piwik no script img

Sitzenbleiben soll abgeschafft werdenWahlkampf mit kruden Zahlen

Wenn in diesem Jahr das Sitzenbleiben abgeschafft wird, wittert eine FPD-Frau ein Sparprogramm - hat allerdings schlicht ein Behördenpapier missdeutet.

Sollen gefördert werden und nicht mehr Sitzenbleiben: SchülerInnen in Hamburg. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die Sache hört sich krude an: 48 Euro pro Kind und Jahr, so berichtete jetzt das Abendblatt, stünden Hamburgs Schulen zur Verfügung, um durch individuelle Förderung das Sitzenbleiben zu vermeiden.

Zitiert wurde die FDP-Kandidatin und einstige "Wir wollen lernen"-Mitstreiterin Anna von Treuenfels. Die bezeichnete die genannte Summe als "schlechten Witz" und rechnete vor, dass die Stadt pro Jahr 4,3 Millionen Euro spare: Das Wiederholen einer Klasse sei mit rund 6.000 Euro je Kind viel teurer. Grundlage des Ganzen war indes ein falsches Zitat aus einem Papier von Schulamtsleiter Norbert Rosenboom.

Der Hintergrund: Die Klassenwiederholungen werden nach und nach abgeschafft. Das beginnt zunächst in den Klassen 3 und 4 der Grundschulen sowie Klasse 7 der Gymnasien und Stadtteilschulen.

Rosenboom schrieb nun, ab dem 1. Februar erhielten die Schulen besagte 48 Euro "je Schülerin/Schüler" der Klassen 4 und 7. Im Bericht des Abendblatt wurde daraus die Aussage, den genannten Betrag gebe es "pro zu förderndem Schüler".

Kein unwesentliches Detail: "Das Geld gibt es für jeden Schüler eines Jahrgangs", sagt Michael Gwosdz (GAL). Eingesetzt aber werde es nur "für die, die Förderung brauchen".

Sitzenbleiben

Sitzenbleiben soll es laut Paragraf 45 des Schulgesetzes nicht mehr geben. Schüler, die die Leistungsanforderungen in einem oder mehreren Fächern nicht erfüllen, schließen eine Vereinbarung ab und nehmen an individueller Förderung teil.

Laut Studien ist Sitzenbleiben wenig effektiv. Die meisten Schüler bleiben später erneut in ihren Leistungen zurück.

In der Bevölkerung ist das nicht angekommen. 66 Prozent finden Sitzenbleiben sinnvoll.

Für die Förderung erhalten Schulen entweder Lehrerstunden oder Geld. Davon kann Nachhilfe bezahlt werden.

So kämen bei etwa 15.000 SchülerInnen pro Jahrgang auf der einen Seite 720.000 Euro herein. Teile man dies durch die Zahl derjenigen 206, die im Vorjahr in Klasse 4 sitzengeblieben waren, entfielen auf jedes dieser Kinder 3.500 Euro, rechnet Gwosdz aus. In den 7. Klassen sind es demnach sogar 4.000 Euro.

"Kein Sparmodell", sagt der GAL-Schulpolitiker, "im Gegenteil, zunächst muss Geld investiert werden". Auch wolle man das Sitzenbleiben zwar reduzieren, aber nicht abschaffen: Auf Wunsch der Eltern könnten Kinder auch künftig eine Klasse wiederholen, wenn sie beispielsweise lange krank waren.

Die Schulbehörde hatte am Donnerstag versucht, die falsch publizierten Zahlen gerade zu rücken. Die Elterninitiative "Wir wollen lernen" (WWL) versuchte dennoch, Stimmung gegen diesen Rest der Schulreform zu machen: Die ehemalige Schulsenatorin Christa Goetsch erhoffe sich "erhebliche Einsparungen", indem die SchülerInnen "schneller durch die Schulzeit getrieben werden", heißt es in einer WWL-Mitteilung.

Das Sitzenbleiben abzuschaffen war ursprünglich Konsens unter den in der Bürgerschaft vertretenen Parteien gewesen. Auch in der gemeinsamen Empfehlung der Schul-Enquete-Kommission des Jahres 2006 fand sich dieser Ansatz wieder.

Offenbar aus gutem Grund: Laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm aus dem Jahr 2009 führt das Wiederholen einer Klasse weder bei den Sitzengebliebenen, noch für die in der Klasse verbleibenden SchülerInnen zu einer "Verbesserung ihrer kognitiven Entwicklung".

"Es geht hier nicht um Einsparung, sondern um eine pädagogische Reform", sagt auch Peter Albrecht, Vorsitzender der Elternkammer. "Die Schulen sollen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und es sich nicht einfach machen und sagen: Wenn ein Kind nicht mitkommt, verabschieden wir uns." Aus dem gleichen Grund sehe die Reform auch vor, die Abschulung vom Gymnasium ab Klasse 7 abzuschaffen.

Auch daran stört sich "Wir wollen lernen": Kinder, die dem Leistungsanspruch der Gymnasien "trotz Förderung nachhaltig nicht erfüllen konnten", müssten nun dort bleiben, schreibt die Initiative und spricht von einer Belastung für die "für die von Christa Goetsch bekanntlich nicht geliebten" Gymnasien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • F
    franz

    Den meisten Eltern scheint nicht klar zu sein, dass die Lehrer SchülerInnen, die überfordert waren, ja nicht deshalb haben sitzen lassen oder "abgeschult" haben, weil die "lästig" oder "unwürdig" waren für die betreffende Klasse oder Schule.

     

    Vielmehr liegt das Problem darin, dass die betreffenden SchülerInnen den Rest der Klasse im Lernfortschritt aufhalten ... denn nachvollziehbar werden diese SchülerInnen unruhig ... langweilen sich und "stören" über kurz oder lang den Unterricht durch allerhand "Nebentätigkeiten", weil sie das, was da läuft nicht verstehen und dann eben anderweitig Beschäftigung suchen.

    Alles menschlich, aber wenn man als Lehrer vor weiteren 29 Schülern steht, die auch was lernen wollen auf ihrem (!!!) Niveau, dann ist das nicht aufzufangen. Die meisten Lehrer wenden sich dann aber - vor die Wahl gestellt - den schwächeren Schülern zu, die stören schließlich am meisten ...

    die stärkeren SchülerInnen fallen in ihrem Lernniveau runter ...

     

    Natürlich könnte man die beschriebenen Probleme auffangen auffangen durch sehr modernen, integrativen und tatsächlich (!!!) - und nicht nur politisch poklamierten - individualisierten Unterricht.

    Dazu bracht man ZEIT (ist aber durch Kürzung des 13. Schuljahres grad verringert worden) und durch PERSÖNLICHE (!!) Betreuung, die diese Bezeichnung auch verdient.

    Experten wissen: das funktioniert nur bei einer Klassengröße von max. 14 SchülerInnen und zwei Lehrern gleichzeitig im Klassenraum. Unter diesen Voraussetzungen wäre dann tatsächlich die Heterogenität der SchülerInnen ein Vorteil für alle Beteiligte (aber eben auch nur unter diesen Voraussetzungen) ...

    ... nicht zu vergessen erfordert die Unterrichtskonzeptionierung für heterogene Lerngruppen wesentlich mehr Vorbereitungszeit auf Seiten des Lehrers - doch auch diese wurde mit dem Lehrerarbeitszeitmodell massivst beschitten ... also auch hier wurde faktisch das Gegenteil von dem durchgeführt, was dem Ereichen von Politkern und Behörde proklamierter Ziele dienlich wär ...

     

    Nicht zuletzt: natürlich ist es so, dass durch "Nichtabschulen" und "Nichtwiederholen" erhebliche Aufwendungen eingespart werden. Denn die Verweildauer einer SchülerIn in der allgemeinbildenden Schule wird sicher sensationell verkürzt werden, damit spart man das teuerste, was die Schule hat: Lehrer und Raum.

     

    Genau wie durch jede andere Reform der letzten Jahre nur Lehrer und Raum eingespart wurden. Das Arbeitzeitmodell, der Wegfall des 13. Schuljahres und die Oberstufenreform hin zu "Profilkursen" usw. (führt zu nachhaltiger Vergrößerung der Oberstufenkurse) ...

     

    Folgen dieser Sachverhalte:

     

    1.) Das Lernniveau an Hamburger Gymnasien ist in den vergangenen Jahren aufgrund oben genannter Reformen kontinuierlich gesunken.

     

    2.) Es ist eine Frage rationaler Logik, dass mit oben diskutierter Reform das Niveau weiter sinken wird.

     

    3.) Natürlich behaupten alle an den Reformen beteiligten Politiker, es wird ständig alles besser ... ist doch klar.

     

    Ergebnis:

     

    1.) Bundesweit ist inzwischen längst bekannt, dass die Hamburger Abiturienten bezogen auf ihre Kompetenzen die rote ALterne besitzen.

    2.) Unter den Junglehrern und Referendaren hat sich inzwischen hinlänglich herumgesprochen, dass die Arbeitsbedingungen in Hamburg die schlechtesten in Deutschland sind, der Arbeitsaufwand gleichzeitig der höchste. Schlimmer ist es nur noch in Berlin (weil die total plete sind).

    3.) Deshalb wirbt die Hamburger Schulbehörde jetzt um "Quereinsteiger" in den Lehrerberuf. Folge: das Lehrniveau an den Gymnasien wird sicher nicht steigen ...

    Immerhin passt wenigstens dieser Plan in das allgemeine Bild an unseren Schulen in Hamburg ....

  • S
    sannio

    "abzuschulen" -heißt das wirklich so?! Oh, je!

    Und Schulen können bzw. konnten Kinder "abschieben", na dann ist ja alles prima im deutschen Schulsystem. In Pisa sind wir ja wieder wer.

  • A
    anke

    Das sind die Grünen wie wir sie kennen und lieben: Hauptsache Krach! Und gegen die FDP sollte es schon auch irgendwie gehen.

     

    Da soll also das Sitzenbleiben abgeschafft werden in Hamburg, und statt zu beweisen, dass die "kognitive Entwicklung" der Kinder ohne Ehrenrunde rascher voranschreitet, blamiert sich die Hamburger GAL mit Hilfe ihres Schulpolitischen Sprechers und der taz bis auf die Knochen. Bundesweit.

     

    Was hat das Hamburger Abendblatt eigentlich falsch gemacht, wenn es schreibt: "48 Euro pro Kind und Jahr stehen Hamburgs Schulen zur Verfügung, um durch individuelle Förderung das Sitzenbleiben zu vermeiden"? "48 Euro je Schülerin/Schüler" sind doch nicht "48 Euro pro zu förderndem Schüler", oder? Nein, sind sie nicht. Nicht für den, der im Deutschunterricht aufgepasst hat.

     

    Es mag ja vielleicht kein wörtliches Zitat gewesen sein, was das Abendblatt da abgedruckt hat, aber es war wohl immerhin ein sinngemäßes. Das, was Kaija Kutter daraus gemacht hat, ergibt allemal weniger Sinn. Es ist eher Polemik der schlimmsten Sorte. Der Sorte nämlich, die einem auf die Füße fällt. Und die Sache wird nicht besser dadurch, dass auch der GAL-Schulpolitiker Gwosdz gefehlt haben muss in der Schule, und zwar an dem Tag, an dem die Zeichen für "größer als" und "kleiner als" behandelt worden sind.

     

    Wenn künftig für jeden der etwa 206 Sitzenbleiber-Kandidaten der hamburger 4. Klassen nur noch 3.600 statt wie bisher 6.000 Euro ausgegeben werden müssen, dann spart Hamburg immerhin 525.000 Euro jährlich - allein an den Viertklässlern. Wenn das Sitzenbleiben also zunächst in drei Jahrgangsstufen abgeschafft werden soll, dann macht das über den Daumen zwar noch keine 3,4 Millionen, aber immerhin deutlich mehr als eine.

     

    Kein Wunder also, dass die Idee, das Sitzenbleiben abzuschaffen "zunächst Konsens" war. Normalerweise würden die grünen Linken auch in Hamburg ganz zu Recht an die Decke gehen, wenn an der ohnehin nicht eben preiserdächtigen Schulbildung der Hanseaten auch noch eine Millionen Euro gespart werden soll. Da es sich beim Sitzenbleiben aber um ein von den Grünen bekanntlich nicht geliebtes Phänomen handelt, drückt man offenbar selbst noch das kleinste seiner Hühnerauge zu und lässt mal eben Fünf gerade sein.

     

    Das Sitzenbleiben, lese ich in Kaija Kutters Text, "bringt keine Verbesserung der kognitiven Entwicklung". Kein Wunder, denke ich da, dass die Eltern es dem eigenen Kind nach Möglichkeit ersparen wollen. Die Ehrenrunde macht sich schließlich gar nicht gut im Lebenslauf. Keine Verbesserung heiß aber auch noch nicht, dass es zu einer spürbaren Verschlechterung der Lage kommt, oder? Und wenn etwas billiger wird und gleichzeitig gleich gut bleibt, muss man es doch in Zeiten, in denen Geiz geil ist, nicht unbedingt haben, richtig?

     

    Also bitte, liebe GAL Hamburg: Schafft das Sitzenbleiben ruhig ab. Die Bürgerschaft wird schon irgend ein prestigeträchtiges Großprojekt finden, dem das Gesparte gerade noch gefehlt hat. Und das Risiko, scheint mir, ist überschaubar. Zu einer Verschlechterung der Kognitiven Fähigkeiten kann es ja offenbar ohnehin nicht mehr kommen. Jedenfalls nicht in Hamburg, bei der GAL und bei der lokalen taz.

  • DP
    David Perteck (ÖDP Hamburg)

    ÖDP Hamburg präsentiert Kandidaten:

    David Perteck attackiert etablierte Parteien!

     

    Der 33 Jahre alte Philosoph und Autor David Perteck aus Bramfeld wurde zum Bürgerschaftskandidaten der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) für den Wahlkreis Bramfeld, Farmsen-Berne und Steilshoop gewählt. Perteck ging bei seiner Rede hart mit den Bürgermeisterkandidaten der etablierten Parteien ins Gericht: „Olaf Scholz und Christoph Ahlhaus sind nichtssagende Parteisoldaten und austauschbare Politik-Klone! Sie machen Politik für die Finanzwirtschaft und gegen die Menschen und die Umwelt in Hamburg!“

     

    Perteck war 2008 wegen Schwarz-Grün von der GAL zur ÖDP gewechselt, die in Hamburg den Namenszusatz „Die grüne Alternative“ trägt. Zuletzt hat die Ökopartei durch den erfolgreichen Volksentscheid für Nichtraucherschutz bundesweit Aufsehen erregt.

     

    Die zum Wahlantritt notwendigen Unterschriften von wahlberechtigten Bürgern, 100 für den Direktwahlkreis und 1.000 für eine Landesliste Hamburg, hatte die ÖDP trotzt vorgezogenen Neuwahlen und winterlichen Temperaturen in Windeseile gesammelt. Am 22. Februar haben der Bezirkswahlausschuss Wandsbek und der Landeswahlausschuss Hamburg deshalb sowohl den Wahlantritt für den Wahlkreis, als auch die Landesliste der ÖDP zugelassen, auf welcher David Perteck ebenfalls auf dem zweiten Platz kandidiert.

     

    „Mein herz­licher Dank gilt allen Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihrer Un­terstützung den Wahlan­tritt möglich gemacht haben“, sagte Perteck nach der offiziellen Wahlzulassung. „Neben den beiden Großparteien CDU und SPD haben die Wählerinnen und Wähler nun auch in Bramfeld, Farmsen-Berne und Steilshoop erstmals die Möglichkeit, mit der ÖDP eine wirkliche grüne Alternati­ve zu wählen! Ich werde mich in der Bürgerschaft insbesondere für mehr Umwelt­schutz, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr de­mokratische Mitbestimmung sowie bes­sere Bildungschancen einsetzen! Als einziger Bramfelder Kandidat setze ich mich glaubwürdig für die umweltfreudliche und attraktive Stadtbahn ein, um Bramfeld endlich sinnvoll an die Innenstadt anzubinden!“

     

    Dem Wahlausgang sieht Perteck zuversichtlich entgegen: „Da CDU und SPD lediglich Lobbyismus für Großkonzerne machen und deshalb für viele Menschen unwählbar sind, bin ich fest überzeugt, dass die ÖDP mit über 5% in die Bürgerschaft einzieht“, erklärte Perteck. „Über ein Direktmandat für meinen Wahlkreis Bramfeld, Farmsen-Berne, Steilshoop würde ich mich allerdings besonders freuen. Wir brauchen einen ökologisch-sozialen Wandel!“

     

    David Perteck, geb. 1977 in Bramfeld, kandidiert für die ÖDP zur Hamburger Bürgerschaftswahl am 20. Februar 2011.

     

    Weitere Informationen zu den Wahlprogrammen aller Parteien sind ab dem 1. Februar 2011 unter www.Wahl-O-Mat.de zu erhalten. Außerdem kann man sämtliche Kandidaten zur Bürgerschaft auf www.Abgeordnetenwatch.de befragen.

  • H
    hopfen

    Also ich weiß nicht, was die Leute haben. Es ist doch den Eltern immer noch freigestellt, ihre Kinder wiederholen zu lassen oder abzuschulen, wenn sie überfordert sind. Nun können die Schulen sie aber nicht mehr "abschieben".