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Kolumne GeräuscheDie Krise meiner Musikkritik

Kolumne
von Arno Frank

Ich habe die akustische Lufthoheit über meine Wohnung verloren. Der eigene Nachwuchs übt mit "Häschen hüpf" Terror aus, so dass manche Töne aus den Boxen verloren gehen.

ber wenige Dinge nur scheinen derzeit Musikkritikerinnen und Musikkritiker lieber zu schreiben als über die Krise der Musikkritik. Komisch, dass man von der Krise der Elektrotechnikkritik so gar nichts hört. Dass es nun aber ausgerechnet in der Musikkritik kriseln soll, leuchtet mir durchaus ein. Ich kenne das ja aus eigener, schmerzhafter Erfahrung.

Wer über Musik schreiben will, sollte sie zunächst einmal hören können. Damit gehts schon los. Inzwischen gibt es Kostbarkeiten wie die neue Elbow nur noch als digitales Rinnsal, den sogenannten "Stream". Tja, Winter ade, Scheiden tut weh. Bald wird es so weit sein, dass der Promoter dem Rezensenten die Schlüsselszenen des zu besprechenden Albums am Telefon vorsingt: "Pass auf, jetzt kommt eine besonders coole Stelle …", aber dein Scheiden macht, dass mir das Herze lacht.

James Blake zum Beispiel. Scharlatan? Wunderkind? Pausenclown? Hm. Dazu müsste ich die Bässe hören, um die es auf diesem Album geht, wäre da nicht der Fuchs. Er hat die Gans gestohlen! Gib sie wieder her! Sonst wird dich der Jäger holen mit dem Schießgewe-he-er! Meine Boxen gehen, mit solchen Bruttoregisterbässen konfrontiert, regelmäßig röchelnd in die Knie. Über Knopfkopfhörer kann man die tieffrequenten Schwingungen zwar zur Kenntnis nehmen, aber nicht spüren, zumal das Häschen in der Grube saß und schlief, saß und schlief.

taz

ARNO FRANK ist Redakteur im taz-Ressort "Gesellschaft Kultur und Medien".

Mit einem lauthals seine eigenen Lieder singenden Kind im Nacken ist es auch alles andere als ein Spaziergang, sich eine Meinung über die neue Live-DVD von beispielsweise Mastodon zu machen, weil Kinder meiner Erfahrung nach für progressiven Sludge-Metal nur eingeschränkt empfänglich sind. Kleines Häschen, bist du krank, dass du nicht mehr hüpfen kannst? Und wenn der Nachwuchs aus unauslotbaren Gründen einmal irgendwas goutiert, wie neulich den sagenhaften äthiopischen Jazz des Mulatu Astatke, dann läuft dieser sagenhafte Jazz so lange in Dauerschleife, bis ich ihn irgendwann sooo sagenhaft gar nicht mehr finden kann. Häschen hüpf, Häschen hüpf, Hääääschen, hüüüüpf! Einerseits.

Andererseits: Wer sich so lange wie ich auf die neue Platte von Paul Simon freut, der würde sich auch nachts sogar ins Auto setzen, um sich die Songs unter einer Laterne in Neukölln anzuhören. Dabei müsste ich den Motor laufen lassen, damit die Batterie nicht schlapp macht, und das wäre Paul Simon gar nicht recht. Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh! Ist das neue Album von Bright Eyes wirklich so wuchtig, wies klingt? Wäre nett, dazu die Texte studieren zu können, stattdessen sehe ich den fleißigen Waschfrauen zu.

Okay, ich habe die akustische Lufthoheit über meine Wohnung verloren. Na und? Dafür weiß ich inzwischen genau, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt. Ich will nicht zu viel verraten, aber: Es ist eine verdammt große Zahl.

Text: "What if I take my problem to the United Nations?" (PJ Harvey)

Musik: Das entschiedene "Chrock", mit dem das Messer durch die Zwiebel geht.

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Inlandskorrespondent

1 Kommentar

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  • R
    rrriot_curl

    Paul Simon unter einer Laterne in Neukölln?

    Danke, allein für dieses Bild, für den Rest der Kolumne sowieso.