Mangelnde Kontrolle: Gentech-Raps am Straßenrand
Weitab von Gentech-Feldern entdeckten US-Forscher ausgewilderte genmanipulierte Rapspflanzen. Die Gentech-Pflanzen müssen dort schon seit mehreren Generationen wachsen.
BERLIN taz | Kritiker der grünen Gentechnologie haben seit Jahren schon davor gewarnt, dass sich genmanipulierte Pflanzen in der Umwelt unkontrolliert ausbreiten und etablieren können. Ein Wissenschaftlerteam von der University of Arkansas in Fayetteville, der California State University in Fresno und der Umweltbehörde EPA haben dies jetzt auch erstmals nachweisen können.
Weitab von Gentech-Äckern entdeckten sie über fast ganz Nord-Dakota verteilt verwilderte genmanipulierte Rapspflanzen, die dort zum Teil schon in der zweiten Generation oder noch länger wachsen. Auf der Jahreskonferenz der Ecological Society of America in Pittsburgh warnten die Wissenschaftler vor wenigen Tagen, ihre Funde zeigten, dass die Gentech-Pflanzen in den USA nicht ausreichend überwacht würden.
Das Wissenschaftlerteam um Cynthia Sagers untersuchte abseits von Haupt- und Nebenstraßen in Nord-Dakota insgesamt 288 Standorte. An einer über 5.000 Kilometer langen Strecke sammelten sie insgesamt 406 Rapspflanzen ein. 85 Prozent davon wiesen eine Herbzidresistenz auf entweder gegen den Wirkstoff Glyphosat (Roundup von Monsanto) oder gegen Glufosinat (Liberty von der Bayer AG).
Diese Herbizidresistenzen sind von der Natur her nicht in Rapspflanzen vorhanden. Die Gene für diese Resistenzen sind beide bakteriellen Ursprungs. Die von der Forschern gefundenen Gentech-Pflanzen können somit nur von Pflanzen abstammen, die im Labor genmanipuliert worden sind.
Rund 90 Prozent der Rapspflanzen, die in den USA und Kanada auf Feldern stehen, sind genmanipuliert. Es sind vor allem Pflanzen, die gegen Roundup oder Liberty widerstandsfähig gemacht worden sind.
Dass Rapspflanzen leicht "ausbüxen", ist schon seit langen bekannt. Das Phänomen gibt es auch bei konventionellen Pflanzen: In der Nähe von Rapsfeldern sind immer schon Rapspflanzen an Stellen zu finden, wo sie eigentlich nicht wachsen sollen. Sowohl der Pollen als auch der Samen von Raps kann mit dem Wind weit verbreitet werden. Dazu kommt, dass im Boden vorhandener Rapssamen noch nach zehn Jahren auskeimen kann. In der EU ist daher Gentech-Raps bisher nur zur Verarbeitung für die Lebens- oder Futtermittelindustrie zugelassen.
Raps ist nicht koexistenzfähig. Diese Erfahrung mussten auch schon Ökolandwirte in Kanada machen, nach dem dort Gentech-Raps zugelassen worden war. Seitdem können sie keinen gentechfreien Raps mehr ernten.
Für Monsanto sind die Ergebnisse aus Nord-Dakota nicht überraschend. Die Genehmigungsbehörden hätten bei der Freigabe des Gentech-Rapses berücksichtigt, dass Raps auswildern könne, heißt es in einer Mitteilung. Es bestehe keine Gefahr, dass der Gentech-Raps ein nicht mehr kontrollierbares "Unkraut" wird. "Die Pflanzen an Straßenrändern könnten einfach abgemäht werden", empfiehlt Tom Nickson, der bei Monsanto für Umweltschutz zuständig ist.
Nur ganz so einfach ist es nicht. Denn die Pflanzen scheinen mittlerweile überall zu sein. In Kanada, Großbritannien und Japan wurde der ausgewilderte Gentech-Raps in der Nähe von Feldern gefunden, erklärte Cynthia Sagers von der Arkansas-Universität. Ihr Team aber wurde weitab von Feldern an Straßenrändern, in der Nähe von Tankstellen und Supermärkten fündig. Eine mögliche Erklärung ist, dass Rapssamen durch Transportfahrzeuge dorthin verschleppt wurden.
Für die Forscher weitaus überraschender war aber, dass sie auch Rapspflanzen entdeckten, die beide Resistenzgene besaßen. Derartige Pflanzen wurden auch im Labor noch nicht hergestellt. Ausgewilderte Rapspflanzen von Monsanto und von Bayer müssen sich also gekreuzt haben und Tochterpflanzen mit beiden Herbizidresistenzen gebildet haben. Dies ist der erste Nachweis überhaupt, dass ausgewilderte Gentech-Pflanzen in der Umwelt über mehrere Generationen überleben und sich dort auch durch Evolutionsprozesse verändern. Welche Eigenschaften diese Gentech-Pflanzen haben, ob sie eventuell einen Überlebensvorteil haben, ist bisher nicht untersucht worden.
Auch besteht die Gefahr, dass die Herbizidresistenzen auf andere Pflanzenarten übertragen werden. Weltweit gebe es etwa 40 Arten, die als Kreuzungspartner für Raps in Frage kommen. Darunter sind auch Arten, die als "Unkräuter" von Landwirten mit Herbiziden bekämpft werden. Sollten sie herbizidresistent werden, dann müsste man zu anderen Herbiziden als Roundup oder Liberty greifen, meint die Ökologin Alison Snow von der Ohio State University.
Ob das Problem so einfach lösbar ist, wenn die nächste Generation der Gentech-Pflanzen auf den Markt kommt, ist jedoch fraglich. Zum Beispiel Pflanzen mit einer Salz- oder Trockentoleranz, so die US-Grasspezialistin Carol Mallory-Smith im Wissenschaftsjournal Scientific American. Diese Pflanzen haben das Potenzial, Ökosysteme radikal zu verändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen