Kolumne Geräusche: Verwunschen im Hobbykeller

Musik spielt im Leben des Aushilfskolumnisten kaum eine Rolle. Warum nur?

Der Aushilfskolumnist ist in Versuchung. Er spielt mit dem Gedanken, eine Vorsilbe wegzulassen: "Räusche" - wäre das nicht das attraktivere Thema? Drogenräusche, Liebesräusche, Kunsträusche? Aber dann schaut der Aushilfskolumnist in sich hinein und sieht Textsprechblasen wie "Produktenttäuschung", wie "nicht eingelöst", wie "Text-Überschrift-Schere". Er muss sich der Sache stellen: Er hat kein Ohr für harmonische Klangwellen, kein Erinnerungsvermögen, er interessiert sich nicht für Musik.

Manchmal hört der Aushilfskolumnist Radiosendungen, in denen Prominente ihre Geschichte erzählen, durchsetzt mit dem Soundtrack ihres Lebens. Der Aushilfskolumnist hört diese Sendungen gern beim Geschirrspülen, er hat sogar schon darüber nachgedacht, welche Musik er selbst eigentlich … - auch Aushilfen haben Eitelkeiten. Er stellt fest, dass es solche Stücke gibt: Tracks, die mit Epochen oder auch nur Episoden seines Lebens verwoben sind. Aber es ist dann doch immer ein Gesicht, das wirklich einen Eindruck hinterlassen hat, ein Geruch, ein Geschmack, ein kluger Satz, ein schönes oder ein hässliches Wort, eine Farbe. Die Musik begleitet diese aus der Vergangenheit auftauchenden Eindrücke nur wie dudelnder Deutschlandfunkjazz.

Schließlich kann er sich auch nie an die Namen der Bands erinnern, an die Solisten oder Komponisten, schon damals in den 1990ern hat er sich das fatalerweise nie merken können, im Umgang mit den lustigen Poplinken, die die Welt für eine Scheibe hielten und Gott für einen DJ (oder umgekehrt). Heute sind die meisten geläutert, und der Aushilfskolumnist hegt gar keine negativen Gefühle. Es war immer klar, dass sie Unsinn redeten, die Poplinkefrauen eher lässig, die Poplinkejungs schon verbissenener: In ihrem Spexjargon erörterten sie Musikalisches wie einst als verwunschene Kinder im Reihenhaushobbykeller die Details des neuen Märklin-Katalogs. Die große Erzählung von der befreienden Kraft der Musik ist passé - wie überhaupt der Jargon von der großen Erzählung. "Die Musik ist am weitesten entfernt von der Welt der praktischen Dinge", sagt der Komponist Hanns Eisler in seinem Vortrag "Über die Dummheit in der Musik".

Aber der Aushilfskolumnist ist gar nicht praktisch veranlagt. Was ist es also, das ihn den schönen Klängen entfremdet? Ist es die Gerhard Poltsche bzw. Sarrazineske "genetische Dings"? Oder will er sich einfach nicht öffnen? Aber er hat doch Nächte durchtanzt; er hat doch das "Rheingold" dreimal gesehen, äh, gehört; er singt seinen Kindern vor, sie lieben ihn trotzdem. Und wie gern lauscht er am Schreibtisch sitzend den Geräuschen von der Straße: von den Spielplätzen, wo Mütter ihre Dustins, Kevins und Jasons zur Ordnung rufen; von den Eisdielen, wo Väter ihren Leos, Lions und Leas erklären, warum es heute nur eine Kugel gibt. Der Aushilfskolumnist sieht jetzt klarer: Er hat durchaus ein Ohr für die Geräusche des Lebens. Er kann nur nicht gut darüber schreiben. Wie passend, dass er nur der Aushilfskolumnist ist!

Text: Down the street the dogs are barking

Musik: The world isn't fair

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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