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SozialpolitikChronischer Missstand im Amt

Im Kevin-Prozess wird der angeklagte Amtsvormund von seinem Chef entlastet. Das Betreuungssystem ist immer noch weit davon entfernt, angemessen zu sein

Ein Amtsvormund, der an seinen Strukturen scheitern musste Bild: dpa

Es ist dieselbe Frage, immer wieder. "Was ist daraufhin passiert?" Und auch immer dieselbe Antwort: "Nichts."

Tag 4 des Kevin-Prozesses. Angeklagt ist der frühere Amtsvormund, der heute 67-jährige Bert K. Er muss sich vor dem Landgericht Bremen wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Als Zeuge geladen: Siegfried Essmann, Sozialarbeiter und Leiter des Sozialzentrums Mitte, damals der Vorgesetzte des K.

Immer wieder schildert der 46-Jährige die Zustände im Jugendamt, damals, "vor Kevin". Wie sie dort versucht haben, auf ihre "nicht haltbare", wie er es nennt, "nicht vertretbare" Situation aufmerksam zu machen. Beim Amtsleiter. Bei der Senatorin. Erfolglos. Essmann nennt den Amts- einen "Aktenvormund": "Seine tatsächliche Aufgabe" - also: die elterliche Sorge zu übernehmen - "konnte er gar nicht wahrnehmen".

650 bis 700 Kinder und Jugendliche waren seinerzeit zu betreuen - von weniger als drei Amtsvormündern. Heute, sagt Essmann, seien es de facto immer noch 100 bis 140 pro Person, auch wenn die offizielle Statistik "nur" von 80 bis 90 spricht. Und die Fluktuation ist groß. ExpertInnen sind sich seit zehn Jahren einig, dass maximal 50 Amtsvormundschaften pro Person "angemessen" sind. Diese Zahl will jetzt auch das Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gesetzlich festschreiben.

Allenfalls jeder zehnte Mündel, sagt Essmann, komme für eine ehrenamtliche Vormundschaft in Frage. Und Fälle, die "quasi als Kür mitlaufen"? Das seien "nur wenige". Und dass Eltern drogenabhängig sind, so wie jene von Kevin, ist wohl auch keine seltene Ausnahme.

Schon vor fünf Jahren, ein Jahr bevor Kevin starb, haben sie im Jugendamt "immer wieder eindringlich" eine bessere personelle Ausstattung eingefordert. Essmann spricht von dem Versuch, "in kleinen Schritten" Entlastungen zu erreichen. "Angemessen" wären schon damals 14 zusätzliche Amtsvormünder gewesen. Schon ein einziger wäre als ein "Fortschritt" empfunden worden. Welche Reaktion all die Schreiben hervorgerufen hätten, wird Essmann gefragt. "Ich kann mich an keine erinnern." Irgendwann haben sie im Amt zunehmend davon Abstand genommen, auf ihre Überlastung aufmerksam zu machen. "Das bindet Zeit", sagt Essmann, "und hat keinen Effekt".

Natürlich, schon damals gab es, wenn auch vielleicht nur vage Dienstanweisungen, doch Leitlinien und Konzepte, die aussagen, wie eine Amtsvormundschaft aussehen soll. Nur: "Die hatten nichts mit der Realität zu tun", sagt Essmann. "Damit muss ich mich nicht beschäftigen." Natürlich, mittlerweile habe sich vieles geändert. Zum Beispiel müsse der Vormund nicht mehr so viel "Detektivarbeit" leisten, um sich überhaupt die nötigen Information zu beschaffen. Auch die Zusammenarbeit aller Beteiligten in den Stadtteilen habe sich verbessert. Und so weiter.

Essmann selbst habe nach eigenem Bekunden von dem "Fall Kevin" erst an jenem Morgen im Oktober 2006 erfahren, als das Kind tot aufgefunden wurde. Er geriet deshalb auch nicht ins Visier der Staatsanwaltschaft. Natürlich hat er, nachher, viel mit K. geredet. Und findet es "plausibel", dass der nicht von einer "akuten Kindeswohlgefährdung" ausging. Auch wenn man jetzt alles viel besser weiß. Bert K., sagt Essmann, war einer, der "immer sehr zuverlässig und geradlinig" war. Einer, "auf den man sich verlassen konnte". Nur an eine einzige Beschwerde über K. kann er sich erinnern. Und die war "nicht von Bedeutung".

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