Kommentar Abbau Ost: Ausspionieren und Ausschlachten

Wenn es gewollt gewesen wäre, hätte die industrielle Wüste im Osten verhindert werden können. Doch der Kohl-Regierung ging es nur um den schnellen Verkauf.

Als die Mauer fiel, waren viele DDR-Betriebe ausgezehrt. Ihre Produktivität erreichte oft nur ein Drittel dessen, was im Westen üblich war. Doch die industrielle Ödnis, die heute weite Teile Ostdeutschlands prägt, wäre bei behutsamerem Vorgehen vermeidbar gewesen.

Den größten Fehler begingen westdeutsche Politiker im Winter 1990, als sich SPD und Union gegenseitig mit der Forderung nach einer schnellen Einführung der D-Mark zum Kurs von eins zu eins überboten. Vergeblich warnten Ökonomen, dass das den sofortigen Kollaps der gesamten DDR-Wirtschaft nach sich ziehen würde: Selbst eine überaus stabile Wirtschaft könnte eine Aufwertung von 450 Prozent nicht verkraften.

Doch die Kohl-Regierung entschied gegen alle Vernunft. Sie wollte ihren Parteifreunden bei den ersten und letzten freien Volkskammerwahl der DDR zum Sieg verhelfen und so auch die Weichen stellen für den Triumph bei der ersten gesamtdeutschen Abstimmung. Tatsächlich waren dann ab Juli die meisten DDR-Firmen de facto pleite.

Darüber hinaus verloren sie abrupt fast ihre gesamten Absatzmärkte in Osteuropa. Nur riesige Kredite, großzügige Kurzarbeiterregelungen und viel Geld für die Arbeitsämter linderten den Zusammenbruch für eine Weile.

ist freie Autorin und schreibt für die taz. Von ihr stammt "Im Osten was Neues" (Rotbuch). Darin beschreibt sie, was aus Betrieben und Beschäftigten nach der Wende geworden ist.

Die Treuhand, die die gesamte DDR-Wirtschaft übernahm, baute die Bundesregierung als Watschenmann für die absehbare Wut der Ostdeutschen auf: Verbindliche Vorgaben existierten nicht, höchste Priorität hatte der schnelle Verkauf.

Wer rasch einen Investor fand, bekam satte Boni. Zunächst der Vorstand, später auch die gesamte Belegschaft wurden von jeder Haftung freigestellt. Nur die 150 größten Privatisierungsfälle wollte Finanzminister Theo Waigel von seinen Beamten prüfen lassen - doch nicht einmal das geschah.

Auch intern gab es keine funktionierende Controllingabteilung. So versickerten allein bei den Werften fast 1 Milliarde D-Mark unwiederbringlich im Westen, ohne dass das jemandem auffiel. Viele Arbeitsplatz- und Investitionszusagen waren eh nur unverbindlich formuliert, und eine heute nicht mehr feststellbare Menge an Käufern blieb dem Staat sogar ungestraft den Kaufpreis schuldig.

In vielen Entscheidungspositionen saßen Manager westdeutscher Firmen, die die ostdeutsche Konkurrenz ohne Risiko ausspionieren, ausschalten oder ausschlachten konnten.

Auch unerfahrene Hochschulabgänger hatten die Chance, über das Schicksal von tausenden von Beschäftigten zu entscheiden. Welche Kriterien sie dabei anlegten, wird man nie erfahren: Bis heute sind fast alle Privatisierungsverträge geheim.

Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wickelte die Treuhand gleich reihenweise ab, Sanierungen fanden nur in Ausnahmefällen statt. Machten Belegschaften Vorschläge für neue Produkte oder andere Verbesserungen, so blitzten sie in der Regel ab: Man wisse ja nicht, ob ein Investor andere Pläne habe, hieß es.

Folglich verloren diese Betriebe immer weiter an Boden, während der Osten dem Westen in den ersten Jahren eine Sonderkonjunktur bescherte.

Das alles war nur möglich, weil die Treuhand als "Anstalt des öffentlichen Rechts" konstruiert worden war - und damit eindeutig gegen damals geltende Gesetze.

Das DDR-Parlament gab ihr die Form von vier Aktiengesellschaften, der Einigungsvertrag änderte daran nichts. Doch eine solche Rechtsform hätte mehr Transparenz und die Mitsprache der Beschäftigten im Aufsichtsrat bedeutet.

Eine klandestine Männerrunde, darunter der spätere Bundespräsident Horst Köhler und Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder, entschieden einfach anders - mit Billigung von Kanzler Helmut Kohl. Es war dieselbe Bundesregierung, die für sich in Anspruch nahm, der DDR-Bevölkerung demokratische Grundsätze zu bringen.

Rund zweieinhalb Millionen Menschen verließen bereits im ersten Jahrzehnt ihre Heimat, bis heute setzt sich die Abwanderung fort. Fast alle größeren Industriebetriebe in Ostdeutschland sind heute verlängerte Werkbänke von Westkonzernen. So wird Ostdeutschland auch in Zukunft am Tropf des Westens hängen. Doch die Schuld daran tragen nicht allein Honecker und Konsorten.

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