Antisemitismus?: Getrennt gegen Kapitalismus

Der Streit in der Linken um die richtige Kapitalismuskritik und die Position zu Israel geht weiter. Antideutsche und Antiimperialisten wollen einander ausschließen.

Zankapfel: Das Internationale Zentrum B 5 in der Brigittenstraße auf St. Pauli. Bild: Miguel Ferraz

"Merkwürdig, dass die immer noch als links gelten", sagt ein Sprecher des Sozialforums Eimsbüttel. Die, das sind diejenigen, über die an diesem Samstagabend geredet werden soll, auf Einladung der Gruppe Tierrechts-Aktion-Nord (TAN): Es ging um die so genannten "Antideutschen" und den ihnen unterstellten "Klassenkampf von oben". Die damit gemeinten waren nicht gekommen, und das war durchaus zu erwarten. Zu tief sind die Gräben in der Hamburger Linken inzwischen. Schon lange redet man lieber über- als miteinander.

Mit dem "Lanzmann-Skandal" hatte der Konflikt zwischen dem pro-israelischen antideutschen Lager auf der einen und den traditionell pro-palästinensischen Antiimperialisten aus dem Internationalen Zentrum B 5 auf der anderen Seite im Oktober vergangenen Jahres einen neuen Höhepunkt erreicht. An der gewaltsamen Blockade des Claude-Lanzmann-Films "Warum Israel" waren neben der Sozialistischen Linken (SoL) auch Aktivisten der TAN beteiligt. Die Blockierer wollten ihre Aktion anschließend nicht gegen dem Lanzmann-Film gerichtet verstanden wissen, sondern gegen die Gruppe, die den Film im benachbarten Programmkino B-Movie zeigen wollte und die sie dem antideutschen Lager zurechnen.

Nach der Blockade gründete sich das "Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten", das sich nach eigenen Angaben auf die Fahnen geschrieben hat, die Blockade des Lanzmann-Films zu "skandalisieren". Es wirft den Antiimperialisten aus dem Umfeld der B 5 eine verkürzte Kapitalismuskritik und damit strukturellen Antisemitismus vor. Grob gesagt ist die These: Wer gegen einzelne Akteure des kapitalistischen Systems Stimmung macht, landet unweigerlich bei antisemitischen Stereotypen.

2002 kommt es im linken Radiosender Freies Sender Kombinat (FSK) zum Streit zwischen "Antideutschen" und Antiimperialisten um Antisemitismus und Rassismus

2003 werden Sendeverbote im FSK verhängt. Es gibt Prügeleien

2004 fordert die antideutsche Zeitschrift Bahamas auf einer Demonstration die Schließung des Internationalen Zentrums B 5

2009 verschärft sich der Konflikt mit der Blockade des Lanzmann-Films "Warum Israel?"

Ein TAN-Aktivist hält dagegen, die Antideutschen würden mit ihrer abstrakten, entpersonalisierten Kapitalismuskritik "Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung durch die herrschenden Klassen diskreditieren und delegitimieren". Der Kapitalismus sei ein System von Struktur und Handlung und "vor allem eine brutale Herrschaft des Menschen über den Menschen".

Die verfeindeten Gruppen haben sich aufeinander eingeschossen: "Der Konflikt wird weiter schwelen, solange es in einigen linken Kreisen toleriert wird, dass Antideutsche mitmachen", sagt ein SoL-Aktivist. Die Gegenseite ist auch nicht zimperlich: Bereits im Zuge des Streits um das Freie Sender Kombinat (FSK) (siehe Kasten) hatten Antideutsche 2004 die Schließung der B 5 verlangt. Die Forderung, mit der B 5 einen Ort, zu schließen, an dem vor allem migrantische Gruppen organisiert sind, setzte sich innerhalb der Szene aber nicht durch. "Kaum jemand in der Linken" stehe ausdrücklich auf der Seite der B 5, behauptet das Unzumutbarkeits-Bündnis. Aber viele seien dennoch bereit, "ihnen ihr Plätzchen im Bündnis, auf dem Stadtteilfest oder sonst wo in der Szene freizuhalten".

Endgültig aufgekündigt hat diesen Konsens die Rote Flora mit ihrer Absage, an der diesjährigen revolutionären 1.-Mai-Demo teilzunehmen. Auch die Band Deichkind wollte lieber doch nicht auf der Abschlusskundgebung auftreten. Das Flora-Plenum erklärt, dabei handele es sich weniger um eine inhaltliche Distanzierung, wenngleich die Demo in ihrem diesjährigen Zuschnitt auf eine "eindimensionale und personalisierende Kapitalismuskritik von vielen im Projekt kritisiert und als Rückschritt hinter den Diskussionsstand der radikalen Linken" bewertet werde. Das Problem sei vielmehr die an der Demonstration beteiligte Gruppe SoL. Die sei zuletzt mit der gewaltsam verhinderten Filmvorführung "unangenehm aufgefallen". Mit ihr gebe es keine Zusammenarbeit, da sie sich "als völlig uneinsichtig und zu keiner Selbstkritik bereit erwiesen" habe. Auch ohne die Flora kamen rund 1.500 überwiegend junge Menschen zur revolutionären Maidemo - unerwartet viele.

In der folgenden Nacht flog eine Flasche ins Fenster der B 5. Bei dem Täter handele es sich um einen "uns bekannten Antideutschen", der sich zu einer Gruppe weiterer Antideutscher aus dem Unzumutbarkeits-Bündnis geflüchtet habe. Es kam zu Beschimpfungen und Rangeleien.

Während für die B 5 der "direkte antideutsche Angriff auf linke Freiräume eine neue Form der Auseinandersetzung" darstellt, distanziert sich das Unzumutbarkeitsbündnis von dem Flaschenwurf. Zwar sei es "gut möglich, dass sich auch die Flaschenwerfer auf unserer Seite der Konfrontation wähnen". Daraus folge aber nicht, dass es zu entschuldigen sei. Vielmehr zeige sich, "dass in einer entsprechenden Konstellation auch die Zustimmung zu Antisemitismuskritik und Israel-Solidarität nicht allein von politischer Einsicht bestimmt sein muss, sondern zum Gegenstand von Identitätsbedürfnissen werden kann".

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