Gerichtsvollzieher sollen auf Kindeswohl achten: Mehr als nur den Kuckuck kleben

Um Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern etwas entgegenzusetzen, sollen Gerichtsvollzieher künftig enger mit der Jugendverwaltung zusammenarbeiten.

Geht es diesem Kind gut? Darauf sollen Gerichtsvollzieher künftig mehr als bisher ein Auge werfen - und enger mit den Jugendämtern zusammenarbeiten. Bild: AP

Ist das Kind dünn oder unterernährt, schüchtern oder verstört, lebhaft oder agressiv? Anzeichen von Kindesmisshandlung sind nicht immer leicht zu erkennen. Und wenn man sich nicht sicher ist - an wen soll man sich wenden? Vor dieser Problematik standen in der Vergangenheit regelmäßig Berlins GerichtsvollzieherInnen. Mit einem Projekt der Senatsjugendverwaltung sollen sie nun besser geschult und mit den Jugendämtern vernetzt werden. Die Jugendverwaltung und Obergerichtsvollzieherin Katja Hengstmann stellten am Dienstag einen Handlungsleitfaden für die Zusammenarbeit vor.

Die in Berlin erfassten Fälle von Misshandlungen schutzbefohlener Kinder steigen seit Jahren. 2010 wurden laut Kriminalstatistik 613 Fälle gemeldet, 67 mehr als im Vorjahr. Armut und Verschuldung gelten als besondere Risikofaktoren für die seelische und körperliche Verwahrlosung von Kindern. "Häufig war im Falle einer Kindesmisshandlung schon einmal ein Gerichtsvollzieher im Haus", so Hengstmann. Fälle offensichtlicher Kindswohlgefährdung melden sie und ihre rund 250 Berliner KollegInnen schon jetzt an Jugendamt und Polizei. "Aber bislang mussten wir uns mit viel Eigeninitiative Informationen und Kontakte besorgen." Deshalb hatte die Gerichtsvollzieherin die Idee einer gezielten Vernetzung mit den Jugendämtern.

Der Senatsjugendverwaltung passte dieses Anliegen gut in die politische Agenda. "Seit 2009 haben wir uns mit dem Netzwerk Kinderschutz die Verbesserung des Kinderschutzes auf die Fahnen geschrieben", sagte Claudia Zinke, Staatssekretärin für Bildung, Jugend und Familie, bei der Vorstellung des Leitfadens. In allen Jugend- und Gesundheitsamt gebe es inzwischen Kinderschutzbeauftragte, die nun in den Dialog mit den GerichtsvollzieherInnen treten. Fallen bei einer Pfändung Anzeichen von Verwahrlosung oder Misshandlung auf, können die GerichtsvollzieherInnen diese künftig in einem Meldebogen erfassen und an die Jugendämter faxen. Mit Berlins Datenschutzbeauftragten werde diese Vorgehensweise noch abgestimmt, so Zinke.

Im Meldebogen können die Gerichtsvollzieher vermerken, ob die Wohnung kindgerecht ausgestattet oder verwahrlost ist, ob es Anhaltspunkte für Gewalt oder Suchterkrankungen in der Familie gibt und ob Kinder schlecht ernährt oder apathisch wirken. Nach der Sommerpause soll es gemeinsame Schulungen mit dem Kinderschutzbeauftragten der Jugendämter geben: Ziel ist es, interessierte GerichtsvollzieherInnen für eine bessere Einschätzung der Lage zu wappnen und damit auch vor dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung zu schützen. Die tatsächliche Feststellung der Kindswohlgefährdung obliegt dann den Jugendämtern.

Grüne pro, CDU contra

Bei den familienpolitischen Expertinnen der Oppositionsparteien ist die Resonanz gespalten. Elfi Jantzen von der Grünen-Fraktion begrüßte das Anliegen: "Der Kinderschutz hat absoluten Vorrang, deshalb sollten auch solche Personenkreise sensibilisiert werden." Für Emine Demirbüken-Wegner, familienpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, verschwendet das Projekt dagegen Zeit und Geld: "Wenn es in Berlin ein funktionierendes Netzwerk für den Kinderschutz gäbe, wäre das vielleicht eine gute Sache", sagte Demirbüken-Wegner der taz. Tatsächlich sei aber das Kinderschutznetz mit einem Beauftragten pro Jugend- und Sozialamt viel zu grobmaschig, die Personalausstattung geradezu desolat. Über die Schulung von GerichtsvollzieherInnen, die "einmal kurz in der Wohnung sind, um den Fernseher zu pfänden" lasse sich das nicht ausgleichen.

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