DEMOKRATIE: Grüne, CDU und FDP heimlich einig
Gestern wurde ein Rechnungshof-Vizepräsident gewählt. SPD und Grüne demonstrierten an dem Fall, dass eine Koalition sich nicht in jeder Frage einigen muss.
Mit 45 gegen 36 Stimmen wurde gestern Detlef Meyer-Stender von der Bürgerschaft zum neuen Vizepräsident des Rechnungshofes gewählt. Die Nachricht erscheint so banal wie das Amt. Und dennoch hat das Bremer Landesparlament seit Monaten kaum einen so spannungsreichen Tag erlebt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bremischen Bürgerschaft gab es zwei Kandidaten für ein Rechnungshof-Amt, und das Ergebnis war bis zuletzt unkalkulierbar. Die Abstimmung war geheim, dennoch darf man getrost davon ausgehen, dass SPD und einige bei der Linken für Cornelia Wiedemeyer stimmten, CDU, FDP und Grüne hatten sich deutlich für Meyer-Stender ausgesprochen.
Wenn in einer Kommune Verwaltungsposten zu vergeben sind, dann handeln das in der Regel die Koalitionsparteien vertraulich aus. So war es, als der jetzt in Ruhestand gehende Joachim Baltes in den Rechnungshof kam. Die CDU war damals "dran", Baltes war als Staatsrat der CDU ausgeschieden und für ihn hatte die Partei keine Verwendung - die CDU bestand darauf, dass ihr Mann den Posten kriegen müsste und der SPD-Koalitionspartner stimmte zu, weil damit klar war, wer den nächsten Posten vergeben durfte.
"Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, bei der Besetzung von Stellen die qualifiziertesten Personen auszuwählen", erklärte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner gestern, und verwies auf eine lange Reihe von Besetzungsverfahren, bei denen das in den vergangenen drei Jahren gelungen war. Wiedemeyer, die lange Jahre finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion gewesen war, sei durchaus auch qualifiziert für das Rechnungshof-Amt, versicherte Güldner, aber der Bewerber aus Hamburg, der selbst zehn Jahre dort im Rechnungshof gearbeitet hatte, bringe eben mehr mit. Da sich die Koalition nicht verständigen konnte, wurde die Abstimmung in der Bürgerschaft freigegeben.
Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP trugen ihre Positionen ganz sachlich vor, und für die SPD ging Björn Tschöpe auf diesen Stil ein - und akzeptierte damit diese beispiellose Ausnahme vom Koalitionszwang. Die rot-grüne Koalition im Bremer Parlament hat auch an anderen Stellen gezeigt, dass offen ausgetragene Meinungsunterschiede nicht immer zum spektakulären Koalitionskrach symbolisch überhöht werden müssen. So hat gestern die SPD in Sachen Studiengebühren eingelenkt - vor zwei Wochen, als die Grünen ankündigten, dass sie die Verlängerung des entsprechenden Gesetzes nicht mitmachen wollen, war die SPD eher verschnupft. Im Falle der Gründung von Privatschulen haben die Grünen ihre abweichende Meinung deutlich gemacht, ohne eine Entscheidung erzwingen zu wollen - mit Verweis auf das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht.
Im Falle des Rechnungshofes ging es vor allem auch darum, wie "politisch" man die Kontrollaufgabe ausfüllen würde. "Das Amt des Vizepräsidenten ist kein politisches Amt", erklärte der FDP-Vorsitzende Uwe Woltemath. Dem Amtsvorgänger Baltes war intern manchmal vorgeworfen worden, die sachliche Ebene litte manchmal unter seinem politischen Eifer.
Der nun gewählte Detlef Meyer-Stender ist Lübecker, hat in Hamburg im Innenressort als Abteilungsleiter gearbeitet, bevor er zum dortigen Rechnungshof wechselte. In den letzten Jahren war er Abteilungsleiter bei "Immobilien Hamburg".
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