Chagall-Ausstellung: Pittoresk und wenig mehr

Dem Jüdischen in der Kunst von Marc Chagall will sich eine Ausstellung in Hamburg widmen. Möglich macht das seine vielfache Verwendung von entsprechenden Motiven. Andererseits: Ein ausdrücklich jüdischer Künstler, heißt es, wollte Chagall nie sein.

Entrückt und monumental: Rabbiner auf Chagalls Ölgemälde "Man sagt" von 1912. Bild: Katalog

Er wäre wohl gern Revolutionär gewesen. Ein echter Rebell, der die gesellschaftlichen Verhältnisse vom Kopf auf die Füße stellt. Einer, der mit den Bolschewiki des Oktober 1917 für ein neues Russland und eine neue Kunst kämpft. Was ihm, in Ansätzen, auch gelang: 1918 wurde Marc Chagall Kommissar für die "Schönen Künste" im Gouvernement seiner Heimatstadt Witebsk. Dort gründete er im Jahr darauf eine Kunstschule, an die er Avantgardisten wie Kasimir Malewitsch und El Lissitzky rief. Sie kamen: aus Idealismus, aber auch, weil Witebsk wenig mitbekam von den Hungersnöten im restlichen Russland.

Es hätte also ein echter Aufbruch werden können. 1919 nahm Chagall an der "Ersten Staatlichen Ausstellung revolutionärer Kunst" teil, die Regierung kaufte einige seiner Bilder. Wenig später wendete sich das Blatt: Zu wenig abstrakt, zu wenig experimentell, zu religiös seien seine Werke, hieß es jetzt, als dass Chagall Teil der neuen sowjetrussischen Kunst sein könnte.

1920 gab er die Leitung der Kunstakademie ab. Ans Ruder kam Kasimir Malewitsch, dessen Schwarzes Quadrat Abstraktion einer Ikone war - mithin eines ur-russischen religiösen Motivs.

Chagall ging: nach Moskau, nach Berlin, 1923 nach Paris. Mit gerade mal 35 Jahren begann er seine Autobiographie zu schreiben: "Mein Leben" blätterte ein buntes Panorama seiner Witebsker, seiner jüdisch-russischen Jahre auf. Chagall schrieb auf Russisch, von seiner Ehefrau Bella ins Französische übersetzt, vor allem aber illustrierte er: Rabbiner, Purim-Feste, Chanukka-Feiern, Hochzeiten. Diese kleinen Zeichnungen stehen nun im Zentrum einer Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum. "Lebenslinien" ist sie betitelt - und ausdrücklich Chagalls jüdischer Biographie verschrieben.

Chagalls Schaffen wollen die Kuratorinnen Meira Perry-Lehmann und Ortrud Westheider nachzeichnen anhand seiner jüdischen Motive. Und deren Spuren finden sich bereits in Chagalls Kinderjahren. Mit damals nur halb verstandenen Riten und jiddischen Sprichworten, die er auf späteren Gemälden teils ironisierte.

Fesselnd an den nun gezeigten autobiographischen Radierungen sind weniger die Themen als vielmehr die halb-karikaturhafte, leicht surreale Flüchtigkeit, ihr an Kinderzeichnungen erinnernder Duktus. Es sind authentische Dokumente eines Erwachsenen, der unklare Proportionen und Silhouetten nicht rekonstruiert, sondern sich tatsächlich erinnert: "Ich male es so, wie ich es damals als Kind sah", hat Chagall selbst einmal gesagt.

Sind diese Blätter aber als ausdrückliche Bekenntnisse zum Judentum zu lesen sind? Daran entzündet sich auch Streit: "Chagall wollte nicht aufs Jüdischsein reduziert werden", sagte zur Eröffnung etwa seine aus Paris angereiste Enkelin Meret Meyer Graber. Demnach ginge das Konzept der Hamburger Ausstellung also fehl.

Andererseits sind da die Fakten: Ein Großteil von Chagalls Werk besteht aus jüdischen Motiven, die er sehr bewusst in die westliche Kunst eingebracht hat. Trotzdem keimte immer wieder auch der Verdacht, Chagall habe die für damalige Verhältnisse exotischen Motive gezielt genutzt - um sich ein Markenzeichen zu verschaffen.

Aber er sei auch, rufen die Hamburger Ausstellungsmacher, ein politischer Künstler gewesen. In der Tat haben auch Judenverfolgungen und Zweiter Weltkrieg Eingang gefunden in seine Bilder: das brennende Witebsk, ein trauriger Jude auf dem Dach, der Gekreuzigte als Sinnbild des Holocaust. Chagalls Erschütterung darüber, dass auch die Witebsker Juden sich ermorden ließen, statt zu fliehen, war echt. Chagall selbst war der Vernichtung nur um Haaresbreite entronnen: 1941 entkam er der Auslieferung durch das Vichy-Regime nur knapp, floh von Marseille in die USA.

Trotzdem fällt es schwer, Chagall als explizit politisch zu deuten: Zu poetisch, zu stilisiert sind seine Bilder, die auf den Holocaust verweisen. Schön und fern wirken da die Trauernden, indirekt und surreal. Die Ausstellung ignoriert diese Kluft. Sie hält sich durchgängig an die Motive, die ihr als Beweis fürs Engagement dienen. Auch da, wo sie sich - beinahe aufdringlich - aufs Jüdische und nichts sonst verlegt, fragt sie nicht weiter. Etwa danach, wie Chagall sein Jüdischsein überhaupt verstand.

Denn vielleicht sind die Rabbiner und Chanukka-Leuchter weniger religiöse Zeichen als vielmehr solche einer mit Sehnsucht behafteten Kindheit - und seiner zerstörten Heimat, die er nie wiedersah: Sein restliches Leben verbrachte Chagall im Exil, hin- und hergerissen zwischen seiner Vergangenheit und einer Gegenwart im christlichen, im säkularen Ambiente.

So gesehen stagniert die Ausstellung bei der Fixierung auf seine jüdische Herkunft - und oft gefällige Motive, pittoresk und unverbindlich. Und so lässt es sich nun wunderbar berauschen an vermeintlichen "Exotismen" - ob Chagall das nun recht gewesen wäre oder nicht.

bis 16. Januar, Hamburg, Bucerius Kunst Forum

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