Niedersachsen-Derby: Die Magath-Gedächtnisperformance

Die Fußballer des VfL Wolfsburg verschaffen sich durch einen 2:0-Sieg gegen passive Hannoveraner jene Luft, die der neue Trainer Steve McClaren dringend braucht, um im Team sein System zu etablieren.

So sehen Helden aus: Wolfsburgs Diego feiert sein Tor zum 1:0 mit einem Schnuller im Mund. Bild: dpa

Die Spieler! Die Einstellung! Das Spiel! Die Innenverteidigung! Der Wolfsburger Trainer Steve McClaren war nach dem 2:0 über Hannover 96 sehr angetan von seinem Team. Das ist schön, speziell, da er unlängst bereits die berüchtigte Charakterfrage ins Spiel gebracht hatte. Nach drei Niederlagen zum Saisonstart hatte McClaren angesichts der Ambitionen und Investitionen von Klubbesitzer VW ein Ergebnis gebraucht, um etwas Ruhe für die tägliche Arbeit am Umbau von Team und System zu kriegen.

Nun hat er die ersten drei Punkte, was ihn sichtbar erleichterte. Diego (55.) und Dzeko (67.) erzielten die VfL-Tore. Allerdings steht am Mittwoch beim Hamburger SV bereits die nächste Partie auf dem Spielplan, am Sonntag kommt der SC Freiburg, mit Weiterüben ist also nicht viel.

McClaren ist der erste englische Trainer in der Bundesliga. Wie der Stand seines Entwicklungsprojekts gerade ist, ist schwer zu beurteilen. Prinzipiell arbeitet er seit Aufnahme seiner Arbeit am 1. Juli an einem Wechsel zum 4-2-3-1-System, was vor allem auch die im Vorjahr defizitäre defensive Grundstruktur stabilisieren soll.

Gegen Hannover kehrte McClaren zu dem früher beim VfL praktizierten 4-2-2 mit Raute zurück, wodurch der ehemalige Torschützenkönig Grafite erstmals in dieser Saison mit dem amtierenden Torschützenkönig Dzeko und dem neuen Spielmacher Diego agieren durfte.

Grafite war der ideale Stürmer für Felix Magaths Power-Konterfußball. Er ist weiterhin sehr populär beim Publikum und unverdrossen bemüht, seine beeindruckende Physis einzubringen. Doch obwohl der VfL in einer Art Magath-Gedächtnisperformance auch mit langen Bälle zu agieren versuchte, kam Grafite kaum ins Spiel.

Was auch daran lag, dass Hannover schön hinten drin blieb und praktisch kein Interesse an Spielgestaltung an den Tag legte, sondern daran, den VfL weiter zu verunsichern und zu einem Fehler zu verleiten. McClarens Strategie des hohen Flugballes ins Niemandsland aber zwang Hannover zu 53 Prozent Ballbesitz, was dem Spiel nicht guttat - und vor allem auch 96 nicht, das prioritär nicht in Konter laufen wollte.

Schön anzusehen war das nicht. Tja: Der Sieger muss in einem solchen Fall sagen, dass es ja nicht um Schönheitspreise gehe. VfL-Geschäftsführer Dieter Hoeneß opferte sich und lieferte das entsprechende Zitat.

Doch nicht nur McClaren, sondern auch Hannovers Trainer Mirko Slomka hat schlicht andere Interessen als ein schönes Spiel. Auch er war hinterher daran interessiert, das Positive zu sehen.

Das ist verständlich: Hannover 96 gehört zu den fünf, sechs Teams, die gegen den Abstieg spielen und ist dafür mit zwei Siegen und einem Remis sehr gut gestartet. Gut für 96 und sehr gut für Slomka, der vom Aufregungsbetrieb Fußball bereits vor dem ersten Spieltag als erster Entlassungskandidat gehandelt worden war.

Nun will Slomka die Phase der Ruhe und das Selbstbewusstsein in Team und Umfeld möglichst lang erhalten. Also ist die Strategie, nicht etwa auf Spieler zu schimpfen, sondern auf den Schiedsrichter.

Was heißt schimpfen? Slomka war gewohnt freundlich, fand aber doch, dass Diegos spielentscheidendes Fallrückzieher zum 1:0 zwar für "Unbeteiligte" ganz "ergötzend" gewesen sein möge. Für ihn sei es "gefährliches Spiel" gewesen. Gegenspieler Pinto fühlte sich zudem nicht regelkonform weggeschubst.

Es war der Höhepunkt eines erneut durchwachsenen Spiels des Misimovic-Nachfolgers. Der brasilianische Nationalspieler ist außergewöhnlich ballsicher und flink, kann das Spiel beschleunigen und eine sortierte gegnerische Defensive zum Aufreißen zwingen.

Für Anhänger des modernen, solidarischen, altruistischen Teamfußballs hat er sich indes ein bisschen viel südamerikanische Heldenfußballerattitüden bewahrt. Dass einer wie er viel einstecken muss, ist keine Frage: Ein Tritt von Djakpa schickte ihn bereits nach 65 Minuten per Trage ins Krankenhaus. Diagnose: Schwere Rippenprellung. Er antwortete mit dem Satz: "So einer gehört nicht in die Bundesliga", was ihm auch nicht gerade als Kollegialität ausgelegt werden dürfte.

Dass 96-Torhüter Fromlowitz mit einem schweren Fehler Dzekos viertes Saisontor ermöglichte, war nicht mehr wirklich von Belang, da Hannover weit von einem eigenen Treffer entfernt war und im gesamten Spiel nur einen Schuss auf Benaglios Tor zustande brachte.

Während Slomka oben im Presseraum das Gute an seinem Team suchte, erklärte Innenverteidiger Schulz in der Mixed Zone, warum Werder Bremen verunsichert sei. Alles Psychologie: Sein früherer Klub ist am Dienstag nächster Gegner von 96.

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