Erste Bilanz zum neuen Vergaberecht: Mindestlohn bleibt im Dunkeln

Das Land zahlt neuerdings bei Aufträgen mindestens 7,50 Euro pro Stunde. In vielen Ausschreibungen spielt das bisher aber keine Rolle. Für Unternehmen ist das ein Problem.

Ein lukrativer Auftraggeber für Unternehmen: Die Landesregierung vergibt jedes Jahr Aufträge im Wert von bis zu fünf Milliarden Euro. Bild: Reuters

Seit zwei Wochen gilt der Mindestlohn von 7,50 Euro für landeseigene Aufträge - doch noch fehlt es in Ausschreibungen an konsequenten und deutlichen Hinweisen darauf. Unternehmen, die die Gesetzesänderung nicht mitbekommen haben, wissen also derzeit nicht, mit welchen Löhnen sie ihre Angebote kalkulieren müssen. Das ist besonders bei großen Ausschreibungen brisant, bei denen sich Unternehmen aus der gesamten Europäischen Union bewerben können. Die Industrie- und Handelskammer fordert daher vom Senat mehr Transparenz und eine bessere Aufklärung der Unternehmen über die besonderen landesrechtlichen Vorgaben.

Das Ausschreibungs- und Vergabegesetz gilt für alle Aufträge, die der Senat, die Bezirke und die landeseigenen Unternehmen vergeben. Es geht dabei um Aufträge im Wert von 4 bis 5 Milliarden Euro pro Jahr - also rund 5 Prozent des Berliner Inlandsproduktes. Die Mitarbeiter eines Unternehmens müssen nur dann 7,50 Euro verdienen, wenn sie gerade im Landesauftrag arbeiten. Während der restlichen Arbeitszeit verdienen sie das Gleiche wie vorher auch.

Es ist nicht einfach, herauszufinden, seit wann dieses Landesgesetz genau gilt. Das Abgeordnetenhaus hatte es am 8. Juli beschlossen. Doch ein Gesetz tritt erst in Kraft, nachdem es im "Gesetz- und Verordnungsblatt" veröffentlicht wurde. Das geschah in diesem Fall am 22. Juli auf den Seiten 399 bis 401. Weder der Senat noch die Medien haben darauf hingewiesen.

Es gibt hunderte unterschiedliche Stellen in Berlin, die Ausschreibungen veröffentlichen. Jede Senatsverwaltung macht das selbst, jeder Bezirk, jede untergeordnete Behörde, die BVG, jede der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die BSR und so weiter. Ein abgestimmtes Vorgehen gibt es nicht.

Der Bezirk Spandau geht mit positivem Beispiel voran. Am 28. Juli veröffentlichte die Bauabteilung von Stadtrat Carsten-Michael Röding (CDU) eine Ausschreibung unter anderem für die Aufsicht im Museum Zitadelle. Die Unternehmen, die sich dafür bewerben wollen, werden ausdrücklich darauf hingewiesen, ihren Mitarbeitern "bei der Ausführung der Leistung mindestens ein Stundenentgelt von 7,50 EUR zu bezahlen".

Anders die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Am 29. Juli veröffentlichte sie eine Ausschreibung über die Sanierung von Treppen, Steinbänken und Gräbern auf einem Friedhof. Ein Hinweis auf den Mindestlohn gibt es nicht. "Wenn ein Unternehmen sich auf eine Ausschreibung bewirbt, muss es immer das aktuelle Recht einhalten - darauf muss man nicht gesondert hinweisen", sagt Junge-Reyers Sprecherin Petra Rohland. Den Mindestlohn müssten die Unternehmen auf jeden Fall bezahlen, auch ohne Hinweis.

Formal ist das zwar richtig, meint Melanie Bähr, Geschäftsführerin des Bereichs Recht der IHK Berlin. "Aber das Vergabegesetz ist gerade bei vielen Mittelständlern, die keine Rechtsabteilung haben, noch nicht so bekannt." Das gelte erst recht für Unternehmen aus anderen Bundesländern oder sogar aus dem Ausland. "Die haben nicht immer im Kopf, wo sie gerade welche Landesregelungen einhalten müssen." Wenn das Angebot eines Unternehmens auffallend niedrig ist, kann die Vergabestelle sich die Kalkulation vorlegen lassen - dann käme heraus, dass ein Unternehmen nicht mit dem Mindestlohn kalkuliert hat. Das Unternehmen würde dann vom Vergabeverfahren ausgeschlossen - der Aufwand für die Bewerbung war dann umsonst. Und das sei ja unnötig, findet Bähr: "Das Land sollte den Unternehmen die höchstmögliche Transparenz bieten."

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