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Zwangsbehandlung von Straftätern"Kriminelle in weißen Kitteln"

Der Anwalt David Schneider-Addae-Mensah fordert, die Zwangsbehandlung von Straftätern in der Psychiatrie sofort zu stoppen. Ansonsten will er Ärzte anzeigen.

"Eine Zwangsmedikation kann den Weg zur Freiheit verbauen." Bild: fmatte/photocase.com
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Schneider-Addae-Mensah, Sie haben letzte Woche beim Bundesverfassungsgericht einen Beschluss erstritten, der die Zwangsmedikation von psychisch kranken Straftätern im sogenannten Maßregelvollzug einschränkt. Sind Sie mit der Entscheidung zufrieden?

David Schneider-Addae-Mensah: Das Urteil ist ein Teilerfolg. Leider hat das Verfassungsgericht nicht entschieden, dass eine Zwangsbehandlung generell unzulässig ist. Das war ja das eigentliche Ziel meines Mandanten. Aber es ist gut, dass Karlsruhe eine strengere gesetzliche Regelung verlangt. Wenn die Vorgaben umgesetzt werden, wird es hoffentlich weniger Willkür geben. Krankheitseinsichtige Patienten können sich künftig stärker auf ihr Recht auf Krankheit berufen. Nur bei uneinsichtigen Patienten droht künftig noch eine Zwangsbehandlung.

Was gilt denn nun bis zu einer Neuregelung?

Bis dahin ist keine Zwangsbehandlung von Gefangenen, die in der Psychiatrie gelandet sind, mehr möglich. Das Verfassungsgericht hat den entsprechenden Paragrafen im rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetz für nichtig erklärt. Der Karlsruher Beschluss nützt also nicht nur meinem Mandanten, sondern allen Gefangenen, die im Maßregelvollzug sitzen, weil sie bei ihrer Tat schuldunfähig waren. Das sind bundesweit mehr als 6.500 Personen.

Gilt das Urteil denn bundesweit?

Formal wurde zwar nur das Mainzer Gesetz beanstandet, aber die Regelungen der Zwangsbehandlung sind in allen Bundesländern ähnlich. Die Karlsruher Anforderungen sind nirgends erfüllt. Deshalb dürfen jetzt Betroffene in ganz Deutschland nicht mehr gegen ihren Willen gespritzt werden. Es wäre schikanös zu verlangen, dass erst gegen jedes Landesgesetz Verfassungsklage erhoben werden muss.

Werden sich die Kliniken daran halten?

Wenn sie es nicht tun, werde ich die entsprechenden Ärzte wegen Körperverletzung anzeigen und die Richter, die jetzt noch eine Zwangsbehandlung genehmigen, ebenso. Das sind dann Kriminelle in weißen Kitteln und schwarzen Roben.

David Schneider-Addae-Mensah, 39, arbeitet als Rechtsanwalt in Kehl und Straßburg und ist auf Menschenrechtsfragen spezialisiert.

Die Ärzte sagen aber: Wer sich nicht behandeln lässt, kann auch nicht aus dem Maßregelvollzug entlassen werden …

Mag sein, dass die Ärzte das glauben. Meine Erfahrung als Anwalt ist eine andere. Auch eine Zwangsmedikation kann den Weg zur Freiheit verbauen. Oft sind die Betroffenen dann völlig vergiftet - Wracks, die nicht mehr selbstständig lebensfähig sind, wenn sie herauskommen. Viele bekommen auch posttraumatische Belastungsstörungen. Stellen Sie sich vor, dass man Sie regelmäßig fesselt, damit Sie gespritzt werden können! Immer wieder bringen sich Gefangene als Reaktion auf diese Misshandlungen auch einfach um.

Was schlagen Sie vor?

Wer keine Behandlung will, bekommt eben keine Behandlung. Wenn er dann notfalls in der Maßregelpsychiatrie bleiben muss, ist das zwar bitter, aber immer noch besser als eine Zwangsmedikation, die die Menschen noch mehr kaputtmacht, als sie eh schon sind.

Wie häufig sind solche Zwangsbehandlungen?

Ich glaube, sie spielt bei fast allen Straftätern, die in der Psychiatrie landen, eine Rolle. Rheinland-Pfalz sagt jetzt zwar, es handele sich um die "absolute Ausnahme". Das halte ich aber für eine Schutzbehauptung. Oft genügen Drohungen mit Zwangsmaßnahmen, damit die Gefangenen alles mit sich machen lassen.

Warum hat man denn bisher so wenig von diesem Problem gehört?

Die Behandlung psychisch kranker Straftäter scheint ein Igitt-Thema zu sein, mit dem sich niemand gern beschäftigt. Auch die Medien interessieren sich kaum dafür, schließlich haben viele der Betroffenen ja tatsächlich schreckliche Taten begangen und sind keine Sympathieträger. Trotzdem sollte man sie human behandeln.

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14 Kommentare

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  • RD
    Rechtsgutachten Da

    Zwei Rechtsgutachten zu den BVerfG-Beschlüssen liegen jetzt vor:

     

    "Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2 BvR 882/09) vom 23. März 2011 bei Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr, RA Thomas Saschenbrecker und RA Dr. Eckart Wähner ein Gutachten in Auftrag gegeben":

    http://www.grundrechtekomitee.de/node/465

    "BEHINDERUNG, MENSCHENRECHTE UND ZWANG

    Gutachten im Auftrag des Komitees für Grundrechte und Demokratie

    anlässlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

    vom 23. März 2011 in Sachen Zwangsbehandlung einer im Pfalzklinikum Klingenmünster im Massregelvollzug untergebrachten Person (BVerfG, 2 BvR 882/09):

    Zu den Graden und Grenzen legalen und legitimen Zwangs im Umgang mit psychisch behinderten Menschen am Beispiel der Psychiatrie als Wissenschaft und Praxis.

    Von Prof. Wolf-Dieter Narr, RA Thomas Saschenbrecker, RA Dr. Eckart Wähner"

    Ausführlich hier:

    http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/Gutachten..pdf

     

    ---

     

    Und noch ein Gutachten zum geplanten Zwangsparagraphen $8 UBG Baden-Wurtemberg (Ba-Wü - BW):

    "Gutachterliche Stellungnahme

    zur Frage der Verfassungskonformität eines Entwurfs der Neufassung des

    § 8 des Unterbringungsgesetzes des Landes Baden-Württemberg (UBG).

    Von Prof. Wolf-Dieter Narr und RA Thomas Saschenbrecker"

    Hier zu finden:

    http://www.die-bpe.de/gutachterliche_stellungnahme_ba_wue/

  • W
    Woodhull

    Wieso wird hier eigentlich immer nur von Straftätern gesprochen? Was ist denn mit den Patienten in der "normalen" Psychiatrie. Diese werden ebenfalls Zwangsisoliert und notfalls per Zwangsmedikation "behandelt". Die Todesfälle durch diese Foltermethoden sind enorm. Aber unter dem Gesichtspunkt der Kosten und der Harmonisierung unserer Gesellschaft wird über so etwas großzügig hinweggesehen. Dabei wären präventive Ansätze für die Gesellschaft allemal günstiger.

  • K
    Klaus

    Das ist der Wortlaut einer EU-Petition.

     

    Folter soll den WILLEN brechen. Das soll auch in einer Beugehaft geschehen. Also ist das Zwangsmittell Beugehaft definitiv FOLTER !

     

     

    Sehr geehrte Damen,

    sehr geehrte Herren,

     

    gemäß frei zugänglichen Informationen, ist lt. EGMR das Inhafttieren wegen Schulden verboten.

     

    So beantrage ich das generelle Verbot, einen europäischen Bürger zur Brechung des persönlichen Willens in Haft nehmen zu dürfen, weil das Folter ist.

     

    Das impliziert auch den Haftbefehl zur Abgabe einer Eidesstattlichen Erklärung.

     

    Mit freundlichen Grüßen,

     

    Name

  • U
    Unheilige

    @Ursula Schneider:

    Na ja, nicht nur die Kirche bringt gelegentlich Geld beiseite.

    Auch Vereine, so gen. Betreuungs- oder, wie es neumodisch heißt, Assistenzvereine, bringen das Geld schön um die Ecke; auch bei körperlich und / oder lernbehinderten Menschen. DA wird auch noch Geld geholt. Und hier sind eben nicht nur Kirchen beteiligt, sondern ganz Unheilige.

  • IN
    Ihr NameMisshandelter

    Misshandlungen und Zwangstheraoien sind im deutschen Strafvollzug doch an derTagesordnung.So wurden noch im Jahre 1968 in Baden Württemberg n Homosexuellen

    Zwangskastrationen vorgenommen.Dies geschah auf dem Hohen Asperg unter Leitung eines Dr.Mauch.Angeordnet wurde es vo den jeweiligen Gerichten in BW,die in engem Kontakt zu Hohernasperg und anderen Strafanstalten standen.1968,obwohl die bevorstehende Aufhebung des§175 StGB schon bekannt war,wurden noch Kastrationen an Homos durchgeführt.Besonders betroffen sind Männer,die noch von Altnazirichtern verurteilt worden waren.Diese lehnten jedwede Begnadigung ab,mit der Begründung,man solle sich entmannen lassen.(liegt hier schriftlich im Original vor)

     

    Soviel zu Zwangsmaßnahmen.Ich bi heute 85 Jahre alt.

  • S
    Sandra

    Ich finde, es schrecklich, dass viele Täter nach ihrer Haft wieder rauskommen. Es müssen wesentlich härtere Strafen her. Bin mal gespannt, was die Politiker heute Abend bei "Eins gegen Eins" dazu sagen: http://on.fb.me/g8UK9T

  • S
    Stinne

    Zu Beachten ist auch die zwangsweise psychiatrische Behandlung von Strafgefangenen im Maßregelvollzug.

     

    Man könnte jetzt sagen: Niemand kann zum reden gezwungen werden - wie der Autor aber schreib: Oft genügen Drohungen mit Zwangsmaßnahmen, damit die Gefangenen alles mit sich machen lassen. Und das kann auch sein, Lockerungen im Vollzug zu verwehren oder die Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten (mit der Folge, fast den ganzen tag alleine in der Zelle zu sein) anzudrohen

     

    Und durch den Zugriff der Psychologen auf Strafakten, Lebensläufe, Gutachten, Urteil(e), Zeugenaussagen etc. ist psychischer Druck in der Therapie leicht vorstellbar.

     

    Ein anderes Thema: Wer danach mit (i.d.R.) Führungsaufsicht entlassen wird, muss sich oft einer zwangsweisen Psychotherapie unterziehen - und das ist absolut sinnlos.

     

    Abschließend: Zwang kann kaum zu einer sinnvollen Therapie führen!

  • L
    linsenspaeller

    Mir ist es immer vorgekommen, als wäre der Selbstmord das eigentliche Ziel der "Behandlung". Obwohl die meißten Opfer vermutlich an Nieren- und Leberschäden und anderen Nebenwirkungen kaputt gehen. Oder sie werden einfach dement und können dann prima in dem Millionen-Heer der Alzheimer- und sonstigen Dementen in den Pflegeheimen versteckt werden.

     

    Viele werden auch nur deshalb weiterbehandelt, weil man Angst hat, sie könnten sich an ihren Folterkechten später rächen, wenn sie frei kämen. Das ist als hätte man 1945 die Juden in Ausschwitz gelassen, damit sie dem Eichmann nicht seine Biografie verhunzen.

     

    In dem Artikel fehlt ein Hinweis darauf, daß diese "Patienten" auch sehr gerne zum Ausprobieren von neuen und unerprobten Medikamenten mißbraucht werden. Ebenso ist es irreführend, wenn hier der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei den Zwangsbehandelten vorzugsweise um Straftäter. Die Zahl der nicht vorbestraften Fälle und der nicht in Psychiatrien einsitzenden Fälle sind deutlich höher. Es werden in Deutschland jährlich nach offiziellen Zahlen 120000 Menschen zwangsbehandelt, davon schätzungsweise 30000 bis 45000 Menschen mit Psychopharmaka gefoltert, und ca. 15000 davon sterben nachweislich. Die Bundesregierung hat Auskünfte hierzu und genauere Zahlen sowie Petitionen bereits mehrfach abgelehnt. Es wundert mich sogar, daß es hier ein tüchtiger Anwalt bis zum Verfassungsgericht geschafft hat. Bravo!

  • WR
    Weiße Rose

    Die strikte Einhaltung der elementaren Menschenrechte ist nunmal oberstes Gebot aller staatlichen Gewalt. Wer dagegen verstößt wird natürlich selbst Täter. Egal ob Richter, Arzt oder sonst wer!

  • US
    Ursula Schneider

    Ich habe Hochachtung vor jedem der sich einsetzt

    für Menschen die kaum eine Lobby haben.

    Eigentlich sollten die "Kirchen" sich für

    Menschen ohne Lobby, für Natur- und Tierschutz,

    und gegen die Bedrohung der Kernkraft einsetzen.

    Sie hätten das Geld und die Macht wirklich

    etwas zu bewegen.

    Aber solange diese Billionäre an der Front

    sparen und alten Omis in der Kirche noch ein

    paar Euros abnehmen, und in Prunk leben,weiß

    ich nicht was die in unserer Zeit noch zu

    suchen haben.

  • LM
    Leper Messiah

    Ich bin kein Straftäter, aber dennoch: medizinische Zwangsbehandlung (die später freiwillig wurde) hat mir das Leben gerettet. Zum ersten Mal seit Langem wußte ich wieder, wie es war, sich einigermaßen "normal" zu fühlen, was ich bis dahin vergessen hatte. Mein Leben hatte schon jahrelang nur aus einem gelebten Alptraum mit David-Lynch-Qualität bestanden.

    Nur mit der Zwangsbehandlung (die zugegebenermaßen anfangs schrecklich war) konnte man mir zeigen, daß es überhaupt sowas wie Hoffnung gab, weil in mir immer noch ein Mensch steckte.

    Damit will ich Mißbrauch von so etwas ganz und gar nicht schönreden, und was Herr Schneider-Addae-Mensah bisher erstritten hat, ist gut und wichtig.

    Aber komplette Abschaffung halte ich für falsch, da es eben auch die andere Seite der Münze zu beachten gibt. Auch wenn das schwerfällt, weil es dieses eh schon komplexe Thema noch mehr verkompliziert, aber der mensch ist nunmal nicht einfach gestrickt.

    Deshlab immer im Hinterkopf behalten: Zwangsbehandlung kann eben auch Leben retten, nicht nur zerstören.

  • DH
    Daniel Horvarth

    Dieser Mann ist also auf "Menschenrechtsfragen" spezialisiert? Ich hoffe doch aber, daß Opfer in seinen Augen auch Menschen sind? Oder sind dies nur die Täter? Und falls Ersteres zutrifft: Was genau stört ihn daran, daß Kriminelle, die neben ihrer Kriminalität auch noch uneinsichtig sind, gegen ihren Willen behandelt werden, mit dem Ziel, ihre abartigen Neigungen in den Griff zu bekommen?

  • S
    stimmviech

    In den Forensiken wird eher (zu) selten zwangsgespritzt. Bei sogenannten Persönlichkeitsgestörten wird höchsten im Falle äußerster Aggression gegen Personal oder Mitgefangenen gespritzt. Bei Schizos sieht das etwas anders aus, insbesonders bei denen, die Fremd-oder Selbstaggression zeigen. Die jetzige Situation dürfte sich für die Psychiatrien als Problem erweisen, denn es gibt dort nur wenige Absonderungszellen. Ohne Zwangsmedizin hat man dann bei den Schizophrenen eine Meute sich gegenseitig meuchelnder Untergebrachter. Ob das im menschenrechtlichen Sinn des Rechtsanwalts ist?

    Ich bin sicher ein Kritiker der Psychiatrie, ich kenne aber im Gegensatz zu den Theoretikern die Realität dort, war schließlich selbst dort mehrere Jahre zwangsuntergebracht.

  • A
    atypixx

    "Wer keine Behandlung will, bekommt eben keine Behandlung. Wenn er dann notfalls in der Maßregelpsychiatrie bleiben muss, ist das zwar bitter, aber immer noch besser als eine Zwangsmedikation, die die Menschen noch mehr kaputtmacht, als sie eh schon sind."

     

    Okay, das klingt gar nicht so unvernünftig!