Amnesty-Polizeiexpertin Spieß: "Die Ermittlungen sind mangelhaft"
Der Fall Jalloh zeigt: Solange die Polizei gegen sich selbst ermittelt, gibt es keine unabhängigen Verfahren, sagt Katharina Spieß von Amnesty. In Sachsen-Anhalt habe man reagiert.
taz: Frau Spieß, vor sechs Jahren ist der gefesselte Oury Jalloh bei einem Brand in einer Dessauer Polizeizelle gestorben. Haben Polizei und Politik daraus gelernt?
Katharina Spieß: Zumindest in Sachsen-Anhalt hat man reagiert: Mit der Einrichtung zentraler Gewahrsamseinrichtungen, in denen speziell geschulte Beamte arbeiten. Außerdem ist die ganze Verwahrungstechnik überprüft worden. Allerdings kam im Prozess zutage, dass es massive rassistische Äußerungen vonseiten der Polizei gab. Trotzdem gibt es bis heute keine institutionalisierte Antirassismusschulung für die Polizeibeamten. Das kritisieren wir.
Amnesty International recherchiert seit den Neunzigerjahren Fälle von Polizeigewalt in Deutschland. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Im Jahr 2009 gab es zum ersten Mal überhaupt eine Statistik über Ermittlungen wegen Polizeigewalt. Das waren deutschlandweit knapp 3.000 Verfahren. Das sind aber nur die Fälle, bei denen tatsächlich ein Verfahren eingeleitet wurde. Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass Betroffene gar keine Anzeige erstatten.
KATHARINA SPIEß 40, ist Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International. Die Juristin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Polizeigewalt in Deutschland.
Warum nicht?
Manche haben Angst vor einer Gegenanzeige. Vor allem aber gibt es wenig Vertrauen, dass so eine Anzeige auch etwas bringt - da herrscht richtige Frustration bei den Betroffenen.
Und wie viele Ermittlungen führen zu einer Anklage oder Verurteilung der Beamten?
Dazu haben wir bislang gar keine Zahlen. Das statistische Bundesamt beruft sich auf Probleme wegen der Umstellung in statistischen Verfahren.
Also wissen Sie gar nichts über die Qualität und den Erfolg der Ermittlungen?
Es gibt kriminologische Untersuchungen, die ergeben haben, dass Ermittlungen gegen Polizisten regelmäßig schneller eingestellt werden als andere Strafverfahren. Und aus unseren eigenen Untersuchungen wissen wir: Es gibt eklatante Mängel bei den Ermittlungen. Der europäische Menschenrechtsgerichtshof fordert, dass solche Verfahren unmittelbar, unabhängig, unparteiisch und umfassend sein müssen. Das sind sie in vielen Fällen nicht.
Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt hat eine zentrale Polizeibeschwerdestelle eingerichtet. Bringt das etwas?
Es ist ein Anfang. Die Beschwerdestelle ist eine erste Anlaufstelle für Opfer von Polizeigewalt, aber sie untersucht ja die Fälle nicht. Das macht weiterhin die Polizei selbst.
Wer sollte es denn sonst machen?
Wir fordern die Einrichtung unabhängiger Untersuchungskommissionen. In Großbritannien, Irland und Norwegen gibt es solche Einrichtungen längst. Oft reicht es schon, wenn eine solche Kommission die ermittelnde Polizei überwacht.
INTERVIEW: MANUELA HEIM
Leser*innenkommentare
Der Sizilianer
Gast
"Auch das Recht des Bürgers sich mitten zwischen Gewalttätern aufzuhalten, aber auf keinen Fall belästigt zu werden, ist ein hohes Gut."
Ganz genau.
Und genau dieses Recht wurde Herrn Jalloh ganz offensichtlich verwehrt.
Daran ist er gestorben.
Unabhängige Kontrollinstanzen sind ein wichtiges Kennzeichen des Demokratischen.
Deswegen gibt es z. B. auch eine Gewaltenteilung.
Und ganz offensichtlich zeigen manche Fälle von Polizeigewalt, dass entsprechende unabhängige Kontrollinstanzen inzwischen sinnvoll sind.
Der Sizilianer
Gast
"Auch das Recht des Bürgers sich mitten zwischen Gewalttätern aufzuhalten, aber auf keinen Fall belästigt zu werden, ist ein hohes Gut."
Ganz genau.
Und genau dieses Recht wurde Herrn Jalloh ganz offensichtlich verwehrt.
Daran ist er gestorben.
Unabhängige Kontrollinstanzen sind ein wichtiges Kennzeichen des Demokratischen.
Deswegen gibt es z. B. auch eine Gewaltenteilung.
Und ganz offensichtlich zeigen manche Fälle von Polizeigewalt, dass entsprechende unabhängige Kontrollinstanzen inzwischen sinnvoll sind.
Stefan
Gast
Richtig, wir sollten diese Ermittlungen "Unabhängigen" überlassen, die aufgrund ihrer Feinschaft zum westlichen Wertesystem sicher nicht in den Verdacht gelangen, zu nachlässig gegenüber Repräsentanten des Staates zu sein.
Auch das Recht des Bürgers sich mitten zwischen Gewalttätern aufzuhalten, aber auf keinen Fall belästigt zu werden, ist ein hohes Gut.
@ daweed
Gast
Und schon wieder einer, der nicht bei der Sache bleiben kann. Was haben denn Sitzblockaden mit dem Artikel oder dem vorangegangenen Kommentar zu tun? Dazu passt, dass auch noch die "Junge Welt" zitiert wird.
daweed
Gast
@Hans Dampf
Lies den Bericht von AI !
Denn wenn die Strafverfolgung gegen die eigenen Kollegen vorgeht und nicht beaufsichtigt wird, passieren immer wieder Fehler.
Dann liegt der fehler in deinem tollen Rechtsstaat, wo Sitzblockaden als Nötigung gewertet werden.
http://www.jungewelt.de/2011/01-12/062.php
Schon mal von ner Streife von 2 Polizisten angezeigt worden. 2 Zeugen gegen einen Angeklagten...
Hans Dampf
Gast
Ich bin froh, dass wir in einem Rechtsstaat leben, wo jeder das Grundrecht auf einen gesetzlichen Richter hat und Strafverfolgung nur von gesetzlich legitimierten Amtsträgern betrieben wird, die nachweisen müssen, dass sie dafür geeignet sind.
Wer legitmiert amnesty?
Niemand!
Da kann jedermann, ob geeignet oder nicht, sich zum Experten ernennen und solche geistigen Fehlleistungen kundtun.
KFR
Gast
Versteh ich nicht !
Die täglichen Dosis Kriminalfilme zeichnet ein völlig anderes Bild der Abteilungen für "interne Ermittlungen" oder sind das auch nur "Traumwelten" ?
schulzi
Gast
Mein Brot! Ich melde mich!
Das wuerde bedeuten:
keine eigenen Verwandten/Bekannten/Sponsoren
in den betr. Strukturen.
Unabhaengige Befragungen von Menschen,
die sonst uebersehen oder nicht zugelassen werden.
Natuerlich kann ich mich schwach erinnern,
dass frueher (DDR) die Beamten selbst in der Ausbildung oder Arbeitsplatz-Probezeit
zeitweise als Gefangene in die Zellen musssten,
um eine stabile Psyche/Emotion im Umgang mit Gefangenen zu erlangen, trainieren.
Das wird schwierig.
Kann aber Verbesserungen in Verpflegung, Fuersorge, Therapie, Umgang, Rechten, Pflichten, Bildung, Arbeit, Lebensweise und sogar Gesetzgebung bedeuten.