Berliner Kulturpolitik: Wer regiert im Kunstlabor?
Seit fünf Jahren ist Klaus Wowereit Berlinchef und Kultursenator. Das war nicht nur schlecht, aber als Zukunftsmodell ist die Personalunion eine Katastrophe.
Als Klaus Wowereit im Sommer die Ausstellung "Based in Berlin" im Monbijoupark eröffnete, war er ganz oben als Kultursenator. Er stand auf der luftigen Plattform über dem Dach des ehemals zur Kunsthochschule Weißensee gehörenden Atelierhauses. Unten in den Ausstellungsräumen war eine bunte Künstlerszene versammelt: junge Maler, Underground-, Graffiti- oder Neokonzeptkünstler. Farbe tropfte von den Wänden, Videos und Filme flimmerten. Ein Hauch von Documenta wehte durch die Vernissage. Based in Berlin, diese Großschau zeitgenössischer Kunst, war das Event für den Regierenden Kultursenator in diesem Wahljahr. Und er mittendrin.
Was das Spektakel verdeckte, waren gleich mehrere Peinlichkeiten im Vorfeld der Ausstellung, für die Wowereit in seiner dualen Funktion als Regierungschef und Kultursenator die Verantwortung trägt. Ursprünglich sollte Based in Berlin ein Testballon sein für die geplante städtische Kunsthalle. Gebetsmühlenartig warben Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz (beide SPD) für den Neubau. Berlin als Mekka der jungen Kunst und "Produktionsort für Künstler aus der ganzen Welt", so der Regierende, benötige eine feste Plattform für seine vielen jungen Wilden. Die Ära der White Cubes oder temporärer Hallen waren für Wowereit Geschichte.
Konnte man dies noch als Plädoyer für die Szene und die Kunst deuten, erschien alles weitere nur noch ärgerlich. Für das Ausstellungshaus suchte der Regierende eine Fläche am Humboldthafen aus, gleich neben dem Hauptbahnhof und fernab der Ateliers. Als 2009 kein Investor für den Bau gefunden werden konnte und ein Jahr darauf das Parlament den Geldhahn abdrehte, ließ Wowereit ein weiteres Konzept für eine Ausstellungsarchitektur entwerfen. Auch das ging schief. Schließlich landete die Ausstellung im Atelierhaus im Monbijoupark - was aber nur wenige beruhigte: 250 Künstler und der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) kritisierten in einem offenen Brief die von Wowereit initiierte "Leistungsschau". Statt die prekäre Arbeitssituation zu verbessern, missbrauche die Schau die Kunst als Berlinmarketing.
Es kam noch dicker: Galeristen und Institutionen wie die Berlinische Galerie, die Kunstwerke oder der Hamburger Bahnhof fühlten sich vom Politikstil Wowereits überfahren und in ihrer Bedeutung als Schauräume für zeitgenössische Kunst herabgesetzt. Leonie Baumann, Vorsitzende beim Rat für die Künste, sowie die Kulturpolitikerinnen der Grünen, Alice Ströver und Adrienne Goehler, warfen Wowereit vor, keine auf Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit bedachte Kulturpolitik im Sinn zu haben, sondern allein Effekt, Imagegewinn und Profit. Es fehle ein Kultursenator, der qua Amt die Interessen der Künstler und Institutionen klar vertrete. Berlin brauche in der kommenden Legislaturperiode wieder einen eigenständiges, unabhängiges Kulturressort, so die Kritiker.
Nun kann man Wowereit und Schmitz nicht vorhalten, die Kulturpolitik nur als Marketingabteilung ihres Hauptstadt-Kulturverständnisses missbraucht zu haben. Der Regierende hat seit 2006 die Kultur zur Chefsache gemacht, seine Hand über manches Bühnenhaus gehalten. Der Haushalt für die Kulturverwaltung ist auf 371 Millionen Euro bis 2013 gestiegen. Die marode Staatsoper wird mit Hilfe des Bundes saniert, 2010 wurde der Neubau der zentralen Bühnenwerkstätten abgeschlossen, die Topographie des Terrors wieder eröffnet und die Gedenkstätte Berliner Mauer erweitert.
Wowereit hat eine Reihe Posten neu besetzt. Ulrich Khuon kam ans Deutsche Theater, Peter Raddatz übernahm die Opernstiftung, Jürgen Flimm leitet seit 2010 die Staatsoper. Thomas Köhler ist neuer Direktor der Berlinischen Galerie. Der Suhrkamp Verlag wurde geködert, das Land entwickelte mit den Weddinger Uferstudios ein neues Zentrum für den modernen Tanz. Berlin bemüht sich, die kulturelle Bildung zu befördern. Die Filmfestspiele und andere Festivals brummen. Kultur ist zu einem herausragenden Wirtschaftsfaktor in Berlin avanciert.
Dass Berlins Regierender Kultursenator gerade bei so zentralen Projekten wie der Kunsthalle und Based in Berlin patzte, ist dennoch symptomatisch für die Unwucht in der gesamten Kulturpolitik. Wowereits Doppelrolle als Stadtoberhaupt und Kultursenator hat dem Projekt mehr geschadet als es befördert. Man könnte auch das Kunsthaus Tacheles oder die Fotogalerie c/o Berlin anführen, für deren Zukunft die Kulturverwaltung kein Rezept entwickelt hat.
Kulturpolitik als Sozius im Roten Rathaus ist in erster Linie Symbolpolitik, Leuchttumpolitik und Widerspiegelung des großen kulturellen Bestands und der Events. Für den Regierungschef bedeuten Kunst und Kultur immer auch Repräsentation und internationales Ansehen. Das hat Gewicht - weniger das notwendige Gespür für das Besondere und Kreative in der Kunst- und Kulturszene. Zur Entwicklung eines innovativen Kunstlabors in Berlin, was die Kunsthalle werden sollte, passt so sein kulturelles Leitbild schwer.
Seit Wowereit neben dem Amt des Regierenden Bürgermeisters auch das des Kultursenators innehabe, motzte Ströver, werde über Kultur nicht mehr richtig gestritten. Beliebigkeit sei in den kulturellen Alltag eingezogen. Es gebe "keinen echten Diskurs über die Richtung in der Kulturpolitik mehr". Konzepte seien Mangelware. Kultur und Wowereit bildeten keine Reibungsflächen, der Mann aus dem Roten Rathaus verbaue eher die kulturelle Perspektive der Stadt, anstatt sie zu steigern. Will sagen: Wie die Szene wirklich "tickt", weiß der Sozialdemokrat aus Tempelhof nicht. Umgekehrt geht der ewige Berlin-Hype des Regierenden Bürgermeisters vielen Künstlern auf die Nerven.
Das Desaster um die Kunsthalle offenbart zugleich, worum es in der Kulturpolitik zukünftig geht: nicht mehr um die Konsolidierung kultureller Ressourcen, sondern um eine neue Strategie für die kommenden kulturellen Energien in Berlin.
Hier leben inzwischen etwa 6.000 bis 10.000 Künstler, 400 Galerien und Verlage vertreten die zeitgenössische Kunst, die Szene wird täglich größer, auch der Underground. Berlin gilt als die Kunst-Hochburg Europas, als Magnet für jene, die Kunst machen. Der moderne Tanz boomt. Theaterprojekte wie das HAU konkurrieren mit den etablierten Häusern. Neue Netzwerke, Cross-Overs, zwischen Künstlern, Kompanies und den unterschiedlichsten Sparten entstehen. Neue Medien, neue Kunsthäuser, neue Intelligenz-Agenturen drängen in die Stadt. Es gibt Initiativen und bürgerschaftliches Engagement zu historischen und migrantischen Themen. Architekten schaffen neue Wohnformen und soziale Bauskulpturen. Soziale, politische und künstlerische Szenen fließen zusammen. Daneben bleibt die Frage nach der Innovationsfähigkeit bestehender Einrichtungen wie Museen und Bühnen oder die nach der Zukunft des Kulturforums.
Wohin sich diese kreativen Triebkräfte bewegen werden, wo Produktionsstandorte, Wohn-, Lebens- und Arbeitsbereiche, wo neue Freiräume sich entwickeln sollen oder auch erhalten werden müssen - das sind die Zukunftsfragen kulturpolitischer Arbeit und kultureller Stadtentwicklung. Wie die finanzielle Ausstattung einmal aussieht, wo Ateliers bezahlbar bleiben, wo Messen und Festivals laufen sollen - und insbesondere wie sich die Mieten in Mitte, Friedrichshain und Kreuzberg für die Produzenten entwickeln - wird von zentraler Bedeutung sein für Berlin als Kulturmetropole 2020, will sie nicht, dass die Szene morgen schon wieder weg ist.
Es ist klar, dass dies nur ein starker Interessenvertreter für die Kultur erarbeiten kann - eben ein Kultursenator. Er oder sie muss Navigator dieser Entwicklung sein, braucht es doch Konzepte und Methoden für die Perspektive Kultur. Eine erste Aufgabe könnte sein, das Areal Flughafen Tempelhof zu beackern. Anstrengung ist gefordert.
Es gibt Vorschläge, wie den von Volker Hassemer, Exkultursenator und Mitglied der Stiftung Zukunft Berlin, im nächsten Senat das Großressort Kultur und Stadtentwicklung zu schaffen. Kultur sei schließlich der "Motor der derzeitigen Berliner Stadtentwicklung überhaupt". Das stimmt, bringt aber nicht weiter, ebenso wie die LangweilerInnen, die für den Job schon gehandelt werden. Denn: Ordnungsmuster und Revolte funktionieren auf Dauer nicht.
Es bleibt dabei. Was Christoph Tannert, Leiter des Künstlerhauses Bethanien, fordert, ist richtig: Berlin benötigt einen "starken" Kultursenator, inspirierend und debattenbelebend, der realistisch denkt und Visionen für die Zukunft entwirft. Es braucht einen Kopf und Querkopf, einen Kulturversteher und Macher - das ist wichtiger als Ressortzuschnitte. Fast niemand, selbst Wowereit nicht, ist noch für die Personalunion von Kultur- und Berlinchef. Nur die Landesverfassung, die acht Senatorenämter vorschreibt, hält die Kultur in dieser babylonischen Gefangenschaft. Ändert sie, damit Kultur ein Zukunftsprojekt bleibt!
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