Deutsche Turnmeisterschaften: Turnen gegen Bettgeschichten

Von Freunden zugekifft, von der Mama beim Sex erwischt: Die Schlagzeilen vor den deutschen Turnmeisterschaften gehören Fabian Hambüchen. Philipp Boy versucht dagegen anzuturnen.

"Ich will einfach mein Zeug durchbringen": Philipp Boy am Reck. Bild: dpa

BERLIN taz | Er ist gerne in Berlin. Am Samstagabend nach dem Wochenendtraining macht sich Philipp Boy nicht selten auf den Weg von Cottbus in die Hauptstadt. Zum Ausspannen setzt er sich dann in eine Kneipe oder ein Café und schaut dem Leben zu. In diesen Tagen ist der Turner ein wenig länger in Berlin als üblich. Die deutschen Meisterschaften stehen an. Am Samstag der Mehrkampf, am Sonntag die Gerätefinals. Er freut sich auf die Wettkämpfe in seiner Lieblingsstadt.

Wo er feiern wird, wenn sie erfolgreich verlaufen, darüber sagt er nichts. Er redet nicht viel über sich. Er redet über seinen Sport und wie er die Wettkämpfe angehen möchte. "Ich will einfach mein Zeug durchbringen", sagt er bei einem Pressetermin im Schatten des Reichstagsgebäudes, schaut rüber zum Bundestrainer Andreas Hirsch, als ob er ihn fragen wolle, ob das okay war, was er da gesagt hat. Dann schweigt er erst mal.

Philipp Boy ist mit seiner Zurückhaltung so etwas wie das Gegenbild zum prominentesten Turner in der deutschen Riege, die bei der Europameisterschaft Ende April in Birmingham Gold im Teamwettbewerb gewonnen hat. Fabian Hambüchen hat via Bild-Zeitung in der vergangenen Woche so manche Banalität aus seinem jugendlichen Liebesleben ausgebreitet. In der Autobiografie des 22-Jährigen, die dieser Tage erscheint, wird sicher noch mehr Belangloses aus dem Leben eines heranwachsenden Leistungssportlers stehen. Boy kann das nicht verstehen. "Es wird ja gesagt, wenn du so was machst, geht es mit der Leistung bergab", sagt er und schielt wieder in Richtung Bundestrainer. Er hat es nicht darauf abgesehen, als toller Hecht angehimmelt zu werden. Er würde sich freuen, wenn die Max-Schmeling-Halle in Berlin am Wochenende gut gefüllt wäre.

Turnen ist bei allen Erfolgen der Männer in den vergangenen Jahren immer noch eine "Kernsportart am Rande", wie Andreas Hirsch sagt, um das hässliche Wort Randsportart zu umgehen. Insgesamt 4.000 Zuschauer erwarten die Veranstalter vom Berliner Turnerbund an den zwei Wettkampftagen. Die Halle, die sonst knapp 10.000 Zuschauer fasst, ist mit Tüchern so zugehängt, dass sie dann zweimal ausverkauft wäre. Philipp Boy hofft auf Werbung für seinen Sport. "Es wäre schön", sagt er, "wenn sich möglichst viele Leute denken würden: Geil, Turnen ist die Sportart, die ich meinen Kindern weitergeben will." Und der Berliner Turnerbund, der kein Geld hatte, um auf Plakaten oder in Anzeigen für die Meisterschaft zu werben, erhofft sich ein wenig Schwung für die Turnstadt Berlin, wo im nächsten Jahr die Europameisterschaften stattfinden werden.

Der 23-jährige Boy, der gemeinsam mit Hambüchen in Birmingham EM-Bronze am Reck gewonnen hat und bei der Siegerehrung so aussah, als fühle er sich so gar nicht wohl neben Deutschlands bekanntestem Turnfloh, hat alles seinem Sport untergeordnet. Sein Banklehre hat er geschmissen und ist zur Bundeswehr gegangen. Bei der EM hat er das erste Mal gezeigt, dass es sich in sportlicher Hinsicht gelohnt hat, mehr Zeit ins Training zu investieren. In Berlin will er, nachdem er ohne größere Verletzungsprobleme durch die Saison gekommen ist, endlich einmal wieder einen ansprechenden Sechskampf abliefern.

Wie gut er das kann, hat er der Turnwelt bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gezeigt, als er sich für das Mehrkampffinale qualifiziert hat und schließlich 13. wurde. Bemerkt hat das beinahe niemand, weil das Interesse der deutschen Medien beinahe ausschließlich Fabian Hambüchen galt. Philipp Boy kennt das. Er hat sich auch schon des Öfteren öffentlich darüber geärgert. Jetzt macht Hambüchen wieder Schlagzeilen. "Alle, mit denen ich bisher darüber gesprochen habe, finden das lächerlich", hat er über die Sexgeschichtchen, die Hambüchen ausgeplaudert hat, gesagt. Prompt hat er einmal ein wenig mehr Aufmerksamkeit bekommen, als er es gewöhnt ist.

Zu gerne hätte er Hambüchen am Wochenende im Mehrkampf herausgefordert. Doch der hat mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. Aufgrund von Problemen am Rückfuß und an der Achillessehne wird Hambüchen nicht am Sprung und am Boden turnen. Er sagt, er wolle vor den Weltmeisterschaften, die am 18. Oktober in Rotterdam beginnen, kein Risiko eingehen. Und er läuft auch nicht Gefahr, seinen Nimbus als deutscher Vorturner im Wettkampf zu verlieren.

Für viele Insider hat er das längst. Matthias Fahrig, der neben dem Teamgold in Birmingham den Titel am Boden und Silber im Sprung gewonnen hat, gilt für viele als der derzeit beste Turner Deutschlands. Doch auch er reiste geschwächt nach Berlin. Ihm wurde in der vorigen Woche ein Zahnkanal aufgebohrt. Wegen der starken Schmerzen konnte er tagelang nicht voll trainieren. Den Mehrkampf will er dennoch turnen.

Schlecht sieht es also nicht aus für Philipp Boy. Er könnte nach sechs Jahren der erste deutsche Mehrkampfmeister sein, der nicht Fabian Hambüchen heißt. Andreas Hirsch hat schon bevor feststand, dass Hambüchen nicht alle Geräte turnen kann, in bestem Trainerdeutsch gesagt: "Vielleicht wird in diesem Jahr die Situation eintreten, dass sich die Positionen verschieben." Und dann schielt er rüber zu Philipp Boy und schickt seinem Athleten einen gestrengen Blick. "Lehn dich nicht so weit raus", sagt er dann.

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