die wahrheit: Inzüchtige Mundatmer
Wenn man nichts zu sagen hat, sollte man das möglichst laut tun. Das ist die Devise des Kollegen Adrian Anthony Gill, der ...
... für die Sunday Times Restaurants und Fernsehprogramme verreißt. Der 56-Jährige aus Edinburgh kann nichts und niemanden leiden, was nicht weiter schlimm wäre, wenn er nicht unter einem unbändigen Mitteilungsbedürfnis litte.
Gill, der seine Freundin stets als "die Blondine" tituliert, ist trockener Alkoholiker und schwerer Legastheniker, sodass er seine Texte diktiert, und irgendein armer Teufel muss sie dann abtippen. Bei Gill paaren sich Dummheit und Fleiß, was dazu führt, dass er auch Romane schreibt. "Seine Beschreibung von Frauen und seine Fixierung auf Genitalien sind ziemlich unpassend", schrieb eine Kritikerin. Der New Statesman drückte es treffender aus: "Ein erschreckender Haufen Müll."
Wenn man mit der Qualität seiner Arbeit nicht überzeugen kann, muss man sich eben einen Namen mit Radau und Beleidigungen machen. Zuerst kamen die Deutschen dran, denen er geschichtslose Kultur vorwarf und vorschlug, an das Brandenburger Tor ein Schild zu hängen mit der Aufschrift "Amnesie macht frei". Da der Durchschnittsengländer ebenso gern über die Deutschen lästert, löste Gills Artikel nicht den Skandal aus, den er sich erhofft hatte. Auch mit den Albanern, die er als "Frettchengesichter mit Stummelbeinchen wie ein Shetland Pony" beschrieb, hielt sich der Aufschrei in Grenzen.
Also musste er heimatnäher nach Opfern suchen. Zunächst nahm er sich ein kleines Völkchen zur Brust. Haupterwerb der Bewohner der Isle of Man sei die Geldwäsche, schrieb er. "Das Wetter ist beschissen, das Essen mittelalterlich, die Insel ist bevölkert von hoffnungslosen, inzüchtigen Mundatmern, lebensmüden Motorradfahren und Menschen, die an Feen glauben." Weil Mick Jagger vorgeschlagen hatte, auf der Isle of Man Drogen zu legalisieren, meinte Gill: "Wen kümmert es, wenn aus der Insel eine Schlangengrube voll hoffnungsloser Süchtiger wird? Wer würde überhaupt den Unterschied bemerken?" Im Tynwald, dem Inselparlament, gab es einen Aufschrei.
Weil das so gut funktioniert hatte, knöpfte er sich danach die Waliser vor. Sie seien "schwatzhafte, heuchlerische, verlogene, unterentwickelte, bigotte, hässliche, streitsüchtige kleine Trolle", schrieb er, und wieder klappte es: Der Artikel war Anlass für eine Debatte im walisischen Regionalparlament über "antiwalisischen Rassismus in der englischen Presse". Dabei kommen die Engländer bei Gill auch nicht besser weg: Engländer seien "eine dumme, rüpelhafte, vulgäre, knopfäugige Herde mit vierschrötigen Ärschen".
Jetzt hat er eine Rezension über Clare Baldings BBC-Reihe "Großbritannien per Fahrrad" geschrieben. "Vor einer Weile habe ich einen Witz über Clare Balding gemacht und gesagt, sie sehe aus wie eine fette Lesbe", heißt es darin. "Danach zupfte mich jemand am Ärmel und erklärte mir, dass sie tatsächlich eine fette Lesbe sei." Das englische "to gill" bedeutet übrigens "Fische ausnehmen". Mitsamt dem Hirn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!