Nationalsozialismus: Das Haus des Zwangs
An die furchtbare Rolle des früheren Arbeitshauses Rummelsburg bei der Verfolgung "Asozialer" erinnern jährliche Gedenktage und ein neuer Dokumentarfilm.
Selten hatte ein Gedenken an diskriminierte und ermordete Menschen einen derart passenden Rahmen wie am vergangenen Sonntag an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. Am Jahrestag der Aktion "Arbeitsscheu Reich", im Zuge deren 1938 viele tausend Menschen in Konzentrationslager deportiert wurden, soll der Stigmatisierung und Verfolgung von als "asozial" deklarierten Menschen gedacht werden. Der "Arbeitskreis Marginalisierte - gestern und heute" organisiert mittlerweile jährlich eine Gedenkkundgebung an dem, laut dem anwesenden Historiker Thomas Irmer, "zentralen Ort der Verfolgung von sogenannten Asozialen während der NS-Zeit in Berlin": dem früheren Arbeitshaus Rummelsburg.
Zwischen zwei heruntergekommenen Backsteingebäuden auf einem kleinen, mit Unkraut überwucherten Platz versammeln sich drei Dutzend Personen. Das Umfeld ist trist, zufällig Vorbeikommende gibt es auf der unmittelbar angrenzenden Hauptstraße nicht. Hundert Meter hinter einem der Gebäude, abseits der Straße, beginnt eine große Reihenhaussiedlung, in der offensichtlich junge Eltern mit ihren Kindern spielen, Sonntagsausflüge vorbereiten oder zwischen mindestens Mittelklassewagen miteinander plauschen. Vielleicht werden sie später einmal über die wie ein Fremdkörper wirkende Kundgebung sagen: "Davon haben wir nichts gewusst." In der Mitte der Hauptstraße verlaufen Schienen, bei deren Anblick man unwillkürlich an Massendeportationen denkt. Selbst das Wetter hat sich angepasst - kalter Wind lässt die Mehrzahl der spärlichen Anwesenden frösteln.
Alles andere als herzerwärmend waren auch die meisten der sieben Redebeiträge. So hielt die Historikerin Susanne zur Nieden fest, dass bei der Opferentschädigung nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Besatzungszonen (und später in beiden deutschen Staaten) von Anfang an ausschließlich die aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen Verfolgten kollektiv Entschädigungen erhielten. Etliche Opfergruppen hätten bis heute keine Anerkennung erhalten, darunter eben auch die sogenannten "Asozialen". Obwohl bei Letzteren von Zehntausenden Betroffenen ausgegangen werden muss, sei nur in "Härtefällen" Geld bewilligt worden. Davon gab es genau 203, wie die ebenfalls anwesende Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) von der Bundesregierung erfuhr.
Traurig mutet auch die Höhe der "Entschädigungszahlung" an, die sich immerhin auf einen langen KZ-Aufenthalt bezieht, an: 5.000 DM pro Person. Noch vor zwei Jahren wollte die damalige Bundesregierung auf Anfrage keine Anstrengungen zur Aufklärung des genauen Ausmaßes der NS-Verbrechen an sogenannten Asozialen unternehmen.
Und im Fall Rummelsburg gilt es nicht nur, die Missetaten des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Sowohl davor als auch danach wurden hier ebenfalls, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, als "asozial" Deklarierte verfolgt. Das Museum Lichtenberg im Stadthaus wird im Herbst die Ausstellung "In Haft sein in Rummelsburg" eröffnen, wo neben der von 1951 bis 1990 das Gelände belegenden Strafvollzugseinrichtung (einschließlich einer Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit) auch die Geschichte des Arbeitshauses in der Kaiserzeit behandelt werden wird.
Mit den Formen von Arbeitszwang seit 1879, als das Arbeitshaus Rummelsburg eröffnet wurde, befasst sich auch der halbstündige Dokumentarfilm "arbeitsscheu - abnormal - asozial. Zur Geschichte der Berliner Arbeitshäuser", den die Filmemacherin Andrea Behrendt 2009 drehte. Er zeigt anhand der seinerzeit für 1.000 Personen ausgelegten größten derartigen Einrichtung Preußens, aber auch durch aktuelle Bezüge - Stichwort: Arbeitszwang für Hartz-IV-Empfänger -, dass Kapitalismus eine Disziplinargesellschaft erfordert.
Lieber ins Zuchthaus
Deren kulturelle Begleiterscheinung war es, dass Homosexuelle, psychisch Auffällige, Sexarbeiterinnen und "Frauen mit Lebensentwürfen jenseits der Mutterrolle", wie es in dem Film heißt, als Volksschädlinge angesehen und, neben Delinquenten, die nach ihrer Haft das gewünschte Arbeitsethos entwickeln sollten, in Arbeitshäusern eingesperrt wurden. Zwar dienten diese von Beginn an auch der Armenfürsorge, doch angeblich war zumindest zeitweise vielen Betroffenen eine Einweisung in ein Zuchthaus lieber - weil dort die Disziplinierung nicht so unerbittlich war.
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