Kolumne Landmänner: Ackerbürgerstadt 21

Unser Untermieter will den städtischen Bahnhof kaufen. Nun kommen auch Wasserwerfer und Pfeffer zum Einsatz.

Auch in unserer kleinen Ackerbürgerstadt im Brandenburgischen gibt es einen Bahnhof. Einmal in der Stunde fährt der dieselbetriebene Bauern-TGV in Richtung Berlin, bloß das eigentliche Bahnhofsgebäude ist schon lange nicht mehr in Betrieb. Als Reisender muss man bei Herbststürmen mit einem kleinen Wartehäuschen vorliebnehmen, dessen Scheiben jedoch regelmäßig von der hier ansässigen Generation Porno entfernt werden.

Das Bahnhofsgebäude selbst gehörte bis vor kurzem dem Chinesen. Die Investoren selbst hatten jedoch nie auch nur einen Fuß in das eigentlich recht charmante Gebäude gesetzt, sondern stattdessen irgendwann beschlossen, ihr Kapital lieber nach Afrika zu transferieren, als es in nicht mehr genutzten Liegenschaften der Deutschen Bahn AG verotten zu lassen.

Seit irgendeinem verregneten Mittwoch gehörte der Bahnhof wieder der Sadt. Und nun hat unser Untermieter Siegfried dort einen offiziellen Antrag gestellt - mit dem Anliegen, den Bahnhof von Ackerbürgerstadt zu erwerben. Daraufhin hatte sich sogar die mit Feuerwehrfesten überlastete Lokalpresse eingeschaltet: "Stadtbekannter Ackerbürger will Ackerbürgerstadts Bahnhof erwerben" stand dort zu lesen. "Stadtbekannt" war nicht weiter ausgeführt. Aber Eingeweihte konnten daraus lesen, dass es sich nur um Siegfried handeln konnte.

Also jenen Siegfried, der gerade aus seiner ebenfalls in Stadtbesitz befindlichen Wohnung geflogen ist und nun in einer uns gehörenden Ruine haust, weil er in seinem freundlich-derangierten Zustand nie wieder eine Wohnung bekommen wird. Ohne übrigens dass sich jemand in Ackerbürgerstadt für ihn zuständig fühlen würde.

Um den Bahnhof macht man sich schon eher Sorgen. Seit Tagen nun schon versammeln sich Mitarbeiter der Verwaltung, der Bürgermeister, die Feuerwehr und zwei Polizeibeamte in Freizeitdress vor der Ruine und skandieren: "Der Bahnhof bleibt." Etwas konsterniert standen mein Mann und ich in Siegfriedes Zimmer. Überall lagen Bahnhofs-Baupläne, Antragsformulare und Drohbriefe der unteren Baubehörde sowie des Denkmalschutzamts. Unser Untermieter hatte alle formalen Antragswege korrekt beschritten, die Behörden mussten also auch mit entsprechenden Papierbergen reagieren. "Sag mal, Siegfried, willst du denn wirklich den Bahnhof kaufen und dann darin wohnen?", fragte ich. "Ich lebe von Hartz IV, das wären doch viel zu viele Quadratmeter. Aber ich denke, dass man den Bahnhof unter die Erde legen könnte, dann hätte man oben mehr Platz", antwortete er.

Unten auf der Straße skandierten nun zwei oder drei Verwaltungsmitarbeiter die Nationalhymne. Siegfried sagte daraufhin nur: "Das mit dem Geld ist kein Problem. Ich besorge mir das auf dem Hypothekenmarkt, und falls es dann durch negative Ratingänderungen Probleme geben sollte - also im Sinne von Risikoaversionen von Investoren gegenüber kreditrisikobehafteten Anlageinstrumenten -, dann gibt es eben einen Liquidiätsengpass und das zahlen dann die da unten. Oder irgendjemand."

So richtig verstanden hatte ich das nicht, aber wir unterstützen sein Projekt Ackerbürgerstadt 21, weshalb mein Mann nach unten lief, um den Gartenschlauch zu holen und ich den Pfefferstreuer. Unser Siegfried, der ist nämlich der Hauptmann von Ackerbürgerstadt.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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