Beziehungsdrama auf Arte: Er will Revolution, sie Familie

Der Film "Die letzten 30 Jahre" erzählt von einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und vielleicht deswegen nicht voneinander loskommen.

Der Revoluzzer Oskar (David Rott) will die Unschuld vom Lande, Resa (Rosalie Thomass), so schnell wie möglich wieder loswerden. Es wird ihm nicht gelingen. : wdr/thekla ehling

BERLIN taz | Mit viel zu viel Proviant von ihrer Mutter und ihrem derben oberbayerischen Dialekt im Gepäck zieht Resa (Rosalie Thomass) 1974 zum Studium nach München. Richterin will sie werden. "Bei Jura geht's um Recht und Unrecht, also Gerechtigkeit, das ist doch wichtig", erklärt sie Oskar (David Rott), den sie kennenlernt, als er im Hörsaal Flugblätter gegen einen Professor mit NS-Vergangenheit verteilt. "Schon mal Marx gelesen, Karl Marx?", fragt er. "Nein." - "Solltest du aber." - "Warum?" - "Ist wichtig."

Nach der Erstsemesterparty gehen sie miteinander ins Bett. Am nächsten Morgen will der Revoluzzer die Unschuld vom Lande so schnell wie möglich wieder loswerden. Es wird ihm nicht gelingen.

Michael Gutmann, Regisseur ("Tatort: Der oide Depp") und Drehbuchautor ( "Mein Leben -Marcel Reich-Ranicki"), der vor lauter Dozieren an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) viel zu selten Filme dreht, erzählt in "Die letzten 30 Jahre" (Buch: Ruth Toma) die Geschichte einer Beziehung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und vielleicht deswegen nicht voneinander loskommen. "Was die Welt braucht, ist gemischte Systematik" heißt es in Oskars Debattierzirkeln immer wieder. Die Anziehung zwischen ihm und Resa spiegelt dieses Prinzip im Privaten, das für den jungen Oskar weit hinter seiner politischen Arbeit zurücksteht. Er will die Revolution, Resa Familie - das kann nicht gut gehen. Irgendwann ist Oskar weg, spurlos verschwunden, scheinbar endgültig. Resa lässt das gemeinsame Kind abtreiben.

Als sie sich 20 Jahre später wieder über den Weg laufen - nun verkörpert von Barbara Auer und August Zirner, ist es Oskar, der Familie hat und Resas Nähe sucht - auch wenn sie sich nun als Gegner vor Gericht gegenüberstehen: Resa als für den Umweltschutz engagierte Anwältin - den Traum von der Karriere als Richterin hat ihr Engagement bei Oskars "Roten Zellen" zerstört -, Oskar als Sprecher des CDU-Wirtschaftsministeriums.

Die große Stärke von Gutmanns Film ist es, dass er nicht mehr sein will als ein Beziehungsdrama und sich ganz auf die Konflikte der Protagonisten miteinander, mit sich selbst, aber auch der Welt da draußen konzentriert. Das gibt den Schauspielern Raum, den Lebensentwürfen und deren Verwerfungen nachzuspüren, verleiht ihren Figuren Tiefe. Wenn der ältere Oskar etwa, nachdem Resa ein gemeinsames Wochenende hat platzen lassen, zu Hause den Rasen mäht und seine Frau ihm eine Kusshand zuwirft, blickt er so melancholisch drein, wie im deutschen Fernsehen fast nur August Zirner gucken kann.

Diese Subtilität zeichnet das gesamte Ensemble aus, allen voran aber die hinreißende Rosalie Thomass, die ihre Figur über die verschiedenen Zeitsprünge hinweg behutsam weiterentwickelt: den Dialekt zurücknimmt, auch die Naivität, ihr aber trotz aller Rückschläge diese leise Resolutheit und Geradlinigkeit bewahrt, die Barbara Auer nahtlos aufnimmt, als wäre sie mindestens die Mutter von Rosalie Thomass, wenn nicht gar ein und dieselbe Person.

"Die letzten 30 Jahre" (Arte, Freitag 20.15 Uhr)

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