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Rückblick auf HistorikerstreitHabermas missverstehen

Mathias Brodkorbs Rückblick auf den Historikerstreit vor 25 Jahren ist gründlich misslungen. Den Begiff "herrschaftsfreier Diskurs" hat er dabei küchenpsychologisch aufgeladen.

Prof. Dr. Jürgen Habermas auf dem SPD-Kulturforum 2007 in Berlin. Bild: imago/Reiner Zensen

Jürgen Habermas entfesselte vor 25 Jahren den Historikerstreit, als er der These Ernst Noltes entgegentrat, wonach "der Archipel Gulag ursprünglicher" sei "als Auschwitz" und der "Rassenmord" der Nazis ursächlich mit dem vorangegangenen "Klassenmord" im Namen von Leninismus und Stalinismus zusammenhänge. Noltes These beruht entweder auf geschichtsphilosophischer Spekulation wie sein Satz, "ohne Marxismus kein Faschismus" oder auf dem Taschenspielertrick, mit dem das zeitlich Frühere pauschal als Ursache des Späteren erklärt wird (post hoc propter hoc).

Mathias Brodkorb, ein sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, nahm das runde Datum zum Anlass für einen Rückblick. Sein Sammelband "Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre Historikerstreit" enthält zehn Beiträge von Journalisten und Historikern, darunter ein Interview mit Ernst Nolte. Rund ein Drittel der 179 Seiten füllt der Herausgeber selbst.

Jürgen Habermas verweigerte sowohl einen Beitrag zum Buch und ein Gespräch mit Nolte wie auch ein Interview mit dem Herausgeber. Brodkorb lud Habermas zur Mitarbeit ein mit dem Hinweis, es sei "endlich einmal Zeit für den ,herrschaftsfreien Diskurs der Intellektuellen'" und unterstellt Habermas nach dessen Absage, er sei nicht nur "diskursunwillig", sondern obendrein "vorrational, voraufklärerisch und damit auch vormodern". Brodkorb hat Habermas entweder nicht gelesen oder nicht verstanden. Der Begriff "herrschaftsfreier Diskurs" bezeichnet keine moralische Norm und schon gar nicht einen "echten Dialog" (Brodkorb) - was immer das meint -, sondern eine notwendige, idealisierende Voraussetzung kommunikativen Handelns.

Damit überhaupt ein Gespräch zustande kommen kann, müssen die Sprecher sich gegenseitig bestimmte Geltungsansprüche (Verständlichkeit, Richtigkeit, Wahrhaftigkeit, Wahrheit) zubilligen, notfalls auch kontrafaktisch: A vermutet, dass B lügt, aber auch A muss unterstellen, zumindest B halte die Lüge für wahr. Brodkorb lädt den Begriff "herrschaftsfreier Diskurs" küchenpsychologisch auf und interpretiert die Weigerung Habermas als "Charakterfrage", den Historikerstreit insgesamt als "Überreagieren" und Gezänk im Sandkasten.

Brodkorbs bodenlose Behauptung

Ferner meint Brodkorb, der Historikerstreit habe sich um die Frage gedreht, ob Auschwitz ein singuläres Ereignis gewesen sei. Zwar benutzte Habermas das Wort "Singularität", aber nur im metaphorischen Sinne, um die Bedeutung der Judenvernichtung zu betonen und diese gegen trivialisierende Vergleiche abzuschirmen. Brodkorb stellte die bodenlose Behauptung auf, es sei bis heute "unzulässig, nicht nur den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen, sondern hinsichtlich seiner regressiven Qualität mit diesen gleichzusetzen".

Spätestens in der Debatte um das "Schwarzbuch des Kommunismus" (1997/98) wurden solche Scheinprobleme geklärt: Ohne Vergleiche kommt kein Historiker aus. Die Vermutung, mit dem Vergleich von Verbrechen relativiere man diese automatisch, ist haltlos. Erstens setzt auch die These der Einzigartigkeit einen Vergleich - zumindest stillschweigend - voraus, und zweitens führt ein sachgerechter Vergleich nicht zur Gleichung rot gleich braun, wie sie die Totalitarismustheorie einst vertrat.

Weder Nolte noch Habermas sind für das Singularitätsdogma verantwortlich. Die These der Einzigartigkeit von Auschwitz ist eine Improvisation, die der Politikwissenschaftler Dan Diner eine Zeit lang vertrat. Sie diente ihm zur Einhegung des Jahrhundertverbrechens in einen quasi-sakralen Bereich, der rationalem Denken und Vergleichen angeblich nicht zugänglich sei, ohne das Verbrechen zu banalisieren. Der Rostocker Althistoriker Egon Flaig und Brodkorb selbst polemisieren in dem Buch gegen die Improvisation des Singularitätsdogmas, obwohl daran "in der Geschichtswissenschaft heute kein ernsthafter Denker mehr festhält" (Wolfgang Wippermann).

Flaig schreibt das Dogma Habermas zu und bezichtigt diesen, ein "Denkverbot" zu verhängen, "keine Ahnung" zu haben und "Lumpenjournalismus" zu betreiben. Flaig argumentiert auf einem intellektuellen Niveau, das für sich selbst spricht. Anders die Historiker Christian Meier und Heinrich August Winkler: Sie machen in ihren Beiträgen im Buch klar, worum es im Historikerstreit ging - um Geschichtspolitik. Aus der Sicht von Habermas um die Zurückweisung des Versuchs von Nolte und anderen, die deutsche Geschichte im Windschatten von Helmuth Kohls "moralisch-politischer Wende" zu "normalisieren" und zu begradigen.

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10 Kommentare

 / 
  • AM
    Andreas Müller

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    das musste nun aber wirklich nicht sein und erscheint etwas übereifrig, dass Sie meinen Kommentar nun gleich im Doppelpack auf Ihre Seite stellen. Der Text wird dadurch, das versichere ich Ihnen, um kein Jota schlechter oder besser. Die Beweggründe für diesen Übereifer sind reichlich fadenscheinig-, aber geschenkt. Löschen Sie doch also bitte den älteren Beitrag, also den auf gestern, 24. Sept., 13 Uhr 12 datierten Text und sorgen Sie stattdessen dafür, dass der Kollege oder die Kollegin, welche/r für die Unterdrückung meines Kommentars zu Ihrem Matador Stroebeles Exilierung der Piraten aus dem linken politischen Spektrum verantwortlich ist, sich eines besseren besinnt. Aber gradegal-, was auch immer man gegen Facebook und verwandte 'soziale Netzwerke' vorbringen mag, eine Selbstermächtigung zur license for censorship funktioniert einfach nicht mehr, ob sie nun den Namen taz, FAZ, FR oder SZ tragen mag.

    Mit freundlichen Grüßen

    Andreas

  • AM
    Andreas Müller

    [Da ich den nachstehenden Text bereits heute Vormittag abschickte, ist entweder ein technisches Problem dafür verantwortlich, dass er nicht auf Ihrer Kommentar-Seite erschien, oder aber es handelt sich um eine zensierenden Eingriff Ihrer Redaktion. Das ist freilich Ihr gutes Recht. Guter Stil freilich wäre, den Verfasser von dieser Entscheidung und ihren Gründen zu unterrichten. Das ist doch nicht mehr, als man billigerweise erwarten könnte, nicht wahr? Da ich nicht wissen kann, ob ein technisches Problem vorliegt, schicke ich den Text jetzt ein zweites Mal ab. Wird er nicht veröffentlicht, bitte ich Sie um eine Begründung. Als Journalisten vom Fach wird es Sie nicht überraschen können, dass ich darauf journalistisch reagiere. Mit freundlichen Grüßen]

     

    Waage glaubt, aus der Tatsache, dass Heinrich August Winkler zu den Autoren des Sammelbandes gehört, das Urteil ableiten zu dürfen, dieses Buch könne deshalb "kein kompletter Schrott sein". Dieser Schluss ist selbstverständlich unzulässig, weil er von einer unbegründeten Voraussetzung Gebrauch macht, die etwa folgenden Inhalts ist: Winkler ist ein Historiker, der in der Forschergemeinschaft hohes Ansehen genießt, und nicht in wissenschaftlich fragwürdigen Publikationen veröffentlicht. Das mag ja so sein, ist aber hier zunächst nicht mehr als ein trockenes Versichern, das ebenso viel gilt wie die gegenläufige Behauptung, etwa: Heinrich August Winkler ist ein Apologet der sozialdemokratischen Geschichtsauffassung, derzufolge es z.B. zur verheerenden Bewilligung der Kriegskredite im August 1914 gegeben habe. Auch seine Einschätzung der Rolle der Sozialdemokratie während der 'Novemberrevolution' 1918 ist unwissenschaftlich und apologetisch. Darum aber geht es hier gar nicht. Ob der Sammelband des Kollegen Brodkorb eine (geschichts)wissenschaftlichen Kriterien genügende Arbeit darstellt oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich erst durch die Rezension von Rudolf Walther darauf aufmerksam wurde. Ich muss zugeben, dass ich lange schon ein Ressentiment gegen die Politologie hege, sofern sie mit dem Anspruch auftritt, Wissenschaft zu sein. Dieses Ressentiment geht auf mein erstes Hochschulsemester zurück, da ich Politologie als erstes Hauptfach wählte, das seinerzeit (Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre) an der Universität Heidelberg durch Professor Hans-Joachim Arndt repräsentiert wurde, der später von einem Liberalen zu einem aggressiven Vertreter des 'Bundes Freiheit der Wissenschaft', ähnlich wie der Historiker Prof. Werner Conze, welcher einer der Wegbereiter der Sozialgeschichte war. Der Nachweis, dass deren 'Gründerväter' wie Conze und Schieder tief in die rassenideologische Vernichtungspolitik des NS verstrickt waren, gehört zu den zahlreichen wissenschaftlichen Verdiensten von Götz Aly (über sein Machwerk 'Unser Kampf' spreche ich nicht, weil es mit Wissenschaft nichts zu tun hat, sondern eine polemische Kampfschrift unter aller Kritik darstellt, deren Entstehung wohl nur tiefenpsychologisch aufzuklären ist, was nicht meine Aufgabe ist). Unabhängig von diesen hochschulpolitischen Zusammenhängen erschien mir und erscheint mir noch heute die Politologie - wenn überhaupt eine - dann eine Afterwissenschaft zu sein, eine Mixtur von a bisserl Rechtswissenschaft, einer Prise Soziologie, einem Schuss Volkswirtschaft (um Gottes willen aber ohne deren wissenschaftlichen Anteil, die Mathematik) ein bisschen Historiographie und jeder Menge Ideologie eingerührt.

     

    Was hat das nun mit der Sache zu tun, um die es hier geht, einen Sammelband zum Historikerstreit, der Mitte der 80er Jahre zu hitzigen öffentlichen Debatten führte. Die Protagonisten sind bekannt, Herr Walther hat - allerdings nur einige wenige - in seiner Rezension beim Namen genannt. Selbst wenn man ein Buch noch nicht kennt, auf das sich eine Rezension bezieht, lernt man mit der Zeit doch zu unterscheiden zwischen einer sachlich und unsachlichen Kritik. Ich habe den Eindruck, dass sich der Kollege Brodkorb zu Recht gegen Herrn Walthers Verriss wehrt. Die von ihm vorgenommene Korrektur der fachspezifischen Zugehörigkeit Dan Diners wäre zu ergänzen, und zwar um Wesentliches. Dass Habermas "den Historikerstreit entfesselte" ist zum einen sachlich falsch und zweitens eine sprachliche Entgleisung erster Ordnung. Die Texte, die dem Historikerstreit zugrunde lagen, waren einerseits Nolte FAZ-Artikel, zum anderen aber auch die im Siedler Verlag erschiene kleine Abhandlung 'Zweierlei Untergang'. Beide Text dienen geschichtsrevisionistischen Zwecken und vollkommen unhaltbar. Das lässt sich nicht bestreiten, solange man überhaupt an wissenschaftlichen Kriterien festhalten will und sie nicht umstandslos in den, um mit Hegel zu sprechen, 'leeren Abgrund des Skeptizismus' zu versenken. Denn das ist dann die Nacht, in der alle Katzen grau werden, zwischen Wissenschaft und Ideologie nicht mehr zu unterscheiden ist und Fragen der Wahrheit auf Fragen der Macht reduzierbar sind. Das ist exakt die Position des Faschismus und mithin als dessen radikalster Variante auch des Nationalsozialismus.

     

    Die Reflexion des damaligen Streites wie der heutigen Debatte auf die Frage zu zentrieren, ob die Vernichtung des europäischen Judentums ein singuläres historisches Ereignis war oder nicht, ist unter dem Gesichtspunkte der Erkenntnis historischer Zusammenhänge schlichter Unfug. In dieser Hinsicht hat Kollege Brodkorb vollkommen recht. Geschichtspolitisch freilich steht die Sache steht die Sache auf einem anderen Blatt; dies kam zur Geltung etwa bei der Diskussion um das Berliner Mahnmal. Mit großer Energie haben Lea Rosch und der Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel - trotz seiner passablen Monographie 'Hitlers Weltanschauung' ein eher zweitrangiger Historiker - ihr Steckenpferd in eine staatspolitische Doktrin verwandelt, derzufolge die Ermordung Millionen europäischer Juden einzigartig sei, weshalb andere Opfer wie etwa die Sinti und Roma, die Politischen, die Homosexuellen, die Miesmacher (sic!) oder die Zeugen Jehovas, kurz all die, die sich der Volksgemeinschaft nicht fügten, zwar ebenfalls bedauerliche, aber nicht singuäre Opfer wie die Juden waren. Allein diese Beschreibung, die von Rosch und Jäckel selbstverständlich mit Entrüstung zurückgewiesen wird, zeigt, wie verheerend diese Entscheidung war. Sie war verheerend, weil sie volkspädagogisch motiviert war und ist, argumentativ jedoch überhaupt nicht zu begründen ist. Am meisten haben darunter bis auf den heutigen Tag die Sinti und Roma zu leiden. Was Frau Rosch in ihrer maßlosen Eitelkeit versehen mit der von Jäckel beigesteuerten wissenschaftlichen Dignität angerichtet haben, wird uns, und damit meine ich auch den jüdischen Anteil der Bevölkerung und ihrer Organisation, dem Zentralrat, noch furchtbar auf die Füße fallen.

     

    Habermas hat dazu meiner Erinnerung nach nichts oder nicht viel gesagt. Richtigerweise hat er freilich die geschichtsrevisionistische Intention von Ernst Nolte, Andreas Hillgruber und anderen angeprangert. Dass Nolte vor seiner nationalistischen Kehre mit der Monographie 'Der Faschismus in seiner Epoche' sowie Andreas Hillgruber in seiner Habilitationsschrift 'Hitlers Strategie 1941/42' jedoch wesentliche Beiträge zur Erforschung der Geschichte des NS und des zweiten Weltkrieges vorgelegt hatten, blieb außerhalb der Blickweite des Philosophen, der die Kritische Theorie zu einer gefälligen 'Kommunikationstheorie' neutralisierte und damit den Weg ebnete für den Erfolg von Philosophen wie den Kollegen Safranski oder gar Thea Dorn, die äußerst erfolgreich an der Diskreditierung kritischer Philosophie arbeiten. Allein schon die Anmaßung des Namens, unter welchem sich diese widerliche Mieze vermarktet (Thea, altgr. die Göttin, und A-Dorn[o] noch oben drauf, auf den narzisstischen Olymp!), hätte zu einem homerischen Gelächter führen müssen, das der Philosophie gedient, der Karriere der Dame freilich abträglich gewesen wäre. Nun wissen wir ja durch die 'philosophische Rede' des Papstes, von der Heribert Prantl in seinem gestrigen Leitkommentar der Süddeutschen Zeitung zwar nicht die Bohne verstanden hat, uns aber ganz genau erklärt, wie sie zu verstehen ist-, der 'Heilige Vater' hat uns ins Gewissen geredet, dass wir zwar alle arme Sünderlein von Geburt an sind, als göttliche Geschöpfe aber der Gnade Gottes teilhaftig werden können, wenn wir nur - im Dummdeutsch dieser Tage gesprochen - unseren Job auf Erden, also ora et labora, ordentlich erledigen. Wer also wollte schon den ersten Stein werfen und mir wäre scheißegal, was und mit wem es Thea Dorn in ihrer Freizeit treibt, wenn sie wenigstens Ahnung von der Tradition der kritischen Philosophie hätte. Ma niente di zero.

  • AM
    Andreas Müller

    Waage glaubt, aus der Tatsache, dass Heinrich August Winkler zu den Autoren des Sammelbandes gehört, das Urteil ableiten zu dürfen, dieses Buch könne deshalb "kein kompletter Schrott sein". Dieser Schluss ist selbstverständlich unzulässig, weil er von einer unbegründeten Voraussetzung Gebrauch macht, die etwa folgenden Inhalts ist: Winkler ist ein Historiker, der in der Forschergemeinschaft hohes Ansehen genießt, und nicht in wissenschaftlich fragwürdigen Publikationen veröffentlicht. Das mag ja so sein, ist aber hier zunächst nicht mehr als ein trockenes Versichern, das ebenso viel gilt wie die gegenläufige Behauptung, etwa: Heinrich August Winkler ist ein Apologet der sozialdemokratischen Geschichtsauffassung, derzufolge es z.B. zur verheerenden Bewilligung der Kriegskredite im August 1914 gegeben habe. Auch seine Einschätzung der Rolle der Sozialdemokratie während der 'Novemberrevolution' 1918 ist unwissenschaftlich und apologetisch. Darum aber geht es hier gar nicht. Ob der Sammelband des Kollegen Brodkorb eine (geschichts)wissenschaftlichen Kriterien genügende Arbeit darstellt oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich erst durch die Rezension von Rudolf Walther darauf aufmerksam wurde. Ich muss zugeben, dass ich lange schon ein Ressentiment gegen die Politologie hege, sofern sie mit dem Anspruch auftritt, Wissenschaft zu sein. Dieses Ressentiment geht auf mein erstes Hochschulsemester zurück, da ich Politologie als erstes Hauptfach wählte, das seinerzeit (Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre) an der Universität Heidelberg durch Professor Hans-Joachim Arndt repräsentiert wurde, der später von einem Liberalen zu einem aggressiven Vertreter des 'Bundes Freiheit der Wissenschaft', ähnlich wie der Historiker Prof. Werner Conze, welcher einer der Wegbereiter der Sozialgeschichte war. Der Nachweis, dass deren 'Gründerväter' wie Conze und Schieder tief in die rassenideologische Vernichtungspolitik des NS verstrickt waren, gehört zu den zahlreichen wissenschaftlichen Verdiensten von Götz Aly (über sein Machwerk 'Unser Kampf' spreche ich nicht, weil es mit Wissenschaft nichts zu tun hat, sondern eine polemische Kampfschrift unter aller Kritik darstellt, deren Entstehung wohl nur tiefenpsychologisch aufzuklären ist, was nicht meine Aufgabe ist). Unabhängig von diesen hochschulpolitischen Zusammenhängen erschien mir und erscheint mir noch heute die Politologie - wenn überhaupt eine - dann eine Afterwissenschaft zu sein, eine Mixtur von a bisserl Rechtswissenschaft, einer Prise Soziologie, einem Schuss Volkswirtschaft (um Gottes willen aber ohne deren wissenschaftlichen Anteil, die Mathematik) ein bisschen Historiographie und jeder Menge Ideologie eingerührt.

     

    Was hat das nun mit der Sache zu tun, um die es hier geht, einen Sammelband zum Historikerstreit, der Mitte der 80er Jahre zu hitzigen öffentlichen Debatten führte. Die Protagonisten sind bekannt, Herr Walther hat - allerdings nur einige wenige - in seiner Rezension beim Namen genannt. Selbst wenn man ein Buch noch nicht kennt, auf das sich eine Rezension bezieht, lernt man mit der Zeit doch zu unterscheiden zwischen einer sachlich und unsachlichen Kritik. Ich habe den Eindruck, dass sich der Kollege Brodkorb zu Recht gegen Herrn Walthers Verriss wehrt. Die von ihm vorgenommene Korrektur der fachspezifischen Zugehörigkeit Dan Diners wäre zu ergänzen, und zwar um Wesentliches. Dass Habermas "den Historikerstreit entfesselte" ist zum einen sachlich falsch und zweitens eine sprachliche Entgleisung erster Ordnung. Die Texte, die dem Historikerstreit zugrunde lagen, waren einerseits Nolte FAZ-Artikel, zum anderen aber auch die im Siedler Verlag erschiene kleine Abhandlung 'Zweierlei Untergang'. Beide Text dienen geschichtsrevisionistischen Zwecken und vollkommen unhaltbar. Das lässt sich nicht bestreiten, solange man überhaupt an wissenschaftlichen Kriterien festhalten will und sie nicht umstandslos in den, um mit Hegel zu sprechen, 'leeren Abgrund des Skeptizismus' zu versenken. Denn das ist dann die Nacht, in der alle Katzen grau werden, zwischen Wissenschaft und Ideologie nicht mehr zu unterscheiden ist und Fragen der Wahrheit auf Fragen der Macht reduzierbar sind. Das ist exakt die Position des Faschismus und mithin als dessen radikalster Variante auch des Nationalsozialismus.

     

    Die Reflexion des damaligen Streites wie der heutigen Debatte auf die Frage zu zentrieren, ob die Vernichtung des europäischen Judentums ein singuläres historisches Ereignis war oder nicht, ist unter dem Gesichtspunkte der Erkenntnis historischer Zusammenhänge schlichter Unfug. In dieser Hinsicht hat Kollege Brodkorb vollkommen recht. Geschichtspolitisch freilich steht die Sache steht die Sache auf einem anderen Blatt; dies kam zur Geltung etwa bei der Diskussion um das Berliner Mahnmal. Mit großer Energie haben Lea Rosch und der Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel - trotz seiner passablen Monographie 'Hitlers Weltanschauung' ein eher zweitrangiger Historiker - ihr Steckenpferd in eine staatspolitische Doktrin verwandelt, derzufolge die Ermordung Millionen europäischer Juden einzigartig sei, weshalb andere Opfer wie etwa die Sinti und Roma, die Politischen, die Homosexuellen, die Miesmacher (sic!) oder die Zeugen Jehovas, kurz all die, die sich der Volksgemeinschaft nicht fügten, zwar ebenfalls bedauerliche, aber nicht singuäre Opfer wie die Juden waren. Allein diese Beschreibung, die von Rosch und Jäckel selbstverständlich mit Entrüstung zurückgewiesen wird, zeigt, wie verheerend diese Entscheidung war. Sie war verheerend, weil sie volkspädagogisch motiviert war und ist, argumentativ jedoch überhaupt nicht zu begründen ist. Am meisten haben darunter bis auf den heutigen Tag die Sinti und Roma zu leiden. Was Frau Rosch in ihrer maßlosen Eitelkeit versehen mit der von Jäckel beigesteuerten wissenschaftlichen Dignität angerichtet haben, wird uns, und damit meine ich auch den jüdischen Anteil der Bevölkerung und ihrer Organisation, dem Zentralrat, noch furchtbar auf die Füße fallen.

     

    Habermas hat dazu meiner Erinnerung nach nichts oder nicht viel gesagt. Richtigerweise hat er freilich die geschichtsrevisionistische Intention von Ernst Nolte, Andreas Hillgruber und anderen angeprangert. Dass Nolte vor seiner nationalistischen Kehre mit der Monographie 'Der Faschismus in seiner Epoche' sowie Andreas Hillgruber in seiner Habilitationsschrift 'Hitlers Strategie 1941/42' jedoch wesentliche Beiträge zur Erforschung der Geschichte des NS und des zweiten Weltkrieges vorgelegt hatten, blieb außerhalb der Blickweite des Philosophen, der die Kritische Theorie zu einer gefälligen 'Kommunikationstheorie' neutralisierte und damit den Weg ebnete für den Erfolg von Philosophen wie den Kollegen Safranski oder gar Thea Dorn, die äußerst erfolgreich an der Diskreditierung kritischer Philosophie arbeiten. Allein schon die Anmaßung des Namens, unter welchem sich diese widerliche Mieze vermarktet (Thea, altgr. die Göttin, und A-Dorn[o] noch oben drauf, auf den narzisstischen Olymp!), hätte zu einem homerischen Gelächter führen müssen, das der Philosophie gedient, der Karriere der Dame freilich abträglich gewesen wäre. Nun wissen wir ja durch die 'philosophische Rede' des Papstes, von der Heribert Prantl in seinem gestrigen Leitkommentar der Süddeutschen Zeitung zwar nicht die Bohne verstanden hat, uns aber ganz genau erklärt, wie sie zu verstehen ist-, der 'Heilige Vater' hat uns ins Gewissen geredet, dass wir zwar alle arme Sünderlein von Geburt an sind, als göttliche Geschöpfe aber der Gnade Gottes teilhaftig werden können, wenn wir nur - im Dummdeutsch dieser Tage gesprochen - unseren Job auf Erden, also ora et labora, ordentlich erledigen. Wer also wollte schon den ersten Stein werfen und mir wäre scheißegal, was und mit wem es Thea Dorn in ihrer Freizeit treibt, wenn sie wenigstens Ahnung von der Tradition der kritischen Philosophie hätte. Ma niente di zero.

     

    Dass Philosophie und Geschichte heute im deutschsprachigen Raume derart verkommen sind, dass von ihnen keinerlei Anregungen für eine Debatte darüber zu erwarten sind, in welche Richtung sich diese zutiefst krisenhaft Gesellschaft entwickeln sollte, dass vielmehr ideologischen Rattenfängern wie dem elenden Kardinal Joseph Aloisius Ratzinger das Feld überlassen bleibt, dafür sorgen dann schon die schon die Medien von taz über Neues Deutschland bis zur Süddeutschen und FAZ. Die Freiheit der Feder, so schrieb Kant gleich an mehreren Stellen, ist das 'Palladium aller Volksrechte' und mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Wie nun aber, wenn wir des Morgens am Zeitungskiosk vor die Situation des Mannes gestellt sind, von dem Wittgenstein (in ganz anderem Kontext freilich) berichtet: Er pflegte gleich mehrere Exemplare der Morgenzeitung zu kaufen, um zu überprüfen, ob sie auch die Wahrheit schreibt.

     

    Das wollte ich nur mal so anmerken.

    Mit freundlichen Grüßen

    Andreas Müller

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Es ist die Notwehr. Die Notwehr als "zugelassener" Grund für Gewalt, die Herr Nolte in die Wagschale wirft und die durch das Urteil von Nürnberg: "Vorbereitung eines Angrifkrieges" völkerechtlich historisch als nichtzutreffend und damit unzulässig zum "verständlich machen" wird.

     

    Nach Japsers "Metaphysischer Schuld" der Nazis, die auch Herr Nolte noch kennen könnte im Zusammanhang mit dem Holocaust und Auschwitz, ist auch das "singuläre" philosophisch durchaus bekannt.

     

    Diese argumente baruchen nicht unebdingt verstärkt udn verfeineret zu werden, selbst wen man das eine oder andere daran nicht voll teil in den Riesenschinlken, die als Begründung dabeistehen.

     

    Herr Habermas scheint hellsichtige Fähigkeitn ob des polemischen Potentials gehabt zu haben.

    Wer lässt sich schon freiwillig als "Lump"(enjournalist) beschimpfen, zur Auflagensteigerung eines Buches missbrauchen.

     

    Von notwehr konnte bei Ausschwitz nun wirklich keine Rede sein.

     

    Wirsind aiuch an Herschatstechnik per Angst einjagen einiges gewohnt aus der Geschichte.

    Das war es aber auch nicht.

  • SS
    Soziologie Student

    soziologie 2.tes semester

  • A
    AlexsZander

    Danke, endlich mal ein guter Beitrag, der die Sache verständlich für jemanden, der sich vorher noch nicht mit dem Historikerstreit auseinander gesetzt hat, auf den Punkt bringt.

  • F
    floordress

    Vielen Dank für diesen Artikel! Ich habe so gelacht!

  • SS
    Svetozar Schnuckelberger

    Diese - wie Sie richtig erkennen - Geschichtspolitik wurde aber von Habermas auf intellektuell höchst unredliche Weise als Geschichtswissenschaft "verkauft": Das (aus seiner Sicht) volkspädagogisch Sinnvolle sollte zum Maßstab des historischen Diskurses erhoben werden. Dabei ist heute jedem mit der Materie einigermaßen Vertrauten klar, dass Hitler Sozialist und nicht rechts, sondern links war (rechts waren die Wehrmacht und ein Großteil der Männer des 20. Juli)...

  • MB
    Mathias Brodkorb

    Sehr geehrter Herr Walther,

     

    wenn schon Verriss, dann bitte ohne verdrehte Zitate und daraus aufbauende Schlussfolgerungen. Die angebliche "bodenlose Behauptung", die Sie mir zuschreiben, stelle ich nirgendwo auf.

     

    Habermas' Vorwurf an Nolte hatte im Jahre 1986 im Kern folgende Gestalt:

     

    Nolte „schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe:

    Die Nazi-Verbrechen verlieren ihre Singularität dadurch, daß sie als Antwort auf (heute fortdauernde) bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden.“

     

    Habermas warf Nolte also vor, die Singularität von Auschwitz zu bestreiten. Ich nehme dazu wie folgt Stellung:

     

    "Eine substanzielle Antwort in Form einer rationalen Begründung, warum es in der Wissenschaft unzulässig sein soll, nicht nur den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen, sondern hinsichtlich seiner regressiven Qualität mit diesen gleichzusetzen, blieb Habermas schuldig und bleibt er – und mit ihm viele Debattenteilnehmer – bis heute schuldig. Der Umstand, dass bestimmte historische Fragestellungen in empörtem Gestus mit dem Vorwurf zurückgewiesen werden, dass diese die Singularität von Auschwitz in Frage stellten und dieses nicht-wissenschaftliche Vorgehen weithin akzeptiert wird, lässt sich dabei nur durch zwei Umstände begründen: entweder dadurch, dass a) kaum jemand den Mut aufbringt, sich einem außerwissenschaftlichen Mechanismus lautstark zu widersetzen, weil er fürchtet, vielleicht selbst Opfer dieses Mechanismus zu werden, oder b) weil durch die mangelnde Unterscheidung zwischen Genesis und Geltung, zwischen historischen Tatsachen und ihrer Bewertung gar nicht mehr deutlich werden kann, dass mit diesem „Vorwurf“ etwas gewaltig nicht stimmt."

     

    Mit anderen Worten: Ich sage eben nicht, es sei "bis heute unzulässig", die Singularität von Auschwitz bestreiten, sondern dass Habermas entsprechend agiert, dafür aber keine rationalen Argumente geliefert hat. Und wohl bis heute nicht.

     

    Beste Grüße

    Brodkorb

     

    PS: Dan Diner ist kein Politikwissenschaftler, sondern Historiker. Vielleicht wollen Sie das noch korrigieren.

  • W
    Waage

    Wenn Heinrich August Winkler einen Beitrag zu Brodkorbs Rückblick schreibt, kann das Werk schon mal ganz sicher kein kompletter Schrott sein!

     

    Habermas soll sich nicht so haben, er hat seinerzeit auch nicht nur mit Wattebäuschen geworfen!

    Noltes Ruf als Historiker ist nach dem "Historikerstreit" aus gutem Grund nachhaltig angeschlagen.

    Der "Säulenheilige" Habermas hat nun Angst, dass in einem neuerlichen offenen Diskurs noch einmal deutlich wird, dass nicht nur Nolte damals monokausal, zeitgeistgetrieben und unsauber argumentiert hat!