Kolumne Macht: 94 Jahre, Straßenstrich
Eine Volkszählung? Nein, hunderte. Die Verwaltung der Universität Leipzig fragt Dinge, die sie nichts angehen. Dabei geht es doch nur um die Reisekostenerstattung.
Studenten des Instituts für Afrikanistik an der Universität Leipzig möchten etwas über das Berufsbild Journalismus erfahren, ob man vielleicht einmal an einer Lehrveranstaltung teilnehmen könne?
Ja, warum nicht. Von Berlin aus ist der Aufwand schließlich überschaubar, und die Reisekosten werden erstattet. Denkt man und fährt hin. Und zurück. Dann kommt der Personaldatenbogen der zentralen Univerwaltung.
Mein Alter kann jeder wissen, ich schreibs sogar in die Zeitung. Aber das ist meine Entscheidung.
Warum verlangt die Universität Leipzig diese Information, bevor sie mir meine Auslagen für eine Bahnfahrkarte 2. Klasse erstattet? Und was geht sie mein Familienstand an?
Frage 3 gefällt mir besonders: "Bei welchen Arbeitgebern sind Sie beschäftigt bzw. für welche Arbeitgeber sind Sie außerdem tätig? (Bitte die Wochenstundenzahl angeben!)"
Hübsch, das Ausrufezeichen. Aber warum so bescheiden? Warum nicht auch nach dem Ergebnis der jüngsten Vorsorgeuntersuchung fragen und den letzten Steuerbescheid anfordern, möglichst in dreifacher Ausfertigung?
Kurz erwäge ich, Frage 3 mit der Angabe "wechselnde Kunden unbekannten Namens, jeden Abend auf dem Straßenstrich" zu beantworten und mich außerdem als 94 Jahre alte Bigamistin zu offenbaren, aber ich will die Sekretärin nicht in Verlegenheit bringen, die für das standardisierte Verfahren ja nichts kann.
Also rufe ich stattdessen meinen Steuerberater an: Ob er sich irgendeinen vernünftigen Grund vorstellen kann, warum all diese Daten erhoben werden müssen, um mir eine Bahnfahrkarte zu erstatten?
Nein. Kann er nicht. "Wahrscheinlich hatten die kein anderes Formular." Möglicherweise gehe es aber auch um die Vermeidung der Scheinselbständigkeit. Vielleicht bekäme ich ja ein Honorar.
Anruf bei der Sekretärin des Instituts. Ja, ich bekomme ein Honorar. 16 Euro für die Doppelstunde. Die Veranstaltung dauerte zwei Doppelstunden, macht 32 Euro. Dafür kauft sich die Universität Leipzig präzise Informationen darüber, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Wovon träumt die Verwaltung nachts?
Allmählich werde ich bockig. Ich sage der Sekretärin, dass ich auf das Honorar verzichte. Es ist mir inzwischen 32 Euro wert, den Datenbogen dort zu versenken, wo der Papierkorb am tiefsten ist.
Guter Plan. Leider schlägt er fehl. "Wenn Sie auf das Honorar verzichten, können Ihnen auch keine Reisekosten erstattet werden."
Ja, logisch.
Logisch? Nein. Nicht logisch. Aber so üblich an der Universität Leipzig. Ach, vergesst es.
In einer Mail verzichte ich auf die Erstattung meiner Unkosten. Lehrgeld dafür, dass ich einfach nett sein wollte. Das passiert mir nicht noch mal.
Die Volkszählung ist umstritten? Wenn es nur um die Volkszählung ginge. Jeden Tag wächst der Berg sinnlos gesammelter Daten, er wächst … und wächst … und wächst.
Mit den von mir im Laufe meines Lebens klaglos ausgefüllten Formularen könnte man eine Datenautobahn bis zum Mars bauen. Man kann sich ja nicht jedes Mal wehren, dann müsste man verhungern. Die Verwaltung gewinnt allemal. Wer auf der Beantwortung zudringlicher Fragen bestehen kann, hat die Macht.
Leser*innenkommentare
PeterWolf
Gast
@elbröwer
Du hast deine Vorstandstätigkeit im BDMW vergessen!
(Bund Deutscher MoralWächter, Vorstand zuständig für die Erforschung von Sitte und Moral, ergo in jedem Sumpf zu Hause)
Viele Grüße
PeterWolf
P.S. Mein Bruder hat in einer Kneipe auf die Frage nach seiner Tätigkeit mal geantwortet: "Studium der Anthropophagie auf Lehramt" und damit ehrfürchtige Reaktionen erreicht.
P.P.S. Das ist alles so absurd......
Steuerberater mit Ahnung
Gast
Nett geschrieben, aber da liegen Gründe vor für das Auskunftsbegehren.
Reisekosten werden nur an Beschäftigte ausgezahlt.
Also wirst du jetzt eine geringfügig Beschäftigte, einmalig und für zwei Stunden.
Deshalb die Fragen, ob du anderweitig bereits beschäftigt bist.
Der Reisezweck muss natürlich auch klar definiert werden, sonst kommt das böse Finanzamt und streicht.
Dann kommt der noch bösere Rechnungshof und hat noch mehr zu meckern.
Eigentlich hätte das dein Steuerberater auch wissen müssen.
Reinold
Gast
Heute mein erster und letzter Besuch auf taz.de. Unfassbar belangloses Gewäsch wie dieses Mschr. Es mir leicht, nie wieder zu kommen.
elbröwer
Gast
Seit meiner Armeezeit habe ich in Formularen bei der Frage nach Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Vereinigungen den DFD ( Demokratischer Frauenbund Deutschlands) angegeben. Da nie jemand nachgefragt hat wie ich als Mann dazugehöre bin ich noch Heute überzeugt diesen Quatsch liest ohnehin niemand.
ceedee
Gast
Nun würde dem Leser aber auch eine Stellungnahme/Begründug/Erklärung der Uni Leipzig interessieren!
Also könnte bittte Bettina Gaus oder ein taz-Kollege noch um eine offizielle Begründung für diese wilde Datenerhebung anfordern?! Über die Begründung, warum die Uni Leipzig das nun so macht, wurde kurz vom Steuerberater gemutmaßt, aber der Leser hätte dann doch gerne den tatsächlichen Grund gewußt. Oder soll jetzt jeder Leser, den das interessiert, einzeln beim Sekretariat der Uni anfragen?
Eine offizielle Anfrage der taz würde der Uni Leipzig vielleicht auch die Augen öffnen, dass in ihrem Verwaltungsakt etwas nicht stimmt und man das nochmal überprüfen sollte.
reblek
Gast
"In einer Mail verzichte ich auf die Erstattung meiner Unkosten." "Un"kosten gibt es nicht, nur Kosten.
PeterWolf
Gast
Liebe Bettina Gaus,
das muss so sein, weil die Bestimmungen (z.B. der DB) so kompliziert sind.
Dein Alter und deinen Familienstand interessiert die in Wirklichkeit gar nicht, das ist alles nur der ganz normale Wahnsinn.
Andererseits stell dir vor, du wärest meine Tochter, zwar schon 14 aber noch nicht 15 Jahre alt.
Dann dürftest du zwar schon alleine ein Segelflugzeug fliegen, aber auch noch kostenlos auf meiner Bahncard 100 mitfahren, und dann wäre eine Reisekostenerstattung doch zumindest unmoralisch, oder ????
Ähm, apropos unmoralisch: Meine Bahncard 100 zahlt mein Arbeitgeber (also ich, bzw. meine GmbH), da meine normale Reisetätigkeit die Kosten der BC 100 übersteigt (also etwa zweimal pro Monat Köln-Berlin-Köln), gibt es keinen Eigenanteil für private Nutzung zu versteuern.
Bis hierher ja o.k.-
Aber die Kosten meines beruflich bedingten Zweitwohnsitzes will das Finanzamt ohne Geltendmachung von Reisekosten nicht anerkennen.
Dass ich gar keine habe (s.o.), interessiert nicht, das muss pauschal mit 30 Cent pro Doppelkilometer berechnet werden, egal ob Auto, zu Fuß, trampen, beamen oder mit BC 100.
Bei wöchentlichen ca. 400 Doppelkilometern liege ich jetzt fiskalisch nahe am Existenzminimum!
Viele Grüße
P.S. Früher konnte ich nicht mal die Zusatzkosten für den zweiten Haushalt absetzen, die Änderung ist aber keine Entscheidung des Bundestages gewesen, sondern Richterrecht.
P.P.S. Eine Debatte über die Logik des Steuer- bzw. Reisekostenrechts führen wir am besten in der "Wahrheit".
Markus
Gast
"Wovon träumt die Verwaltung nachts?"
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer deutschen Universität kann ich Ihnen diese Frage beantworten: Die Verwaltung träumt davon, daß die Studenten und Mitarbeiter endlich ihre Rolle als Dienstleister für die Verwaltung akzeptieren. Leider gibt es noch immer Universitätsangehörige, die glauben, es verhalte sich genau umgekehrt. Dabei weiß doch jeder, daß die Verwaltung zuerst da war - dieser ganze Kram mit Lehre und Forschung kam erst später dazu.
impulshund
Gast
Schade, dass Sie das nicht mit der 94-jährigen Bigamistin geschrieben haben, die Reaktion der Uni Leipzig hätte mich interessiert. 16 € pro Stunde klingt auch eher nach einem Witz. Wahrscheinlich hätten Sie den Kaffee noch selbst bezahlen müssen.