: 15 Meter unter normal
VON GERHARD DILGERUND NICK REIMER
Wenn es doch endlich regnen würde. Teddy Campos hebt die Hand auf Brusthöhe, um zu zeigen, wo eigentlich das Wasser des Rio Corrientes stehen müsste zu dieser Jahreszeit. Jetzt stinkt krustiger Schlamm vor sich hin.
Der Corrientes mündet in den Fluss Tigre, der in den Marañón fließt. Der wiederum vereint sich mit Dutzenden anderen Zuflüssen im peruanischen, kolumbianischen und brasilianischen Regenwald zum Amazonas – dem größten Fluss der Welt. Normalerweise: Denn in diesem Jahr leidet das ganze Amazonasgebiet unter extremer Trockenheit. Vor Wochen vernichtete eine Feuersbrunst in Nordbolivien 1.000 Quadratkilometer Regenwald.
Was am Oberlauf, bei Teddy Campos, vielleicht einen Meter ausmacht, ist am Unterlauf gleich ein Dutzend: In der brasilianischen Forschungsstation Santarém, dort, wo die Flüsse Amazonas und Tapajos aufeinander treffen, liegen die Pegel derzeit bis zu 15 Meter unter dem Durchschnitt. Man mag es kaum glauben: Einem der größten Süßwasserspeicher der Welt geht das Wasser aus. Seen sind zu Tümpeln geschrumpft, einst lebendige Seitenarme sind nur noch stinkend faulige Lachen, in denen Tonnen verwesender Fischkadaver treiben.
Im Bundesstaat Amazonas, wo sich allmählich ein Ende der Dürre abzeichnet, versorgt die Armee immer noch 111.000 Betroffene mit Wasser, Essenspaketen und Medikamenten. 600 Schulen mussten geschlossen werden. An den Ufern machen sich die Aasgeier über tote Piranhas her. Neben Fischen sind auch Seekühe, Meerschweine und Süßwasserdelfine kläglich verendet. Und es wächst die Gefahr von Malaria-, Dengue- und Choleraepidemien, denn Abwassersysteme sind hier die große Ausnahme. Im benachbarten Bundesstaat Pará wurde ein weitläufiges Areal mit 92.000 Einwohnern zum Notstandsgebiet erklärt. Hier, so die Prognosen, soll der November der trockenste Monat des Jahres werden.
Die Dürre im Amazonasbecken ist die verheerendste seit 1963. Sagt Ciro Gomes, Brasiliens Minister für nationale Integration. Und er glaubt auch die Ursache zu kennen: „Schuld ist die Erderwärmung – speziell die des Nordatlantiks um mindestens zwei Grad.“ Sie habe die ungewöhnliche Serie der Wirbelstürme in der Karibik verursacht und zugleich die Wolkenbildung über Amazonien verhindert.
„Der südliche Nordatlantik hat sich in diesem Jahr tatsächlich extrem aufgeheizt“, bestätigt Professor Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Bis zu 33 Grad Celsius Meerestemperatur seien gemessen worden. Dies beeinflusst nicht nur die Hurrikansaison, sondern kann auch die so genannte innertropische Konvergenzzone beeinträchtigen. „Sie ist – einfach ausgedrückt – ein Gebiet, in dem Luft zusammenströmt und aufsteigt“, so Gerstengarbe. Weil die Luft sehr warm ist, nimmt sie viel Wasser auf und bildet die Wolken. Sie ist für einen Großteil des Niederschlags im Amazonasbecken verantwortlich. „Die Konvergenzzone ist aber ein bewegliches System“, sagt der Klimaforscher. Bedeutet: Mit den Jahreszeiten wandert sie über den Äquator von Süden nach Norden und wieder zurück. Gut möglich, dass die Atlantikerwärmung den Regenproduzenten verwirrt hat – und die Konvergenzzone vom Amazonas fern hält.
An der Erderwärmung sind die Südamerikaner durchaus beteiligt. Denn sie zerstören die Regenwälder, die das Treibhausgas CO2 binden. „12 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen entstehen durch die Abholzung der Regenwälder“, warnt Thomas Brose vom Frankfurter Klimabündnis.
Um den Regenwald für immer zu schädigen, müssen gar nicht alle Bäume geschlagen werden, wie gerade das renommierte Fachmagazin Science meldete: Forscher aus den USA und Brasilien untersuchten den so genannten selektiven Holzeinschlag, bei dem nur einzelne, wertvolle Bäume gefällt werden. Die Auswertung von Satellitenbildern ergab: Jeder selektiv gefällte Baum schädigt 30 weitere.
„Eine Baumkrone kann 25 Meter breit sein“, sagt Gregory Asner, einer der Autoren der Studie. „Wenn man einen Baum fällt, verwandelt sich das Unterholz in ein Trümmerfeld.“ Licht dringt ein und trocknet den Boden aus, wodurch wiederum die Brandgefahr steigt. Das Ergebnis: Die tatsächliche Zerstörung des amazonischen Regenwaldes ist in Brasilien mit jährlich 35.000 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie bislang angenommen.
Die Brandrodung durch Kleinbauern trägt ebenfalls dazu bei. Feuer, Anbau, Brache – diesen Anbauzyklus praktizieren die indigenen Amazonier schon seit tausenden von Jahren. Doch seit den Siebzigerjahren sind Millionen Brasilianer aus anderen Landesteilen ins Amazonasgebiet gezogen, angelockt vom Versprechen auf ein eigenes Stück Land. Erst damit wurde Brandrodung zum Massenphänomen – und zum Umweltproblem.
Südöstlich der Amazonasmündung haben brasilianische und deutsche Forscher zwölf Jahre lang eine Alternative entwickelt: Anstatt die üppig sprießende Brachevegetation einfach abzubrennen, verarbeiten die Kleinbauern sie im Rahmen des Pilotprojekts „Tipitamba“ mit einem Traktor und einem Häcksler zu Biomasse. Auf dem so zubereiteten Feld bauen sie dann Mais oder Maniok an. Mittlerweile wird die Methode in sechs weiteren Bundesstaaten erprobt. Weil die Brandrodung aber praktischer ist und die Asche ein guter Dünger, halten die meisten Kleinbauern daran fest. Zudem fehlen die Mittel, um eine Mechanisierung im großen Stil umzusetzen.
Wie Tipitamba bleiben hunderte ähnlicher Projekte ein Tropfen auf den heißen Stein – besonders wenn man sie mit der rapiden Ausdehnung der Rinderweiden und der Sojaplantagen vergleicht, die sich von Süden und Osten her immer weiter ins Amazonasbecken schieben. Seit in Europa als Folge des BSE-Skandals nicht mehr Tiermehl, sondern immer mehr Soja verfüttert wird, boomt der Anbau der gelben Bohnen noch mehr.
Blairo Maggi, der weltweit größte Sojaproduzent, ist zugleich Gouverneur des Bundesstaats Mato Grosso. Anstatt sich um den Schutz von Naturreservaten zu kümmern, streicht er günstige Entwicklungskredite ein und macht beste Geschäfte mit Deutschland: Die Bundesrepublik ist Europas größter Sojaimporteur. Mit den Devisen aus den Agrarexporten wiederum bedient Brasilien seinen Schuldendienst.
„Ein Sojafeld kann kein Wasser mehr speichern“, sagt Klimaforscher Gerstengarbe, „der innere Kreislauf wird zunehmend gestört.“ Bislang nimmt der Regenwald Wasser auf, speichert es und transpiriert es wieder. Auf diese Weise entsteht ein Niederschlagskreislauf, der in Afrika beginnt und an den Anden endet. Nun aber fließt immer mehr Regenwasser ab, anstatt aufgenommen zu werden – und geht so dem Kreislauf verloren.
Als wäre dies alles noch nicht genug, macht sich die Erdölförderung immer weiter im Regenwald breit. Vor 15 Jahren trat der Peruaner Teddy Campos in die Dienste der argentinischen Firma Plus-Petrol, die in der kleinen Indianersiedlung Trompoteros ihr Hauptquartier einrichtete. Seitdem ist der Ort aus den Fugen geraten: Es gibt Strom, einen Flughafen, jede Menge Straßen, von den Pipelines und Bohrlöchern ganz zu schweigen.
Über 90 Prozent der Auslandsinvestitionen gehen in Ecuador in den Ölsektor. Der brasilianische Staatskonzern Petrobras bohrt im ecuadorianischen Yasuní-Naturpark. Bolivien ist auf bestem Weg, zu einem der wichtigsten Ölexportländer Südamerikas zu werden – und vernichtet auf diese Weise Regenwald.
Holz, Brandrodung, Rinder, Soja, Erdöl: „Auf Satellitenbildern sieht das Amazonasbecken wie eine Fischgräte aus“, sagt der Greenpeace-Experte Carlos Rittl. „Von einer großen Straße gehen kleinere ab, es verzweigt sich immer weiter.“ Die brasilianische Regierung jedoch sei für wissenschaftliche Erkenntnisse „auf erschreckende Weise unzugänglich“, sagt der Historiker José Augusto Pádua aus Rio de Janeiro: „Sie hat einfach keine kohärente Umweltpolitik.“
„Wenn 40 Prozent des Regenwaldes zerstört sind, erreichen wir einen Wendepunkt“, sagt Carlos Nobre vom brasilianischen Raumforschungsinstitut Inpe: „Dann beginnt ein unumkehrbarer Prozess der Versteppung“. Bislang ging man davon aus, dass seit den Siebzigerjahren ein Fünftel des Amazonas-Regenwaldes vernichtet wurde. Stimmt der Befund des Forscherteams um Gregory Asner, wäre die kritische 40-Prozent-Marke bald erreicht.
Mehr als drei Viertel der brasilianischen Kohlendioxid-Emissionen gehen mittlerweile auf Brandrodung oder Kahlschlag zurück. In diese Richtung ist der Zusammenhang zur Erderwärmung jedenfalls klar. In die andere Richtung nicht: „Die Trockenheit ist ein Wetterextrem, das nicht eindeutig mit dem Klimawandel in Zusammenhang gesetzt werden kann“, sagt Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe. Um gleich das „Aber“ des Wissenschaftlers anzufügen: „Die Häufung der Extreme ist aber deutliches Signal, dass das Gleichgewicht des Weltklimas gestört ist.“ Sein brasilianischer Kollege Marcelo Croce formuliert es so: „Die Leute müssen endlich die Augen öffnen. Wir werden Situationen wie die derzeitige Dürre immer häufiger erleben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen