Die Wahrheit: Die Winde des Meisters

Der Abschiedsabend im legendären Restaurant "El Bulli"

Fünfzig glückliche Gäste sitzen über ihre Teller gebeugt und schnappen nach Luft. Sie sind im Begriff, den allerletzten Gang des Menüs zu verköstigen, mit dem sich das legendäre Restaurant "El Bulli" aus der Gastronomie verabschiedet. Zwanzig Jahre lang hat Ferran Adrià, der Wegbereiter der Molekularküche, hier an seinen Schäumen, Sphären und Tinkturen gearbeitet. Nur dank des unermüdlichen Einsatzes des Katalanen konnten Zusatzsstoffe wie Alginat, Kalziumlaktatglukonat und Monoglyzerid, die bis dato ein eher unbeachtetes Dasein in Tütensuppen und Gummibärchen fristeten, endlich auch Einzug in die Haute Cuisine halten und unsere Vorstellung von gutem Essen mit dem Charme zeitgenössischer Lebensmittelchemie versöhnen.

Zum würdigen Abschluss dieser Ära wird nun ein "Wind von einer Lakritz-Eisbeinsphäre" gereicht, ein immens flüchtiger Genuss, der nur ein paar Augenblicke über den leeren Tellern steht, nachdem die Kellner die silbernen Hauben heruntergezogen haben.

"Wie er das bloß wieder gezaubert hat?", ruft verzückten Antlitzes eine Molekularküchen-Aficionada, die Haus und Hof verkauft hat, um dem denkwürdigen Spektakel beiwohnen zu können.

"Das wollen sie lieber nicht wissen, Gnädigste", raunt ihr fülliger Tischpartner, der von seinem Platz aus einen günstigen Blick in die Küche erhaschen konnte. Der erfolgreiche Investmentbanker ist von seiner Frau vor die Wahl gestellt worden, gibt er im Vertrauen zu: Bayreuth oder "das hier".

"Kostet auf dem Schwarzmarkt dasselbe", stellt der kühle Rechner fest, aber der Distinktionsgewinn sei hier ungleich höher.

Als der allerletzte der sehr persönlichen Winde des Meisters verflogen ist, senkt sich andächtige, beinahe sakrale Stille über den Raum. Es ist Ferran Adrià selber, der feinfühlige Kulinariker, der in würzigem Catalan schließlich die befreienden Worte findet: "Zack, zack abspülen - und dann raus mit euch, ihr Arschfrikadellen!", brüllt er seine Gäste an und hat dabei einen seiner berühmten Schäume vor dem Mund.

Der Meister selber hat sich nämlich bereits neuen Ufern zugewandt und zelebriert eine "Neue Schweineküche", die sich wie ein ironischer Kommentar auf die Lebensmittelskandale der letzten Jahre ausnimmt, aber wie die meisten anderen Arbeiten Adriàs auch tief in seiner Biografie verwurzelt ist. Von einem entfernten Verwandten mütterlicherseits hat der Spitzenkoch eine alte Abdeckerei geerbt, die er zu neuer Blüte führen will.

"Jeder ist ein Koch", postuliert Adrià neuerdings, der auch kulinarisch von Beuys gelernt haben will: Fett und Filz sind, neben Knorpel und Sperrholz, wichtige Grundlagen seiner neuen Kochkunst. "Orgien-Mysterien-Theater meets Frittenbude", schrieb Wolfram Siebeck im Zeit-Magazin begeistert über den nochmals erweiterten Kochbegriff Adriàs, der zuletzt jedoch angab, in Zukunft ausschließlich mit Sprengstoff kochen zu wollen und nun per Annonce günstige Wal-Kadaver für Selbstabholer sucht.

Aus dem "El Bulli" soll eine Stiftung werden, die das künstlerische Werk Adriàs verwalten und möglichst viel Geld aus dem guten Namen schlagen soll, indem man lizensierte Pülverchen unter die Leute bringt, zum Beispiel eine Dose Geliermittel für 40 Tacken, die woanders einen Euro kosten würde.

Doch auch die Molekularküche, von Adrià kürzlich als "öder Kunstscheiß" abgetan, geht neue Wege. Im "El Methlab", einer mobilen Highend-Gastronomie, bereitet ein begabter Schüler Adriàs, der namentlich hier nicht genannt werden will, halbsynthetische Köstlichkeiten und Produkte einer kolumbianisch-afghanischen Fusionsküche zu, die vornehmlich geschnupft, gespritzt oder geraucht werden. Dem Koch Caspar Melchior Balthasar vom Gasthaus "Zum fröhlichen Athanor" im beschaulichen Hohenheim ist es dagegen gelungen, ein schlichtes Hühnerfrikassee in Gold zu verwandeln. Auch seine Homunculi sollen ganz ausgezeichnet sein.

Als größter historischer Verdienst Adriàs wird jedoch für alle Zeit gelten, niemals bei Johannes B. Kerner oder Markus Lanz im Zweiten Deutschen Kochfernsehen aufgetreten zu sein. Dafür soll ihm unser aller Dank gelten.

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