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MedienZwei Wahrheiten

Eine Bremer Familie fühlt sich diffamiert, weil sie bei "Stern TV" auf RTL als misslungenes Beispiel für Integration porträtiert wurde. Stern TV ist indes der Meinung, man habe fair berichtet.

Fiel bei der Recherche von Stern TV "positiv" auf, wurde dann aber als misslungenes Integrationsbeispiel dargestellt: Reyhan Savran. Bild: Stern TV

Das Klischee stimmte. Und das Urteil wurde schon vorweggenommen. Von einem Beispiel, wie Integration auch mal "misslingen" könne, war die Rede. Bei Günther Jauch, vor versammeltem Millionenpublikum. Gemeint hat der Moderator der RTL-Sendung "Stern TV" am 27. Oktober dabei nicht zuletzt Familie Kocak aus Bremen. Die anschließenden TV-Bilder vermochten diesen Eindruck auch zu bestätigen. Zu recht?

Einer derer, die dort vorgeführt wurden ist Reyhan Savran. Seit 30 Jahren lebt der 42-Jährige schon in Deutschland, seit 20 Jahren arbeitet er hier als Dolmetscher. Er hat einen deutschen Ausweis und einen türkischen Migrationshintergrund. Savran sitzt im Bremer Rat für Integration, ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Türkischen Elternvereins, Mitglied im Zentralelternbeirat und im Sprachenrat in Bremen, dazu seit zehn Jahren Elternsprecher im Kindergarten seiner Kinder. Und so weiter. Lang ist die Liste der Initiativen, in denen sich Savran in den letzten 25 Jahren engagiert hat. All das erfährt man im Film aber nicht.

"Ein Stück Türkei mitten in Deutschland", heißt es dort stattdessen über seine Großfamilie. Drei Frauen, namenlos, werden ins Bild gerückt, allesamt tragen sie Kopftuch, allesamt leben sie mehr als zehn Jahre in Deutschland, allesamt sprechen sie nur wenig Deutsch. Von einem "Familiensonntag" ist die Rede, ein "Frauentisch" wird gezeigt, im Hintergrund läuft türkische Musik, die Kinder gucken nebenan fern - türkisches Fernsehen.

"Die Familie bleibt unter sich, auch bei der Partnerwahl", heißt es anschließend. Dann rückt "Onkel Reyhan" ins Bild, der die Ehe zwischen seinem Cousin Ahmet Kocak und dessen Frau Yasemin "gestiftet" hat. "Es ist ein großes Glück für alle, wenn wir junge Leute verheiraten können", sagt Savran im Film. Kurze Zeit später wird in der sich anschließenden Studio-Debatte von "Zwangsheirat" die Rede sein. Und Thilo Sarrazin darf sagen: "Das, was wir dort sehen, ist die Regel und nicht die Ausnahme." Das ist die eine, die fernsehöffentliche Seite der Geschichte. "Die Wahrheit", sagt Sarrazin zu Beginn der Sendung, "kann nie schädlich sein."

Savran bestreitet all das Dargestellte nicht. Aber es gibt noch eine ganz andere Seite der Wahrheit. Gut 30 Leute seien bei den dreistündigen Dreharbeiten in der Wohnung der Kocaks gewesen - die drei Frauen, sagt Savran, seien darunter die einzigen, die "nicht gut" Deutsch sprächen. Sie hätten der Ausstrahlung ihrer Bilder "ausdrücklich widersprochen", so Savran.

Die gezeigten Kinder seien "durch die Bank zweisprachig" - dass sie neben dem türkischen zuvor auch "SpongeBob" im deutschen Kinderfernsehen sahen, zeigt der Beitrag indes nicht. Und Ahmet Kocak, seit Anfang vergangenen Jahres in Deutschland, besucht einen Integrationskurs, arbeitet nebenher bei einem Frisör, seine Ausbildung wird hier nicht anerkannt. Ihm war gesagt worden, so Savran, dass er bei der Recherche von Stern TV "positiv" aufgefallen sei. 1.000 Euro Aufwandsentschädigung wurden ihm angeboten.

"Mein Ansehen hat durch diese verdrehte Berichterstattung großen Schaden erlitten", sagt Savran. Und dass er überlegt hat, all sein ehrenamtliches Engagement niederzulegen. "Meine Familie und ich werden in eine Ecke gestellt, in die wir absolut nicht gehören und auch nicht gehören möchten." Einige, die ihn schon länger kennen, loben ihn als "engagiert", "kooperativ" und "hilfsbereit", kritisieren die Darstellung bei Stern TV als "völlig verzerrt". Andere sagen: "Er ist einer, der seinen Platz hier gefunden hat." Und werden nicht auch deutsche Paare verkuppelt?

Andreas Zaik, Chefredakteur von Stern TV, bedauerte Savran gegenüber zwar "sehr", dass sich die Familie "ungerecht behandelt" fühle. Findet aber auch, man habe "fair" berichtet. Und weiter: "An keiner Stelle des Films werden Sie als mustergültig dafür präsentiert, wie Integration nicht gelingen kann." Ganz im Gegenteil. Man habe "bewusst" Familien ausgewählt, die den gängigen "Stammtischklischees" entgegenstünden.

Savran reicht das nicht. Er fordert eine Entschuldigung von Jauch selbst, vor laufender Kamera. Doch bis zu dem Moderator ist er bislang "nicht durchgedrungen". Aufgeben will er nicht: "Ich werde nicht müde, mich weiterhin im Sinne einer gelungenen Integration einzusetzen."

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6 Kommentare

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  • R
    Ringo

    Auch fernsehkritik.tv hat sich mit dem Thema beschäftigt und Herrn Savran dazu besucht.

     

    Den Ausschnitt gibts auf youtube unter:

    http://www.youtube.com/watch?v=FbhGoc1GPiA

  • H
    Hanna

    Ich kann mich auch einen sehr deffamierenden Beitrag im Stern über Kurden aus dem Libanon erinnern. Damals schlichen sich die beiden Reporter auch als Freunde an die Jugendlichen heran und haben die dann wie den letzten Dreck runtergeschrieben. Ein paar von Jugendlichen wurden von den Eltern daraufhin ganz gut zur Rede gestellt ... Es ging ja um die Familie, das war den Reportern aber egal. Welcher Kurde oder Türke stellt sich vor eine Kamera und macht den Integrationsunwilligen?

    Keiner, Keine

    Deswegen helfen die Leute vom Stern eben nach. Das dies allesamt keine journalistischen Berichte oder überhaupt Arbeiten sind, wissen weder die Interviewten noch die Zuschauer bzw. Leser. Wenn ein Journalist mit einer These losgeht und diese sich selbst bestätigt bzw. zurecht biegt, ist das kein Journalismus, sondern Propaganda.

    Und da wachen sie dann mit Flöhen auf, aber mal ehrlich, wer hätte das aus dem Stand geahnt. Die Typen bei den Kurden haben richtig ein auf Kumpel, mit ein paar Arabisch-Brocken gemacht (die Sprache konnte die nicht) und sich praktisch als Freunde ausgegeben.

    Insofern: Warnung vor dem Stern. Sowohl TV als auch Magazin haben keine Hemmungen, konstruierte und unwahre Geschichten zu veröffentlichen. Die Hauptsache die Auflage und Werbeeinnahmen stimmen.

  • T
    Toby

    Stern TV und RTL. Wer sich mit Hunden schlafen legt, wacht mit Flöhen auf.

  • FM
    faire Medien? Wo denn?

    Wer noch nie selber mit den ach so neutralen und fairen Medien zu tun hatte und am eigenen Leib erfahren durfte, was für Lügner dort meist arbeiten, kann das einfach nicht nachempfinden. Den Medien ist es völlig egal, irgendwelche Fakten zu verdrehen oder Behauptungen azustellen, denn auch falls sie wirklich einmal(kommt selten genug vor)zugeben, falsch zu liegen, ist der Schaden schon angerichtet und wird sich nie wieder einrenken! Macht, Geld und Einfluss- all das haben normale Leute, über die berichtet wird, nicht, aber das braucht es, um wirklich wirksam gegen Lügner, Tatsachenverdreher und Verleumder vorzugehen. SternTV ist jetzt nur ein unrühmliches Beispiel, aber das läuft so tagtäglich(und egal zu welchem Thema!). Man sollte nichts glauben, was in TV, Zeitung, etc. behauptet wird, weil man nicht weiß, wie sogenannte Journalisten an die "Fakten" gekommen sind oder inwiefern sie diese verändert haben. Wie gesagt, man wird erst sympathisieren, wenn man erlebt hat, wie die "arbeiten"...

  • W
    willy

    "Seit zehn Jahren Elternsprecher im Kindergarten seiner Kinder"- na die lassen sich aber Zeit!

  • D
    denninger

    Die Diffamierung hat aber weniger mit dem Berliner Tilo zu tun als mit den Medienmanipulation - pardon, natürlich Aufbereitung - allgemein.

    Und, liebe taz, mal ganz ehrlich:

    Die Aussagen so mancher publizierten Artikel kann man, objektiv betrachtet, als Produkt kognitiver Verzerrung erkennen.

    Das ist ja nicht böse gemeint, jeder Autor möchte seine subketiven Ansichten objektiv belegen können.

    Und wer - mit Verlaub - naiv genug ist, einen "Privatsender" seine Privatsphäre durchleuchten zu lassen muss sich nicht über eine verzerrte Darstellung wundern, Migrant hin oder her.

    Das erinnert mich an einen längst verjährte Begebenheit:

    Zum 40. Jahrestag des Kriegsendes durfte eine Produktionsfirma in meiner damaligen Schule drehen. Das Thema war wohl "Der Nazionalsozialismus und die Schüler heute" oder so.

    In einer Vorbesprechung mit der SMV bat einer der Redakteure ganz offen, "den dümmsten Neonazi der Schule" oder wahlweise "der Umgebung" vor die Kamera zu bringen denn man bräuchte ja "so einen" um zu zeigen dass es "hier solche auch noch gibt".

    Als "so einer" nicht beschafft werden konnte meine ein anderer Redakteur "dann schneiden wir eben das WJ- ********* von neulich mit rein."