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KostenexplosionBetrüger in Weiß

Die Abrechnung von Gesundheitsleistungen ist so bürokratisch, dass Betrug nur in Ausnahmefällen auffliegt. In Bremen kooperieren wenigstens die Ermittler.

Können nur schwer überführt werden: betrügerische Ärzte. Bild: dpa

Die Abrechnungs-Modalitäten zwischen Ärzten und Krankenkassen sind kompliziert und bürokratisch, das lässt viel Spielraum für kleine und große Betrügereien. Mit einer gemeinsamen "Prüfgruppe" versuchen Bremer Krankenkassen in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung, die auch die Ärzte vertritt, und der Kripo solchen Betrugsversuchen auf die Spur zu kommen. Auf 653 bearbeitete Fälle kommt die Bremer Prüfgruppe in ihrer Bilanz der letzten zehn Jahre - auch wenn davon nur 79 Fälle nachweisbar waren, summiert sich der Schadensersatz allein für die Kassen auf 4,5 Millionen Euro.

Die größte Summe davon geht auf das Konto einer kommunalen Bremer Klinik. Die Ermittlungen in dem Fall haben aber bisher noch nicht zur Erhebung einer Anklage geführt.

Durch die Presse ging in Bremen der Abrechnungsbetrug mit Methadon-Rezepten - ein Apotheker bekam von Süchtigen ein etwa 400 Euro teures Rezept und gab dafür nicht Methadon, sondern ein Handgeld ab. Der Mann hat inzwischen seine Approbation verloren und musste Privatinsolvenz anmelden.

Strafrechtlich abgeschlossen - mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung - ist auch der Fall eines Lungenfacharztes, der in 630 Fällen eine Untersuchung mit der Berufsgenossenschaft abrechnete und gleichzeitig bei der Krankenkasse. Da normalerweise die beiden Kostenträger untereinander keinen Datenabgleich machen, fiel das über Jahre nicht auf. Die Prüfgruppe beziffert den Schaden auf 190.000 Euro.

220.000 Euro Schaden sind in einem anderen Fall entstanden, in dem ein Arzt Patienten mit "Luft-Verordnungen" an die ergotherapeutische und logopädische Praxis seiner Frau überwies - meist Rezepte für Kinder, wo es keinerlei Zuzahlungen gibt. Dieser Arzt kann nicht mehr verurteilt werden, er starb bei einem Verkehrsunfall, gegen seine Frau steht das Strafverfahren noch aus.

In einem anderen Fall, so berichtete der Kripo-Beamte Andreas Ernst, sind Verfahren gegen 800 Patienten anhängig, die in einer Praxis für Physiotherapie Quittungen für Behandlungen unterschrieben, die offensichtlich nicht stattgefunden hatten. Ein Pflegedienst flog auf, als die "Prüfgruppe" die Pflegefälle verschiedener Kassen nebeneinander legte und feststellte, dass da 200 Kilometer Fahrten kreuz und quer durch die Stadt zu 13 Patienten innerhalb von vier Stunden abgerechnet worden waren.

79 überführte Fälle für zehn Jahre sind nicht viel und 4,5 Millionen Euro Rückzahlung angesichts von rund zehn Milliarden kassenwirksamen Gesundheitskosten für Bremen (gerechnet immer über zehn Jahre) auch nicht - aber der Weg vom Verdacht zum Beweis ist schwierig, weil es eben keinen systematischen Datenabgleich gibt. Kassenpatienten bekommen keine Kopie der Rechnung, die Ärzte oder Kliniken an die Krankenkassen schicken. Das bedeutet: Es ist gar nicht gewollt, dass Patienten überprüfen, was abgerechnet wird. Wenn es nicht einzelne Verdachts-Hinweise gibt, können sich die Prüfer nur auf die Plausibilität der Abrechnungen eines Arztes beziehen - dafür haben die Krankenkassen eine "Plausi-Kommission", die Rückzahlungen erzwingen kann, wenn ein Arzt bei einer Abrechnungs-Art deutlich über dem Schnitt liegt.

Insgesamt, so betonte der Sprecher der Prüfgruppe Wilfried Mankus, sei die abschreckende Wirkung von Verurteilungen und Schadensersatzforderungen entscheidend.

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3 Kommentare

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  • H
    hallo?

    @Herr Prof. Dr. Stellbrink

     

    Auch ich kann die geschilderten Fälle - mangels Aktenlage - nicht beurteilen. Unterstellt jedoch, die Schilderung trifft zu, dann habe ich keine Probleme da Betrugstaten zu sehen.

     

    Und dagegen spricht auch nicht, dass dieser Betrug vielleicht KollegInnen schädigen könnte. Soo solidarisch sind die meisten Ärzte nun wieder auch nicht, dass sie eine Mehrung des eigenen Einkommens zu Gunsten von KollegInnen unterlassen würden.

     

    Und selbstverständlich schädigt es die Krankenkasse, wenn nicht erbrachte Leistungen abgerechnet werden. Oder haben Sie wirklich die (verquere) Vorstellung, dass das Geld der Kassen nun einmal für die Ärzte bestimmt ist und es quasi nur um die Verteilung unter diesen geht. Die Kasse zahlt für eine Leistung, die nicht erbracht wurde. PUNKT.

    Und selbst wenn es so wäre, dass das Geld eben unter den Ärzten verteilt werden soll, schädigt das Abrechnen nicht erbrachter Leistungen auch diejenigen Patienten, denen dann - wegen Ausschöpfung des Budgets - keine Leistungen mehr erbracht werden. Auch bezeichnend für das Berufsverständnis (von Berufung will ich gar nicht sprechen) dieser Ärzte. "Lieber eine Leistung abrechnen, ohne etwas dafür zu tun, als einem wirklich kranken Patienten zu helfen, vor allem wenn der wirklich kranke Mensch gar nicht zu mir kommt." Da ist es nur korrekt, wenn die Approbation weg ist.

     

    Und zum Schluß noch der Hinweis, der auch im Artikel steht: Die geschilderten Fälle betreffen nur einen kleinen Bruchteil der Ärzte und der abgerechneten Leistungen. Wie hoch das Dunkelfeld ist, kann man nur raten. Aber warum sollten Ärzte eigentlich bessere Menschen sein als der Rest?

  • P
    pablo

    lassen sie uns die kassenärztlichevereinigung auf geben, schliesslich laufen die abrechnungen darüber, das würde geld und bürokratie einsparen.

  • PD
    Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Stellbrink

    Was Sie elegant übersehen, ist die Tatsache, dass ein Betrug mit Leistungen innerhalb des Gesamtbudgets nur die anderen "Anbieter" im Gesundheitswesen (d.h. auch die Kolleg/inn/en) und nicht die Krankenkassen schädigt. Abgesehen davon gibt es bei Überschreitung des Regelleistungsvolumens sowieso faktisch kein Geld mehr, sodass es dann keinen Geschädigten mehr gibt - obwohl die Abrechnungsziffern auftauchen. Sie suggerieren ihrem Leser damit, dass nicht die zu behandelnden Krankheiten, sondern betrügerische Ärzte (in Ihrem Artikel ja auch locker in einem Atemzug genannt mit den Apothekern) die Ursache der hohen Kosten sind. Wenn Sie sich die Mühe machen würden, über ihren politischen Brillerand hinweg einmal genauer hinzusehen, würden Sie erkennen, dass es bei manchem vermeintlich schlimmen Betrugsfall doch interessante Details gibt, die das ganze etwas weniger problematisch erscheinen lassen. Ich kann die konkreten Fälle nicht beurteilen, weiß aber, dass Krankenkassen heute leichtfertig und pauschal Betrugsvorwürfe erheben, die sich im Nachhinein als gegenstandslos erweisen. Ihre Zwecke erfüllen sie aber: Die Verschreibungsblockade der Ärzte und den Aufschrei der Empörung in den Medien, die nur zu gerne ihre Vorurteile über den "medizinisch-industriellen Komplex" (Spiegel) bestätigt sehen. Dass Ärzte ihr Geld nicht ehrlich verdienen können, weiß schließlcih jeder, der schon einmal einen im BMW gesehen hat.