BETREUUNG: "Kind ist Kind"

Ilse Wehrmann, Expertin für Frühpädagogik, fordert, das Kindergeld zu kürzen, um in Betreuung investieren zu können. Zudem sollen die Kommunen weniger zu sagen haben.

Markenquietscheentchen und Aquarium sind Standard nur in Upperclass-Kitas Bild: dpa

taz: Warum wollen Sie das Kindergeld um 20 Euro kürzen, Frau Wehrmann?

Ilse Wehrmann: Den Familien ist besser geholfen, wenn wir dieses Geld in eine bessere Infrastruktur stecken. Die Qualität der Kinderbetreuung hängt zurzeit von der Finanzkraft einer Kommune und dem Familienbild des Bürgermeisters ab. Es gibt heute für Kinder keine Chance auf Chancengerechtigkeit. Wir haben ein großes Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Deshalb brauchen wir bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen. Die Infrastruktur ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Aber auch im Bund ist die Haushaltslage ausschlaggebend.

war bis 2007 Geschäftsführerin des Landesverbandes Evangelischer Kitas in Bremen. Heute arbeitet sie als freie Beraterin im Bereich frühkindlicher Bildung, unter anderem für Daimler und RWE

Nach dem Grundgesetz haben alle Kinder Anspruch auf gleiche Lebensbedingungen. In Baden-Württemberg gibt es drei Fachkräfte für eine Gruppe mit zehn Kindern unter drei, in Niedersachsen für 15 Kinder eine Fachkraft und eine Helferin. Dazwischen liegen Welten. Das ist nicht hinzunehmen, da müsste man überlegen, das Verfassungsgericht anzurufen. Der Betreuungsschlüssel für die unter Dreijährigen sollte maximal 1:5 betragen, Kindergarten-Gruppen mit zwei Fachkräften maximal 20 Kinder haben. Gerade kleine Kinder brauchen gute Krippen.

Was sagen sie den Familien, für die 20 Euro weniger Kindergeld ein echter Verlust sind?

Da muss man einen Weg finden, damit die nicht weniger bekommen. Ich will diesen Leuten aber nicht nur was wegnehmen, sondern auch einen kostenlosen ganztägigen Kindergartenplatz anbieten. Sie würden eine Gegenleistung erhalten, für die sie nicht bezahlen müssten.

Muss man nicht mehr Kindergeld und mehr Geld für Kinderbetreuung fordern?

Da kann man drüber reden. Aber wir haben in Deutschland das europaweit höchste Kindergeld und die schlechteste Infrastruktur. Wenn wir das verbessern wollen, kommen wir um eine finanzielle Umschichtung nicht herum. Sonst schaffen wir den qualitativen und quantitativen Ausbau für unter Dreijährige nicht. Ich habe in Bremen selbst leidvoll erlebt, wie die Bedingungen sich verschlechtern, wenn kein Geld da ist. Anfang der Siebziger war Bremen noch ein Eldorado von sozialen Reformen.

Das Kindergeld ist einkommensunabhängig. Müssten gut Verdienende nicht stärker zur Kasse gebeten werden?

Ich war immer der Meinung, dass das Kindergeld vom Einkommen abhängig sein muss.

Sollen von ihrem Vorschlag auch Betriebskitas profitieren?

Kind ist Kind, da würde ich erst mal keinen Unterschied machen. Aber die Firmen müssen natürlich immer ihren Eigenbeitrag leisten, das ist gar keine Frage. Die Unternehmen, die ich berate, nehmen auch Arbeiterkinder auf und investieren in sozialen Brennpunkten.

Das heißt: Führungskräfte haben privilegierten Zugang und dann nimmt man eben noch ein paar andere Kinder dazu?

Nein. Es gibt eine Jury, die nach sozialen Kriterien entscheidet.

Entstehen da nicht dennoch Inseln für jene, die es gar nicht nötig haben?

Nein. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht erst dann, wenn Betriebskindergärten nicht mehr in die öffentliche Förderung aufgenommen werden.

Sie verlangen auch, die Qualität der Kindergärten zu überprüfen. Wie soll das aussehen?

Es gibt ja schon nationale Kriterien. Es richtet sich nur keiner danach. Jede Erzieherin, jeder Träger kann arbeiten, wie er möchte. Nur in Berlin gibt es schon einheitliche Rahmenbedingungen und eine Qualitätskontrolle.

Bedeutet das nicht mehr Bürokratie zu Lasten der Kinder?

Es geht vor allem um Transparenz der Arbeit. Die Evaluation muss nicht zwangsläufig von der pädagogischen Arbeit abgehen. Alles so beliebig zu lassen, wie es ist, kann keine Alternative sein.

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