Kolumne Lustobjekte: Abgestempelt ist schöner

Kurznachrichten sind ja ganz nett – aber glücklich macht nur eine Postkarte. Sie ist ein papierner Gruß für die Ewigkeit.

Haben Sie schon mal versucht, eine SMS auszudrucken, um sie an den Kühlschrank zu hängen? Mein Freund Hugo fuhr neulich in den Urlaub. Ob er mir etwas mitbringen solle, wollte er wissen. Ich erwiderte, allein eine Postkarte könne mich glücklich machen. Hugo versprachs und flog ab. Der Briefkasten blieb jedoch eine Woche leer, stattdessen erreichten mich regelmäßig Nachrichten auf meinem Handy, in denen mir Hugo mitteilte, dass "die wellen die höhe von bordsteinkanten erreichen".

Kurznachrichten sind vergänglich. Entweder wird das Handy geklaut oder man kauft irgendwann ein neues Modell und die SMS verbleiben auf ewig im Speicher des alten Geräts. Auch weiß man bei einer SMS nie, ob sie womöglich getippt wurde, während der Absender ein wichtiges Gespräch führte, Karten spielte und gleichzeitig einen Toaster auf eBay ersteigerte. Ein Brief hingegen wird nie beiläufig geschrieben. Es gibt keine automatische Worterkennung. Einen Brief schickt man auch nicht nachts und betrunken ab.

Also kramte ich meine Erinnerungskiste hervor, die ich seit zehn Jahren nicht mehr geöffnet hatte. Darin befanden sich drei Tagebücher, Fotos von Exfreunden und ein Stapel Briefe. Sie waren von D., meiner italienischen Sommerliebe auf Elba. Sie dauerte genau einen Tag und einen Kuss, danach sahen wir uns nie wieder. Aber wir schrieben uns Briefe. Und da waren sie nun, acht Luftpostumschläge aus weißem, dünnen Papier.

In dieser Nacht war ich wieder sechzehn. Ich schwelgte in Pubertätserinnerungen und konnte anhand der Briefe und Tagebucheinträge die Romanze mit D. erstaunlich genau rekonstruieren. So schrieb er in seinem ersten Brief: "Ciao Bella! Ich betrachtete immer Deutschland ein bedeutungsloses Dorf (dich nicht beleidigen) bevor kennen aber jetzt danke, ich lernte, ihn schätzen dir! Ich entschied, dass ich meinen nächsten Urlaub in deinem großartigen Dorf vorbeigehen will."

Am Tag, als der Brief ankam, schrieb ich mit wilder Schrift in mein Tagebuch: "Wow! D. hat geschrieben! Auf deutsch! Woher kann er das?! Ich heul fast vor Freude, hätte es nicht zu hoffen gewagt … Ich liebe ihn! Ich bin so glücklich."

Dann, einige Monate später: "Es ist jetzt 23 Tage her, seit D. geschrieben hat. Mein Onkel hat gemeint, dass Jungs halt auch nicht so gerne schreiben. Aber trotzdem. Bäh."

Und noch später, die Abstände zwischen den Briefen wurden länger: "Ich bin so schrecklich traurig, ich fühle mich als würde mein Herz zerrissen. Ich weiß nicht was ich will und ich will jemand sein der keine Probleme hat."

Unsere Brieffreundschaft endete schließlich recht pragmatisch: "Lieber D., danke für den schönen Tag auf Elba. Ich werde ihn immer in schöner Erinnerung behalten. Aber jetzt muss ich mich wieder auf die Gegenwart konzentrieren. Ich hoffe du suchst dir in Italien eine neue Freundin. Ich werde das Gleiche in Deutschland versuchen und sicher bald erreichen. PS: Das war ein Abschiedsbrief an D., den ich aber nicht abschicken werde. Ich habe ihn nur geschrieben, um mich innerlich von ihm zu lösen. Juhu! Ich bin frei."

Als Hugo schließlich aus dem Urlaub zurückkam, hatte er eine Postkarte im Gepäck. Darauf stand: "Ich habe wirklich überall gesucht, aber es gab auf dieser Scheißinsel keine Briefmarken." Sie hängt jetzt am Kühlschrank. Vielleicht kommt sie in die Kiste.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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