den Pinkwarts Staatssekretär Michael Stückradt entwickelt. Unter dem Briefkopf des NRW-Forschungsministeriums erweckt Stückradt, der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich ist, trotz des laufenden BfS-Genehmigungsverfahrens den Eindruck, als seien die Atommülltransporte nach Ahaus bereits beschlossene Sache. Anti-Atom-Initiativen aus dem Münsterland fordern deshalb bereits den Rücktritt des Atomlobbyisten.

Und die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), die das Zwischenlager in Ahaus betreibt, expandiert weiter. Im Duisburger Stadtteil Wanheim baut die GNS ihre vorhandene Atommüllkonditionierungsanlage mitten in einem Wohngebiet derzeit massiv aus. Geplant sei eine "heiße Zelle", in der auch Atommüllbehälter unbekannten Inhalts geöffnet werden können, sagt der Duisburger Ratsherr Frank-Michael Rich. "Zwei Roboter sollen künftig Atommüllfässer öffnen, Messlanzen einführen und Beton einfüllen können", sagt der Grüne. Denkbar wäre damit sogar die Umladung von Atommüll aus dem maroden Endlager Asse.

Die Anti-Atom-Bewegung will die Atomenergie deshalb zum Thema im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf machen. Für ihre bundesweite Anti-Atom-Konferenz an diesem Wochenende in Ahaus planen die Atomkraftgegner Demonstrationen zum 24. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: Für den 24. April sind nicht nur eine Menschenkette am AKW Krümmel und die "Umzingelung" des Meilers in Biblis geplant - auch das Zwischenlager in Ahaus wird Schauplatz einer zentralen Protestkundgebung. "Der Atomausstieg", sagt Atomkraftgegner Eickhoff, "ist auch in Nordrhein-Westfalen bestenfalls eine Fata Morgana am Horizont."

ATOMKRAFTGEGNER MATTHIAS EICKHOFF

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