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MassentierhaltungHühnerstall im Heilbad

In Ostfriesland sollen 27 Hähnchenmastbetriebe gebaut werden - in einer Gegend, in die Asthmakranke zur Genesung kommen. Doch Ställe verseuchen die Luft mit gefährlichen Bakterien.

Waren einst dankbar für die Anerkennung als Heilbad: Wirtschaftsminister Jörg Bode, Bürgermeisterin von Norden Barbara Schlag und Kurdirektor Claudio P. Schrock-Opitz. Bild: Norddeich.de

Ostfrieslands heimliches Wappentier, die schwarzbunte Kuh, hat ausgedient. In Zukunft wird sie wohl durch ein Grillhähnchen ersetzt. Nachdem durch immer niedrigere Milchpreise die Viehwirtschaft unrentabel geworden ist, droht der Region eine wahre Invasion von Hähnchenmastställen.

27 Anlagen mit einer Kapazität von 40.000 bis 80.000 Tieren pro Stall und Mastphase (sechs Wochen) sind in Planung. Für drei Ställe liegen Bauanträge vor. Offiziell sind die für 39.999 Tiere pro Anlage ausgelegt. Erst ab 40.000 muss die Öffentlichkeit bei der Bauplanung einbezogen werden.

Diese Öffentlichkeit aber scheut Bauer Albert Martens aus Westermarsch / Norden-Norddeich (Landkreis Aurich) wie der Teufel das Weihwasser. Er will vor seinem Hof zumindest eine Mastanlage bauen. Doch eine Bürgerinitiative (BI) will das verhindern.

"Die heilende Seeluft macht traditionell den Charakter der Küste aus", sagt Martens Nachbar und BI-Mitglied Herrmann Buss. Buss ist lungenkrank. "Sollten die Ställe gebaut werden, müssten wir umziehen", befürchtet Buss. Unterstützung bekommt er von Thomas Fein.

Der Praktische Arzt aus Greetsiel ist Sprecher der Bürgerinitiative gegen Mastställe in Ostfriesland: "Es ist unfassbar, Norddeich ist gerade mit EU-Subventionen zum Heilbad ausgebaut worden. Tausende Asthmakranke suchen hier jedes Jahr Linderung", sagt er. Die ganze Küste werbe mit diesem Heilklima und die industriellen Mastställe verseuchten die Luft mit Bakterien. "Die Gefahr der Grippeerkrankungen und allergischen Reaktionen erhöht sich in der Nähe von Mastställen drastisch", sagt Fein. Noch gefährlicher sind die sogenannten Orsa-Bakterien, sagt der Arzt.

Osra-Bakterien sind resistente Bakterien, die sich in der Massentierhaltung schnell vermehren. Ein Gegenmittel gegen die Krankheitserreger gäbe es nicht, so Fein.

Die Westermarsch liegt direkt an der streng geschützten Ruhezone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Große Teile gehören zu einem Vogelschutzgebiet. Merkwürdigerweise machen die Schutzgebietsgrenzen, sonst schnurgerade wie auf dem Reißbrett gezogen, einen weiten Bogen um den Martenshof. "Jedes Jahr ziehen hier hunderttausende Zugvögel durch. Die Tiere würden neben den Mastställen auf den Gülle getränkten Weiden äsen. Besser können sich Seuchen gar nicht verbreiten", sagt Fein.

Deutschlands Industrie-Fleischzentrum um Vechta und Cloppenburg gilt wegen der hohen Maststalldichte als verseucht. Neue Genehmigungen für Mastställe sind schwer zu kriegen. Deswegen wirbt die Landwirtschaftskammer Weser Ems für die Mastställe in der "Gesundlage an der Küste". In Wietze bei Celle soll Europas größter Hähnchenschlachthof gebaut werden. Tagesleistung fast eine halbe Millionen Schlachtungen. Dieser Moloch braucht Futter. Schon lange geht es beim Boom der Mastställe nicht mehr um die regionale oder nationale Versorgung mit Geflügelfleisch.

Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium ist der nationale Markt für Geflügelfleisch gesättigt. Durch einen europaweiten Preiskampf haben Konzerne wie Wiesenhof oder Rothkötter die Geflügelpreise durch Massenproduktion in den Keller gedrückt. Trotz anderer Versprechen der Industrie sind die Gewinnspannen der Geflügelbauern niedrig. "Der Gewinn liegt nach Abzug aller Unkosten pro Tier unter 10 Cent", rechnet ein bayrischer Lohnmäster von Rothkötter vor.

Der Überschuss an Hähnchenfleisch soll daher verstärkt nach Afrika exportiert werden. "Eine Katastrophe", so der Evangelische Entwicklungsdienst (EED). "Das Billigfleisch zerstört die afrikanischen Märkte." Dort haben Kleinbauern versucht mit Geldern aus der Entwicklungshilfe Kleinzuchtbetriebe für Hühnerfleisch aufzubauen. In Ghana sind 95 Prozent dieser Kleinbauern laut EED pleite.

"Massenmast ist Tierquälerei", schimpft Herrmann Buss. Hier habe die EU ein Eigentor geschossen. Neben ungezügeltem Gebrauch von Antibiotika in der Massenmast hat sie eine Bestandsdichte von 25 Tieren pro Quadratmeter Maststall erlaubt. Als "tierschutzgerecht" aber gibt sie selbst eine Bestandsdichte von knapp der Hälfte der Tiere pro Quadratmeter an.

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4 Kommentare

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  • HO
    Hiltrud Olbrich

    Hallo, anbei erhalten sie einen Kommentar zum Dioxinskandal, den ich nicht einfach hinnehmen mag. Ich weiß, daß viele andere Menschen ebenso denken wie ich!

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Hiltrud Olbrich

     

    Asenweg 2

     

    26736 Krummhörn

     

    Tel.: 04923 / 80 52 16

     

     

     

    Kommentar:

     

     

     

    Jeder bäuerliche Betrieb bzw. Biobauer könnte gut existieren, wenn die Subventionen daran orientiert würden, wie artgerecht die Tiere gehalten und wie umweltgerecht gewirtschaftet würde.

     

     

     

    Es ist eine Schande, wie mit den Tieren umgegangen wird, da kann man nichts mehr „schönreden“ wenn man bedenkt, dass 22 Hühner ihr Leben bis zu ihrem Ende auf 1 qm fristen müssen. Das ist keine artgerechte Tierhaltung und kann nicht in Übereinstimmung mit dem Tierschutz in der Verfassung gesehen werden.

     

    Die Genehmigungsbehörden müssen dem Tierschutz endlich Rechnung tragen! Ich fordere auch die Religionen auf, Stellung zu beziehen!

     

    Wenn weniger Tiere „produziert“ würden, müsste nicht tonnenweise Fleisch vernichtet werden. Der Markt ist übersättigt! Wenn nicht in der EU, werden global anderswo bäuerliche Landwirtschaften und Existenzen vernichtet bzw. ebenfalls zu nichtakzeptablen Haltungsmethoden gezwungen..

     

    Tierfabriken sind Tierfolterstätten und Krankheitsschleudern ! Tierfabriken bringen Profit für wenige und Leid für viele.

     

    Daß so viele Menschen kontaminiert sind mit Dioxinen und anderen Giften sowie mit resistenten Bakterienstämmen, von durch Kot kontaminierte Ackerböden und Grundwässer ganz zu schweigen, ist nicht mehr hinnehmbar.

  • TL
    Terese le Duc

    Dieser grausame Wahnsinn muss gestoppt werden - unbedingt und unverzüglich! Die Tiere leiden und müssen ein schreckliches, kurzes Leben führen. Die Auswirkung auf Umwelt und Welthunger sind gravierend. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Massentierhaltung "von unten" gestoppt wird. Jeder halbwegs intelligente Konsument sollte nicht mehr zu billigen Tierkadavern als Nahrungsmittel greifen. Weniger, oder noch besser KEINE Tiere mehr essen.

  • SW
    Susanne Wehrenbrecht

    Ein sehr treffender Artikel, der verdeutlicht, wie Politik und Wirtschaft sich über die Interessen der Bevölkerung, der Kreatur und Natur hinwegsetzen.

     

    Solange sich nicht genügend Menschen dagegen wehren, wird Macht und Geld die Welt regieren und irgendwann zugrunde richten.

     

    Ich hoffe, dass dieser Artikel und die Aktivitäten der Bürgerinitiative genügend Menschen mobilisieren werden, um diese geplante Massentierhaltung zu verhindern.

  • H
    Harry

    Zur Erinnerung:

     

    Das Leid der Tiere ist das Grab der Menschen.