Montagsinterview: Gunter Pleuger: "Es darf nur um die Sache gehen"

Er arbeitet an einem Grenzfluss und würde gern Grenzen überwinden. Gunter Pleuger ist Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Gunter Pleuger an der deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt/Oder Bild: Erik-Jan Ouwerkerk

?taz: Herr Pleuger, können Sie das eigentlich: Sich so richtig zurücklehnen und entspannen?

Gunter Pleuger: Das kann ich.

Von 2002 bis 2006 war Pleuger deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York und damit einer der ranghöchsten Diplomaten der Bundesrepubklik. Dort verhandelte er für Deutschland unter anderem um einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Während der Irakkrise 2003 vertrat er die deutschen Regierungsinteressen, als die Bundesregierung unter Gerhard Schröder den Irak-Krieg offen ablehnten - und saß während der berüchtigten Lügenrede des Ex-US-Außenministers Colin Powell nur einige Meter entfernt von diesem.

Seit Oktober 2008 leitet Gunter Pleuger als Nachfolger von Gesine Schwan die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Dann legen wir mal los. Sie lehnen sich zurück, schließen die Augen und sagen mir: Was sehen Sie?

Ganz so entspannt muss es ja nun doch nicht gleich werden. Aber ich sage Ihnen, was ich sehe, wenn ich entspannt bin.

Und zwar?

Ich sehe natürlich viele Dinge aus meiner Vergangenheit. Das sind Erinnerungen aus meinen Arbeitsstationen im Auswärtigen Dienst, Erlebnisse und Kontakte aus der Zeit auf meinen Arbeitsstationen.

Und wenn Sie in die Zukunft schauen?

Dann sehe ich den Ort, an dem wir uns treffen, die Europa-Universität Viadrina. Ich sehe, wie hier und in Europa die Grenzen verfließen, wie aus Europa ein immer harmonischeres Projekt wird. Und ich träume davon, dass ich als überzeugter Multilateralist dazu einen kleinen Beitrag leisten kann.

Was brauchen Sie denn zur Entspannung?

Ein paar gute Bücher oder das Fliegen. Ich nutze ein altes Flugzeug meines Fliegerklubs, bei dem noch viel von Hand geht. Durch die absolute Konzentration auf die Lenkung, auf die Höhenmesser und die Maschine, auf die Lüfte und die Landung ist der Kopf total gebunden.

Sie entspannen durch Konzentration? Das klingt eher anstrengend.

Im Gegenteil. Bei voller Konzentration ist kein Raum mehr für irgendetwas anderes, da ist alles vergessen. Und das hilft, wunderbar zu entspannen.

Ich frage das, weil Ihr Leben vor allem aus Spannungen und Anspannungen bestand. Sie haben eine sehr steile Karriere hinter sich.

So steil ist die gar nicht. Ich habe mir alles erarbeiten müssen.

Moment mal: Sie waren jahrelang in verantwortlicher Position im Auswärtigen Amt, Sie haben im Kosovo-Krieg mitverhandelt und bei der EU-Osterweiterung, Sie waren Chefdiplomat bei den Vereinten Nationen in New York. Das soll keine steile Karriere sein?

Na gut, sagen wir mal so: Was ich mir beruflich hätte erträumen können, das durfte ich in meinem Leben auch machen. Das ist natürlich schön.

Sie kennen aber auch die dunklen Seiten des Erfolgs. Stichwort Kosovo-Krieg, Stichwort Irak-Krise. Da haben Sie in verantwortlicher Position mitgemischt. Was macht das mit einem Menschen?

Als Diplomat sucht man nach Lösungen für die Verhinderung von Konflikten. Die eigenen Gefühle stehen dann hintenan, die muss man aus dem Spiel lassen. Es darf in so schwierigen Dingen dann nur um die Sache gehen.

Wenn man über Kriege mitbestimmt, gibt es da etwas, das sich wie Schuld anfühlt?

Wir haben keinen Krieg beschlossen, sondern ihn zu verhindern gesucht. Wir haben dazu etwa beim Kosovo-Krieg so gut es ging verhandelt. Ich erinnere mich noch an eine entscheidende Situation, die vielleicht alles hätte verhindern können: Nach langen, schwierigen Verhandlungen sollte im Schloss Rambouillet ein Vertrag geschlossen werden. Der kosovarische Verhandlungsführer Hashim Thaci saß mir gegenüber. Der Mann war völlig erstarrt. Er wusste nicht: Soll ich diesen Vertrag unterschreiben oder nicht? Ist das eine historische Chance oder werde ich zu Hause dafür gelyncht? Er unterschrieb nicht. Zwei Wochen später wollten dann die Serben den Vertrag nicht mehr unterschreiben. So kam es dann zu einer militärischen Intervention.

Sie waren damals Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Sie tragen - zumindest auch - eine Verantwortung für die Nato-Luftangriffe.

Als überzeugter Europäer konnte man doch das Morden und die Vertreibungen in Europa nicht ignorieren: Über 1.000 Menschen im Kosovo ermordet, 400.000 vertrieben. Joschka Fischer und ich waren damals gemeinsam bei Milosevic. Und Milosevic war zu nichts, zu gar nichts an Zugeständnissen bereit.

Schildern Sie mal, was Sie da von Nahem sahen …

Ich erinnere mich noch an eine Szene, die ich nicht vergessen werde. Fischer und Milosevic waren in einem Vier-Augen-Gespräch, das eine Weile dauerte. Als Fischer aus diesem Gespräch kam, war er fassungslos, weil sich Milosevic keinen Millimeter bewegt hatte. Es war, als hätte er wortlos zu verstehen gegeben: "Wir können töten, Ihr könnt es nicht."

Und die Konsequenz war, dass die Nato eingriff.

Die Konsequenz daraus war, dass uns keine Wahl blieb. Dem Morden und Vertreiben musste ein Ende gesetzt werden.

Einige Jahre später mussten Sie wieder über einen Krieg verhandeln. Als Colin Powell seine berüchtigte Rede zu den angeblichen Biowaffenlaboren im Irak hielt, ahnten Sie da, dass der amerikanische Verteidigungsminister lügt?

Wir wussten, dass die Informationsgrundlage nicht der Realität entsprach. Es gab Hinweise darauf. Wir hätten nie gedacht, dass Colin Powell diese Informationen als Begründung anführen würde. Die amerikanischen Dienste hatten als angebliche Beweise etwa aktuelle Kaufverträge über Nuklearmaterial vorgelegt, deren Unterschriften gar nicht echt sein konnten. Die entsprechenden Personen waren teils schon seit zehn Jahren tot. Das haben die Experten auch erkannt, dass diese Verträge ganz offensichtlich gefälscht waren. Die Information zu den angeblichen mobilen Biowaffenlaboren kam etwa aus Deutschland. Sie stammte rund drei Jahre zuvor von einem irakischen Flüchtling, der diese Labore gesehen haben wollte. Wir haben seinerzeit diese Information an befreundete Dienste - auch die USA - weitergeleitet.

Und kurz später wurde klar: Das war völlig haltlos?

Die Behauptung ließ sich durch nichts belegen. Und der einzige Zeuge war in der Zwischenzeit für mental instabil befunden worden. Wir haben die Amerikaner daher ausdrücklich vor der Verwendung dieser nach unserer Ansicht falschen Information gewarnt. Leider hat das Powell nicht davon abgehalten, sich mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit zu wenden.

Sie saßen bei seiner Rede nur einige Meter von Powell entfernt, hinter Außenminister Fischer, der die Sitzung leitete.

Und jeder im Raum wusste, dass die zur Begründung einer militärischen Aktion vorgetragenen Behauptungen falsch waren. Deswegen haben sich viele Staaten wie etwa Mexiko, Kanada, auch Frankreich und Deutschland bis zum Schluss dafür eingesetzt, den beiden Inspektoren Mohammed El Baradei und Hans Blix Gelegenheit zu geben, ihre Untersuchungen abzuschließen, um einen Krieg, der tausenden von Menschen das Leben kosten würde, zu verhindern.

Wie oft mussten Sie denn in Ihrem diplomatischen Leben strategisch lügen, um zu überzeugen?

Ach, wissen Sie, das ist ein Klischee: die Diplomaten, die Lügner vom Dienst. Genau das Gegenteil ist richtig: In der Diplomatie geht es um Interessen. Darüber verhandelt man mit unabhängigen Partnern. Wenn man die eigenen Interessen durchsetzen will, gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder man überzeugt den Partner davon, dass die eigenen Interessen mit denen des Gegenübers übereinstimmen, oder man schlägt ein Geschäft auf Gegenseitigkeit vor, bei dem jeder seine Interessen wahrt und beide Seiten als "Gewinner" nach Hause gehen können. Voraussetzung dafür ist gegenseitiges Vertrauen. Einen Partner eines kurzfristigen Vorteils wegen zu belügen ist schlechte Diplomatie, denn der getäuschte Partner wird dem anderen nie wieder vertrauen.

Wenn die "Beziehungen zwischen zwei Ländern angeschlagen sind", wie es manchmal heißt, wie macht sich das eigentlich auf einer persönlichen Ebene bemerkbar?

Es gehört zur diplomatischen Professionalität, politische Divergenzen sachlich auszutragen und persönliche Emotionen außen vor zu lassen. So hatte ich während der sehr kontroversen Irak-Debatte im Sicherheitsrat stets ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis zu meinen amerikanischen und britischen Kollegen, die im anderen Lager standen.

Aber man hat sich trotzdem auch über Sie beschwert?

Es bleibt nicht aus, dass sich Länder über einen Botschafter bei dessen Regierung beschweren, wenn dieser eine als "unfreundlich" empfundene Politik vertritt. Im Irak-Streit ist das mehreren Botschaftern in New York, darunter auch mir gelegentlich so ergangen.

Sie sind dann 2006 in den Ruhestand gegangen. Seit 2008 sind Sie Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Jetzt mal ehrlich, Herr Pleuger: Nach all diesen Geschichten, was wollen Sie da noch an einer kleinen Uni in Brandenburg?

Ich sehe hier ganz einfach eine Möglichkeit, auf eine andere Weise das fortzusetzen, was ich auch bislang getan habe. Die Viadrina ist ein hervorragender Ort, um Europa weiter zusammenzuführen. Und sicher sind meine Kontakte bei der Weiterentwicklung dieser Universität durchaus nützlich.

Sie schreiben heute Briefe an Dozenten und bitten sie um Verständnis dafür, dass Studierende am Bildungsstreik teilnehmen. Zuvor haben Sie mit Botschaftern und Staatsoberhäuptern verhandelt.

Das ist doch ein schönes Beispiel dafür, dass Diplomatie auch in anderen Kontexten nützlich ist. Im Bildungsstreik war es mir möglich, mit den Studierenden und ihren Vertretern im Gespräch zu bleiben. Die Studierenden selber haben immer wieder kommuniziert: "Eigentlich fühlten wir uns an der Viadrina gut betreut." Aber sie wollten auch grundsätzliche Bedenken zu Bologna vortragen, und mit den streikenden Studierenden in Berlin oder Potsdam solidarisch sein.

Was ist denn das besondere an der Viadrina?

Die Viadrina ist von ihren Anfängen an auch ein symbolisch-politisches Projekt: Schauen Sie sich an, welche Institutionen im deutsch-polnischen Verhältnis die Menschen zueinander bringen: Das ist das Deutsch-Polnische Jugendwerk, die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung - übrigens auch in Frankfurt an der Oder beheimatet -, das sind viele Organisationen, Vereine und Initiativen. Aber als Erstes kommen alle auf die Viadrina als einen weit sichtbaren deutsch-polnischen Leuchtturm zu sprechen.

Wie realisiert sich das denn ganz konkret in Frankfurt?

Wir haben uns durch das Flugzeugunglück in Smolensk ganz besonders betroffen gefühlt. Die Viadrina empfindet sich als Brücke zwischen Deutschland und Polen. Mit Polen haben wir die engsten und umfassendsten Beziehungen. Mit unserem Partner, der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen, haben wir im Collegium Polonicum eine in Europa einzigartige gemeinsame Institution. Auch deshalb fühlen wir uns in dieser schweren Zeit in ganz besonderem Maße unseren polnischen Freunden verbunden. Durch eine Gedenkfeier, Kondolenzschreiben und andere Veranstaltungen haben wir unsere Bestürzung und unsere Trauer kundgetan. Aber an der Viadrina ist das deutsch-polnische Verhältnis ein ständiges Thema - wir können durch die tägliche erfolgreiche Arbeit etwas tun, auch im Gedenken an die Opfer aus Smolensk. Im Alltäglichen und in Forschung und Lehre sind wir den Nachbarn - nicht nur in der Trauer - sehr verbunden. So haben etwa Studierende in eigener Initiative eine grenzüberschreitende Buslinie zwischen Frankfurt und Slubice organisiert.

Wenn wir vom Kleinen aufs Große schließen: Welche Vision haben Sie von der Bedeutung des deutsch-polnischen Verhältnisses in Europa?

Dazu gibt es ein Zitat, dass den Stellenwert der deutsch-polnischen Beziehungen verdeutlicht: Wladimir Putin hat sinngemäß gesagt, die Messlatte für die polnisch-russischen Beziehungen solle die Intensivität und Qualität der deutsch-polnischen Beziehungen sein. Für mich ist das ein schöner Beweis, dass auch bei anderen schwierigen bilateralen Beziehungen die deutsch-polnischen Beziehungen ein Vorbild sein können. So wie es etwa das deutsch-französische Verhältnis für die deutsch-polnische Aussöhnung war.

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