Kolumne Landmänner: Alles kein Thema

Bitte keine Selbstbespiegelung mehr – es sei denn, sie findet im Ausland statt. Dann lieber den Babybauch von Kristina Schröder.

Neulich kam ein Leserbrief, der mich in freundlich-strengem Ton darauf hinwies, dass nun mal endlich Schluss sein solle mit dem Gewese, das die Homosexuellen in eigener Sache betreiben: "Gleich ist gleich". Wohl aber dürfe ich mich auch in Zukunft um unterdrückte Selbige im Ausland kümmern und entsprechenden Lärm machen, wenn es dort beklagenswerte Missstände gäbe.

Im Sinne der Leser-Blatt-Bindung schließe ich jetzt immer Fenster und Türen, wenn ich mich mit meinem Mann über Gleichgeschlechtliches unterhalte. Es ist schon exhibitionistisch genug, dass wir keine Vorhänge in unserer Erdgeschoss-Küche haben.

Sollen sich doch andere aufregen und Krach schlagen, weil evangelische Bischöfe Front gegen gleichgeschlechtlich Liebende in deutschen Pfarrhäusern machen. Wir flüstern, murmeln, tuscheln und nuscheln nur noch so leise vor uns hin, dass sogar die Katzenohren erschlafft darniederliegen wie bei einer Sonntagspredigt. "Das alle den Westerwelle zum Teufel jagen wollen, hat nur mit seiner schlechten Haut zu tun", schreibe ich auf einen Zettel und schiebe ihn über den Tisch.

Mein Mann schreibt mir daraufhin eine SMS: "Ja, und wenn der Blatter von der Fifa sagt, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen bei der WM in Katar besser auf jegliche Sexualität verzichten solle und alle rumkichern, dann meint er bestimmt bloß Schweinsteiger und Poldi." Ich nicke zustimmend mit dem Kopf. Hätte man das jetzt auch bei geöffnetem Fenster sagen können? Katar ist doch Ausland? Aber bei der Fifa ist der DFB Mitglied, und der sitzt ja nun mal in Deutschland.

Mit Gebärdensprache formuliere ich den Satz: "In Litauen sollen jetzt Menschen, die 'Werbung für Homosexualität' machen, 3.000 Euro Strafe zahlen. Das ist aber auch nicht schlimm, weil Werbung an sich ist ja auch doof." Mein Mann antwortet, indem er mit Kreide auf den Fußboden malt: "Aber Litauen ist doch EU? Darf man das dann nicht laut sagen?" Als Nächstes mache ich das Fenster auf und schreie auf die Straße: "Im Irak werden Homosexuelle umgebracht." Das ist auf jeden Fall vertretbar.

Es wurde uns irgendwann zu anstrengend, weil man einfach nie weiß, wann etwas angebracht ist und wann nicht. Ich sprach von nun in an in normaler Lautstärke: "Hast du gesehen, Kristina Schröder ist schwanger - war bei Bild auf Seite eins." Mein Mann fragte bloß: "Ach, und warum ist das ein Thema? Eine Ministerin hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr und jetzt hat sie einen dicken Bauch, na und?" Entrüstet sprach ich: "Also bitte, natürlich ist das ein Riesenthema. Da geht es um die Selbstbestimmung der Frau, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, solche Sachen. Geschlechtsverkehr!"

Mein Mann verstand jetzt langsam die Welt nicht mehr. "Okay, aber das mit dieser Ministerin hat doch nichts mit dem Ausland zu tun. Das ist doch eine deutsche Ministerin, und im Grundgesetz steht, dass Frauen die gleichen Rechte haben. Die Bundeskanzlerin ist auch eine Frau. Gleich ist gleich. Also mach bitte das Fenster wieder zu."

Er hat ja recht. Wer will schon ständig mit diesem nervigen Untenrum-Schmuddelkram zu tun haben. Es sei denn, er findet im Ausland statt. Schicken Sie mir bitte eine Mail, falls Ihnen dortige Missstände zu Ohren dringen sollten.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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