Kolumne Landmänner: Rostige Raben nach Polen tragen

Was schenkt man seinen polnischen Freunden zum 30-jährigen Solidarnosc -Jubiläum? Dekoratives Metallgestänge mit Rost-Optik ist durchaus ok, denn Polen ist sowas von EU.

Nach Polen fährt man am besten mit leerem Tank und vollem Kofferraum. Unsere Freunde jenseits der Grenze sind sehr gastfreundlich; unfreundlich ist es daher, kein Gastgeschenk bei sich zu haben.

Im Vorfeld der Reise fuhren mein Mann und ich also zum Baumarkt. Sogleich fand ich für Agatha ein Paar Arbeitshandschuhe in Laura-Ashley-Optik. Und dann wussten wir erst mal nicht weiter. Es sollte ja etwas Nützliches sein, das zugleich einen verheißungsvollen Touch von Überflüssigkeit beinhaltet. Also ein Geschenk, das den Bedürfnissen des derzeitigen Wohlstand-Standards von Mirek und Agatha entspricht - sie zum Beispiel arbeitet in einer Fabrik und verdient im Monat 300 Euro.

Solarbetriebene Gartenleuchten hatten sie ja schon. Wir entschieden uns schließlich für ein riesiges Metallgestänge, das zwei rostige Raben auf einer Wippe trägt und zur Dekoration dient - nicht ohne vorher fachlichen Rat zu erbeten, ob meiner Bedenken: "Ist es denn angebracht, seinen polnischen Freunden verrostete Metallgegenstände zu schenken?" Der Baumarkt-Fachmann für Dekorationselemente antwortete: "Klar, ditt is jetzt doch allet EU. Ditt is Standard." Aus dem gleichen Grund bekommt man übrigens auch kein Unkrautvernichtungsgift mehr für den Privatgebrauch, wie wir nebenbei erfuhren: "Ick kann Ihnen ditt nur verkaufen, wenn Sie danach nachweislich Thymian zwischen Ihren Bürgersteig-Ritzen anpflanzen wollen."

Der Sinn all dessen erschloss sich mir erst auf der anschließenden Überlandfahrt in Richtung polnischer Grenze. Traktoren groß wie die Queen Mary sprühten tonnenweise Unkrautgift auf die Felder - die dürfen das, weil sie danach ja wieder Raps anbauen wollen. Ganz legal wird hier gesprüht, bis der Maulwurf kotzt.

Hustend röchelnd und erleichtert überschritten wir die polnische Grenze bei Küstrin, dort auf Werbetafeln als "Preisgrenze" bezeichnet, und tankten erst mal voll. Fuhren anschließend über endlose Alleen und an der fast überlaufenden Oder entlang. Mein Mann bekam ganz feuchte Augen, weil es hinter der Oder noch immer genauso aussieht wie im Brandenburgischen zu Zeiten der DDR. Verwinkelte, nicht modernisierte und pittoresk klapprige Häuschen. Verwitterte Babuschkas mit Kopftüchern und - Achtung, Achtung - junge Menschen.

Zur Begrüßung gab es erst mal Krautwickel mit Tomatensoße. Ein bisschen nervös präsentierten wir unsere rostigen Raben. Und waren erleichtert, als wir in die leuchtenden Augen von Mirek und Agatha sahen, die sogleich einen Platz für die Raben in ihrem Garten suchten. Erleichtert auch, weil Mirek nicht gleich in die Garage ging, um Entrostungsmittel zu holen.

Als es schon dunkel war, gingen wir noch ein wenig spazieren, um dann hinter dem Haus plötzlich völlig aus dem Häuschen zu geraten. Ein gleißendes Licht blendete uns. Es war, als ob ein UFO gelandet sei oder der Flughafen Berlin-Brandenburg aus Versehen in einem kleinen Dörfchen jenseits der Oder eröffnet hätte. Auf dem Feld hinter Mirek und Agathas Anwesen wurde ein riesiger Gasförderturm in die Erde gerammt.

Als wir dann am Ende des Tages in der Eheleute rosa gestrichenem Schlafzimmer lagen, ohne dass irgendwo in Polen ein Papst-Bild von der Wand gefallen wäre, sagte mein Mann halb im Schlaf: "Polen ist ja so was von EU."

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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