die wahrheit: Fly like an Igel

Reine Feinkost: Das kleine Stacheltier als traditionelle Delikatesse.

Ein köstlicher Igel bereitet sich geistig auf seine Zubereitung vor. : reuters

Die im glutsommerlichen Russland dieses Jahr wütenden Waldbrände schüren bei vielen Menschen die Angst, dass einmal mehr radioaktiver Staub zu uns herüberwehen könnte. Der Russe wiegelt ab, doch hier bleibt man argwöhnisch. Kein Wunder, denn wir knabbern immer noch am letzten Fallout. Noch im September vergangenen Jahres wurden in München Pfifferlinge aus den Karpaten verkauft, deren Strahlung um mehr als das Doppelte über dem zulässigen Grenzwert lag.

Und wer weiß noch, dass im Jahr 2006 das Bundesamt für Strahlenschutz vor Igelbret aus Süddeutschland warnte, weil das Fleisch der Stacheltiere im Bayrischen Wald satte 6.700 Becquerel aufwies? Damals stieg die Strahlenbelastung bei Igeln sogar wieder an, da sie sich gern von einer speziellen Pilzart ernähren, die besonders viel Radioaktivität speichert, wie das Bundesamt für Strahlenschutz berichtete. Welche Pilzart dafür verantwortlich ist, verschwieg man tunlichst.

Die Internet-Gemeinde reagierte aufgeregt. Anlass war aber nicht etwa die gefährliche Strahlenbelastung, sondern die Tatsache, dass Igel offensichtlich hierzulande von Menschen verzehrt werden, wie der Begriff Igelbret nahe legt. Fragen nach leckeren Igelrezepten kursierten im Netz und wurden prompt beantwortet. Vorschläge wie Igel in Petersilienkruste, Maroni-Igel-Lasagne und Igel im Lehmmantel wurden der wohlig schauernden Netzgemeinde aufgetischt.

Sie erfuhren, dass Igelfleisch bereits von den Römern in der Antike - speziell als Igel im Römertopf - und von den Engländern des 15. Jahrhunderts verspeist wurde. Dass allerdings Briten Igel essen, könnte den Gourmet misstrauisch stimmen, aber Igelfleisch wird überall als Delikatesse beschrieben. In Spanien zum Beispiel war der Igel eine beliebte Fastenspeise, die gegessen werden durfte, weil sich Igel nur vegetarisch ernähren. Das stimmt zwar nicht, nutzte den Igeln aber nichts.

Doch zurück zur Internetgemeinde: Ein User oder genauer gesagt Abuser wusste von einem Grill-Igelabend in Tschechien zu berichten und ein anderer davon, dass bei den Zigeunern der Igel wegen seines Fleisches eine Delikatesse sein soll. Dass könnte er bei Karl May gelesen haben, der von diesem Zigeunerbrauch bereits lange vorher berichtete.

Vermutlich hatte der weitgereiste Abenteuer-Schriftsteller seinerzeit auch die Altstädter Kirmes bei Siegen besucht, deren Spezialität der gebratene Igel war. Man nannte den atavistischen Brauch damals wie heute "Ischeläsen". Das Igelessen kam dort angeblich um die vorletzte Jahrhundertwende auf, als eine große Hungersnot mit einer Igelplage zusammenfiel. Die angeblichen Plagegeister wurden in Tonerde gewendet und in der Altstädter Ziegelei gebraten. Heute nimmt der aufgeklärte Altstädter auf der Kirmes an Stelle des Igels aber Hackfleisch und "sehr viel Zwiebeln" und serviert das Gericht dann als "Ischel". Wobei man nicht genau weiß, woraus das Hackfleisch besteht.

Das ist dann wohl auch besser so, denn wie jeder Jurastudent weiß, ist bereits das Aneignen eines toten oder überfahrenen Igels strafbar. Der wahre Igel-Gourmet genießt ohnehin nur den Stachelkopf, die Zeitschrift für die Mecki-Fans!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.