Missbrauch: "Bei uns gibt's das nicht"

Die Neigung, sich im eigenen Verantwortungsbereich mit dem Thema zu beschäftigen, ist nicht sehr ausgeprägt, wie das Beispiel der Bremer Sportvereine zeigt.

Sportvereine wollen über Sport reden. Und Wettbewerbe. Und nicht über das Thema Missbrauch. : DPA

"So etwas gibt es bei uns nicht." Diese Antwort hört, wer nach dem Zufallsprinzip die Vorsitzenden von Bremer Sportclubs anruft und sie nach dem Umgang ihres Vereins mit sexueller Gewalt befragt.

Sportvereine sind, sagen Expertinnen wie Ingrid Wedlich vom Verein Schattenriss, für Täter genau so interessant wie alle anderen Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche in einem Abhängigkeitsverhältnis von Erwachsenen befinden. Immer wieder komme es auch dort zu Übergriffen. Viele Fälle würden nie bekannt, weil die Opfer nicht darüber sprechen oder weil ihnen nicht geglaubt wird. Um das Schweigen zu brechen und weitere Taten zu verhindern, so Wedlich, müssten die Vereine offensiv mit dem Thema umgehen. Doch die wenigsten sehen dafür offenbar einen Anlass - auch die aktuelle Debatte hat daran nichts ändern können.

"Wir haben damit noch nie Probleme gehabt", glaubt beispielsweise Gustav Schiele, Chef des Bremischen Schwimmvereins, "dabei gibt es uns schon seit 120 Jahren". Er finde es durchaus gut, wenn sich andere damit auseinandersetzen, sieht aber für seinen Verein keinen Anlass dazu. Genau so reagieren stellvertretend für viele andere der Pressesprecher der Handballabteilung von Werder Bremer oder der Vorsitzende des Turnvereins Bremen Walle von 1875. Auch vom Ehrenkodex, den der Landessportbund vor zwei Jahren an seine Mitglieder, die Bremer und Bremerhavener Sportvereine, weitergeleitet hat, haben die Befragten noch nie etwas gehört. Dabei sollten die Vereine das Dokument an ihre Übungsleiter, die mit Kindern und Jugendlichen trainieren, weitergeben und sie dazu auffordern, es zu unterschreiben.

Elf Punkte sind darin aufgeführt, darunter: "Ich werde kind- und jugendgerechte Methoden einsetzen", eine Vorbildfunktion im Kampf gegen Doping unternehmen, die Regeln des Fairplay vermitteln und die Anvertrauten nach ihren Möglichkeiten fördern und ihre Bedürfnisse achten. Und dann steht da noch als einer von vielen Sätzen, man werde "keine Form der Gewalt, sei sie physischer, psychischer oder sexueller Art, ausüben".

Doch obwohl das alles selbstverständlich klingt, haben wohl die wenigsten Trainer in den 400 Bremer Vereinen den Ehrenkodex unterschrieben. Einige, weil der Verein es nicht für notwendig hielt, ihn auszuteilen, andere, weil sie es nicht wollten, sich in ihrem Ehrgefühl verletzt gefühlt haben. "Die meisten Übungsleiter wollten das nicht, sie haben das abgebügelt", erinnert sich Bodo Schröder, Vorsitzender des TV Eiche Horn. Schröder ist einer von zwei Angerufenen, die nicht abwehrend auf die Nachfrage reagieren, sondern nachdenklich. Natürlich sei das auch für seinen Verein ein Thema, sagt Schröder, "so etwas kann überall passieren", das zeige auch die aktuelle Debatte. "Da müssen wir einfach noch mal ran."

So sieht es auch Ute Brunzel, Vorsitzende des TSV Osterholz-Tenever. Sie spricht als Einzige offen darüber, dass sie in ihrem Verein mit dem Thema schon konfrontiert war. "Wer behauptet, bei ihm gebe es so etwas nicht, der macht sich was vor", sagt die Rechtsanwältin. Sie hatte mit einem Trainer zu tun, über den sich Eltern beschwert hatten, weil er zwölfjährigen Mädchen beim Duschen zugeschaut hatte. Brunzel stellte ihn zur Rede und entließ ihn schließlich, nachdem er sich uneinsichtig gezeigt hatte. Dennoch frage sie sich, sagt Brunzel, wie sie grundsätzlich in solchen Fällen vorgehen solle. "Woher weiß ich denn, dass so jemand nicht einfach zum nächsten Verein wechselt?" Und gerade wegen des engen Körperkontakts im Sport, zum Beispiel bei Hilfestellungen, könne es schwierig sein zu beurteilen, ob ein Trainer absichtlich oder versehentlich ein Kind im Genitalbereich berührt habe. "Es darf ja auch niemand zu Unrecht beschuldigt werden." Letztendlich, so ihr Fazit, bräuchten die Vereine mehr Unterstützung vom Landessportbund, beispielsweise durch Fortbildungen. Und, wie Schröder von TV Eiche-Horn es formuliert: "Eine Systematik, nach der man in Verdachtsfällen vorgeht."

Doch eine solche ist nicht in Sicht. Frank Schildt, Vizepräsident des Landessportbunds und für die SPD Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft, kann keine konkreten Maßnahmen nennen, die erkennen lassen, dass der Verband das Thema so ernst nimmt wie er behauptet. Schildt verweist auf Fortbildungen, in denen unter anderem auch über sexuellen Missbrauch informiert werde. Angesprochen darauf, dass die Sportvereine entweder kein Interesse haben oder sich mehr Unterstützung wünschen, sagt er schließlich doch noch etwas. Man werde die Presse-Nachfrage zum Anlass nehmen, "zu überprüfen, ob wir unser Fortbildungsangebot anpassen müssen".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.