die wahrheit: Orchideenterrorist mit Frauenschuh

"Ihr Engländer", sagte Kaiser Wilhelm II. 1908 in einem Interview mit dem Daily Telegraph, "seid verrückt, verrückt, verrückt wie die Märzhasen."

Er musste es wissen, denn seine Oma Victoria war Königin von England. Unter ihrer Herrschaft uferte die dem Engländer angeborene Leidenschaft für Blumen zur Besessenheit aus. Die Untertanen hatten es wie die Monarchin, nach der zahlreiche Rosen und Lilien benannt sind, vor allem auf Orchideen abgesehen.

Sie nannten es "Orchidelirium", und viele kamen bei der Jagd nach der seltenen Pflanze ums Leben. Manchmal musste auch das Objekt der Begierde dran glauben. Einmal reiste eine Gruppe viktorianischer Orchideenliebhaber Tausende von Kilometern durch Amerika, um eine bestimmte Spezies zu finden. Als sie nach mehreren Wochen aufgaben und ihr Lager abbrachen, stellten sie fest, dass sie ihr Zelt ausgerechnet auf der gesuchten Orchidee aufgebaut und sie zerstört hatten.

Überhaupt bekam die englische Orchidophilie den Pflanzen nicht sonderlich gut. Die Frauenschuh-Orchidee zum Beispiel galt 1917 in Großbritannien offiziell als ausgestorben. Dreizehn Jahre später stolperte ein Botaniker in Yorkshire über ein Exemplar dieser Pflanze. Vier Jahrzehnte lang hütete der Mann sein Geheimnis, er weihte lediglich ein paar Kollegen ein. Die gründeten sofort ein Komitee, ein anderes englisches Hobby.

Seitdem versucht dieses Komitee, die Pflanze zu züchten, doch die meisten Ableger gingen ein, wurden geklaut oder – noch schlimmer – waren mit fremden europäischen Genen verseucht. Von den Orchideen, die überlebten, hat keine jemals geblüht. Deshalb ist die Originalpflanze so wertvoll, denn sie wird in diesem Monat wieder für kurze Zeit blühen. Die Botanikapostel sind bereits in heller Aufregung.

Die Polizei ist es auch. 2004 versuchte nämlich ein Hortikulturterrorist, die Pflanze auszugraben, erwischte aber nur einen Ableger. Vorigen Juni gelang es einem anderen Pflanzenschänder, eine Blüte abzuschneiden. Die bringt auf dem Gewächsschwarzmarkt bis zu 5.000 Pfund. Genauso hoch ist die Strafe, wenn man erwischt wird.

Deshalb hat die Polizei an der über hundert Jahre alten Orchidee kodierte Sicherheitsmarkierungen angebracht, um Diebe eindeutig überführen zu können. Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist das Gebiet um die Pflanze wie ein Ort eines Verbrechens mit Polizeiband abgesperrt. Ein botanisches Sondereinsatzkommando sorgt für Polizeischutz rund um die Uhr.

Tony Marsh, der die "Operation schlafende Knospe" leitet, sagte: "Die Leute kommen aus dem ganzen Land, es ist wie eine Pilgerfahrt, und viele sind überwältigt von ihren Gefühlen, wenn sie die Orchidee in Blüte sehen. Es ist aber vollkommen illegal, die Pflanze zu berühren. Leider gibt es Leute, die das Gewächs stehlen wollen. Manche Sammler sind gemeingefährlich." Demnächst soll auch noch eine Video-Überwachungskamera installiert werden.

Die Pflanze steht übrigens auf dem Silverdale-Golfplatz in Lancashire. Al-Qaida soll einen Golfkurs belegt haben.

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kari

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