Kommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz: Existenzminimum zweiter Klasse

Das Sozialministerium verschleppt die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dabei ist das Gesetz an sich schon ein Skandal.

Seit das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 die Berechnung der Hartz-IV-Sätze für verfassungswidrig erklärt hat, ist klar: Auch die Leistungen für Asylsuchende müssen neu berechnet werden. Auch sie wurden nach Schätzungen willkürlich festgelegt. Und genau das hält Karlsruhe für unzulässig.

Das hat die Bundesregierung im vergangenen Herbst selbst eingeräumt. Seitdem aber verschleppt Sozialministerin von der Leyen die Reform: Erst hat ihr Haus monatelang geprüft, jetzt will es bis Ende des Jahres Gespräche mit den Ländern führen - um dann irgendwann einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.

Breite Kritik an dieser Verzögerung bleibt aus. Asylsuchende haben eben noch weniger Lobby als die BezieherInnen von Hartz IV. Dabei ist die Existenz des Asylbewerberleistungsgesetzes ein gesellschaftlicher Skandal. Denn Asylsuchende bekommen danach um ein Drittel geringere Sozialleistungen als die BezieherInnen von Hartz IV. Bei Kindern ist die Differenz noch größer. Weil sie Flüchtlinge abschrecken und Kosten sparen wollte, hat die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung - mit dem Segen der SPD - 1993 für Flüchtlinge ein Existenzminimum zweiter Klasse eingeführt. Genau das darf es nicht geben.

Die Bundesregierung sollte diese Entscheidung, die aus der Zeit der erhitzten Debatte um das Grundrecht auf Asyl stammt, endlich korrigieren - und das Arbeitsverbot, die Residenzpflicht sowie die zwangsweise Unterbringung von Flüchtlingen in Gemeinschaftsunterkünften samt ihrer Verpflegung mit Essenspaketen gleich mit abschaffen.

Seit den 1990er Jahren ist die Anzahl der Asylsuchenden stark zurückgegangen. Doch selbst wenn man in der Logik der Abschreckungspolitik bleibt: Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass diese Maßnahmen irgendeinen Einfluss auf Migrationsbewegungen haben. Sie machen aber Flüchtlingen das Leben schwer, trennen sie von der übrigen Bevölkerung und erschweren die Integration.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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