Notwehr oder Totschlag?: Schütze schweigt sich aus

Im Prozess um einen Raubüberfall steht der Tod eines 16-Jährigen im Mittelpunkt: Handelte das 77-jährige Opfer in Notwehr oder war es Totschlag mit Vorsatz?

Der Ort der Tragödie: das Anwesen des überfallenen Rentners in Sittensen. : dpa

HAMBURG taz | Die Anklage ist eigentlich zweitrangig: Nachdem sie im niedersächsischen Sittensen den 77-jährigen Ex-Bestattungsunternehmer Ernst B. überfallen hatten, stellten sich am 14. Dezember 2010 bei der Polizei vier Männer im Alter zwischen 23 und 25 Jahren. Sie stehen, ebenso wie eine 21-Jährige, seit dem 25. Mai vor dem Stader Landgericht. Die Vorwürfe: schwere räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung.

Von viel größerem Interesse ist: Wieso schoss der passionierte Jäger B. damals auf die flüchtenden Räuber und traf den 16-jährigen Labinot S. tödlich in den Rücken - Notwehr oder Totschlag? Eine Frage, die zunächst offen bleibt. Auf Belehrung des Vorsitzenden Richters Matthias Bähre hin, dass er die Aussage verweigern könne, tat B. am Mittwoch im Zeugenstand genau das: "Ich möchte von meinem Schweigerecht Gebrauch machen", sagte er und konnte nach einigen Minuten den Gerichtssaal wieder verlassen.

Der Staatsanwalt hatte zu Prozessbeginn in Aussicht gestellt, die Totschlags-Ermittlungen gegen B. wegen vermeintlicher Notwehr einzustellen. Tatsächlich geschehen ist das bisher nicht, wie Kai-Thomas Breas, Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, bestätigte.

Über den Tathergang herrscht im Prinzip Konsens: Die vier angeklagten jungen Männer sollen auf Initiative und mit Insiderwissen der 21-Jährigen den an Krücken gehenden Rentner B. am 13. Dezember im Garten seiner Fachwerk-Villa aufgelauert haben, als er gerade zum Hundezwinger gehen wollte.

Mit von der Partie war auch der 16-jährige Labinot S. Mit einer "Softair"-Pistole sollen sie B. bedroht und sich Zutritt zu seinem Haus verschafft haben, um die Räume auf Wertgegenstände zu durchsuchen. Als sie in der oberen Etage auf einen Tresor stießen und versuchten ihn aufzubrechen, lösten sie den automatischen Alarm aus.

In Panik wollte das Quintett den Tatort durch eine Terrassentür verlassen. Im dabei entstehenden Durcheinander gelang es Ernst B., aus einer Kommode eine Pistole zu holen. Er schoss mehrfach auf die Flüchtenden und traf Labinot S. aus zehn Metern Entfernung in den Rücken. Der 16-Jährige schleppte sich noch über die Terrasse, bis er zusammenbrach und verblutete. Die Komplizen flüchteten mit einem Auto und bauten kurze Zeit später einen Unfall.

Ernst B. hatte nach dem Todesschuss stets auf Notwehr plädiert. Als die Alarmanlage losgegangen sei, will er sogar einen Schuss gehört haben: "Jedenfalls fiel ein Schuss, und ich habe gedacht, jetzt wird es ganz gefährlich und jetzt kannst du zur Waffe greifen", hatte der Jäger bei der Polizei angegeben.

Einer der Angeklagten beteuerte jedoch zu Prozessbeginn, sie seien unbewaffnet gewesen: "Wir hatten keine Waffen und nichts zum Knebeln dabei", sagte der 25-Jährige damals. Sie hätten den Rentner nur festgehalten und ihm immer wieder versichert: "Wir wollen nur das Geld, wir tun dir nichts."

Eine gewisse Notwehrsituation bei Ernst B. hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht ganz ausschließen wollen: Denn am Morgen des Tattages hatte es Radiomeldungen über den Tod eines Unternehmers im 50 Kilometer entfernten Oldendorf gegeben - der Mann war bei einem Raubüberfall an seinem Knebel erstickt. Schieße jemand aus "Angst und Verwirrung", sagte Sprecher Breas, bleibe sogar eine rechtswidrige Notwehrhandlung meist straffrei.

Das kann die Familie des toten 16-Jährigen, die mehrere Mahnwachen vor B.s Haus abgehalten hat, nicht verstehen. "Wir wollen, dass Herr B. nicht vergisst, welches Unrecht er begangen hat", sagte Labinots Cousine Medien gegenüber. "Er soll seine Strafe kriegen." Zudem habe die Großfamilie von dem 77-Jährigen bislang kein Wort der Entschuldigung gehört.

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