DAS SOGENANNTE BÖSE: "Schwierig sind die Phantasien"

Der Bremer Fallanalytiker Axel Petermann ermittelte in über 1.000 Todesfällen. Schwierig findet er trotzdem, das Böse zu definieren. Sein Buch über Mord und Totschlag steht seit Wochen auf der Bestsellerliste.

"Zu verstehen, warum jemand tötet, ist manchmal möglich": Profiler Axel Petermann Bild: Scherhaufer/Ullstein

taz: Herr Petermann, warum heißt ihr Buch "Auf der Spur des Bösen"?

Das war der Vorschlag des Verlages. Ich hätte es vielleicht etwas sachlicher genannt.

Was soll das sein, das Böse?

war Chef der Mordkommission, bevor er die Abteilung "Operative Fallananalyse" des Landeskriminalamtes übernahm. Dort versucht er, mit Hilfe der Erstellung von Täterprofilen die Hintergründe von Tötungsdelikten aufzuklären.

Das Buch: "Auf der Spur des Bösen: Ein Profiler berichtet" (Berlin, Ullstein, 304 Seiten, 8,95 Euro) ist im Juni erschienen, die vierte Auflage ist in Vorbereitung.

Das ist schwierig zu definieren. Vielleicht geht es so: Böse ist, wer sich anders verhalten könnte, sich aber wissentlich gegen diese Möglichkeit entscheidet. Die Frage für mich ist dann: Wie geht ein Täter vor? Da spielen Emotionen oft eine große Rolle, Wut, Hass, Zuneigung. Die führen dazu, dass jemand etwa mit unbändiger Gewalt so lange auf jemanden einschlägt, bis ihn die eigenen Kräfte verlassen. Wir sprechen dann von ,übertöten'. Gleiches gilt für die Kombinationen von Erstechen, Erwürgen und Erschlagen. So groß kann der Hass meist gar nicht ausgeprägt sein, wenn man sich fremd ist.

Es ist also wahr, dass das Risiko am höchsten ist, von Angehörigen, Liebespartnern oder Freunden ermordet zu werden?

Ja klar! Für Frauen ist das höchste Risiko getötet zu werden der Beziehungspartner oder der Ex. Ähnliches gilt für Gewalt gegen Kinder. Daher rührt auch unsere hohe Aufklärungsrate: Viele Tötungsdelikte werden unter Menschen begangen, die sich kennen.

Wie hoch ist denn die Aufklärungsrate?

Zwischen 90 und 95 Prozent.

Und von wie vielen Fällen sprechen wir?

Bundesweit sind es jährlich etwa 750 vollendete Tötungsdelikte.

Sie beschreiben Ihre Arbeit als den Versuch, ,Täter zu verstehen'. Können Sie verstehen, wenn jemand besonders brutale Morde begeht?

Zu verstehen, warum jemand einen Menschen tötet, ist manchmal möglich. Schwierig wird es, wenn dabei Phantasien umgesetzt werden. Da kann es hilfreich sein, Menschen zu Rate zu ziehen, die sich mit so etwas auskennen, etwa eine Domina oder andere Täter. Manchmal kann der Täter selbst seine Tat nicht erklären. So war es in einem Fall, in dem Opfer ein Ohr abgeschnitten wurde. Erst als ich jemanden, der ein ähnliches Verbrechen begangen hatte, befragte, kam ich auf die Lösung: Das Opfer hatte dem Täter nicht zugehört. Als ich den Täter damit konfrontierte, wurde dem klar, dass dies eine Reaktion darauf gewesen sein könnte. Seine Mutter hatte nie zugehört, ihn vernachlässigt. Sein Opfer starb symbolisch.

Verfolgen Sie, was vor Gericht mit ihren Fällen geschieht?

Es war für mich immer wichtig zu wissen, was dort herauskommt, wie ich mit meiner Einschätzung gelegen habe. Warum wurden manche Beweise, die ich für erdrückend gehalten habe, verworfen? Mit manchen Urteilen konnte ich gut leben, mit anderen eher nicht. Insgesamt glaube ich aber, dass wir mit unserem Rechtswesen in einer ganz guten Position sind.

Sind Sie Psychologe?

Nein, ich habe bei der Polizei gelernt, mich autodidaktisch und auf Tagungen weiter gebildet.

Amerikanische Serien sind voll von ,Profilern'. Wurde dieser Ermittlungsansatz von dort übernommen?

Ja, ich bin auch ein Kind der amerikanischen Schule, die in den neunziger Jahren nach Deutschland schwappte. Das FBI hat hier für uns Schulungen durchgeführt. Seine Methoden wurden dann vom BKA perfektioniert.

Ihr Buch ist ein Riesenerfolg. Hat Sie das überrascht?

Ich habe nicht damit gerechnet, dass nach sechs Wochen über 30.000 Exemplare verkauft sein würden. Allerdings lief es schon vorher gut: Ein Stern-Journalist und ein wissenschaftlicher Verleger brachten mich auf die Idee. Ich habe acht Exposés verschickt und fünf Zusagen bekommen - auch von anderen renommierten Verlagen.

Darf man als Polizist überhaupt so ein Buch schreiben? Es besteht ja praktisch nur aus Dienstinterna.

Der ehemalige Polizeipräsident Eckard Mordhorst war begeistert und auch sein Nachfolger und die Staatsanwaltschaft haben mich unterstützt. Bedingung war natürlich, dass ich Opfer, Beschuldigte, Tatorte und -zeiten anonymisiere.

Mussten Sie sich das Manuskript vor Drucklegung von Vorgesetzten abnehmen lassen?

Nein, da hat man mir vertraut.

Sie beraten die Redaktion der Bremer "Tatorte". Wie realistisch sind die?

Anfangs habe ich versucht, dass sich die Drehbuchschreiber unserer Arbeit anpassen. Irgendwann lernte ich, dass die Plots der Unterhaltung dienen. Nur die Praxis zu zeigen, wäre wohl einfach langweilig geworden.

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