Nuklearmedizinerin und Mutter Christiane Franzius: "Teilzeit wäre für mich nicht machbar"

Sie ist ein Spross der Franzius-Familie, der Bremen seine Hafentradition verdankt, sie ist eine weltweit renommierte Radiologin und Mutter von drei Kindern. Ihre neue Praxis wartet mit einer Weltneuheit zur Erkennung von Krebs auf.

Durchleuchtet den ganzen Körper: Christiane Franzius und ihr mMR-Gerät. Bild: Klaus Wolschner

Frau Franzius, reagieren die Leute in Bremen hin und wieder besonders auf Ihren Namen?

Christiane Franzius: Bei älteren Menschen, ja. Die haben das vielleicht in Sachkunde noch gelernt.

Es gibt einen Franzius-Platz, eine Franzius-Straße und ein Franziuseck in Bremen.

Die sind nach Ludwig Franzius benannt, das war der Bruder meines Ur-Urgroßvaters.

Auf dem Franzius-Denkmal steht: "Ludwig Franzius öffnete der Weltschiffahrt den Weg zur Stadt Bremen." Noch mit zwei f.

Ludwig Franzius war in den 1870er Jahren Oberbaudirektor von Bremen geworden. Die Weser war damals so versandet, dass sie nur 50 Zentimeter Tiefgang hatte und nicht mehr schiffbar war. Er hatte die Idee, die Weser so zu "korrigieren", dass die Fließgeschwindigkeit sich erhöht und sich die Weser selbst frei spült. Das Ziel waren fünf Meter Tiefgang für die damals geplanten Überseehäfen. Und das hat wirklich geklappt.

Menschen im 19. Jahrhundert, die so visionäre Projekte umgesetzt haben, waren oft autoritäre Knochen. Gibt es in ihrer Familiengeschichte solche Erinnerungen?

Nein, aber ein visionärer Typ muss er gewesen sein. Er war als Ingenieur zunächst nur wenig anerkannt bei den Akademikern und Kaufleuten, das war damals kein akademischer Beruf. Deswegen war er am Anfang nicht akzeptiert als jemand, der etwas zu sagen hat. Das hat sich erst geändert, als das Weserprojekt geklappt hat.

war an diesem Wochenende in Birmingham: Die international renommierte Ärztin für Nuklearmedizin hatte auf einem medizinischen Fach-Kongress der Europäischen Gesellschaft für Nuklearmedizin zwei Vorträge zu halten.

In Bremen hat sie mit ihren Kollegen vor einer Woche einen neuen Praxisstandort eröffnet, nachdem das kommunale Klinikum Mitte die Kooperation auf dem Klinikgelände vorzeitig gekündigt hatte.

Die Firma Siemens ist so überzeugt von der Ärztin, dass sie ihr eines der ersten molekularen Magnet-Resonanztomographie-Geräte (mMR) anvertraute. Bisher gibt es nur einzelne Exemplare in den USA und zu Forschungszwecken an drei Uni-Kliniken in Deutschland.

Mit der mehrere Millionen Euro teuren Maschine kann man Tumorzellen früher und genauer erkennen als mit herkömmlichen Verfahren.

Sie und Ihre Kinder sind die einzigen, die im Bremen einfach Franzius heißen.

Das stimmt, in Deutschland gibt es aber ein paar mehr, die zur Großfamilie Franzius gehören.

Hatte es für sie einen familiengeschichtlichen Reiz, nach Bremen zu kommen?

Das war ein positiver Nebeneffekt. Ich bin im Studium zum praktischen Jahr nach Bremen gekommen, ich wollte wieder nach Norddeutschland. Ich wollte danach aber im Bereich der Nuklearmedizin auch wissenschaftlich arbeiten und bin jahrelang nach Münster gependelt, weil ich dort eine Stelle im Universitätsklinikum gefunden hatte, bei der ich klinische Tätigkeit mit wissenschaftlichem Arbeiten verbinden konnte.

Nuklearmedizin?

Diagnostik und Therapie mit radioaktiven Stoffen. Offene radioaktive Stoffe sind solche, die man in den Körper von Patienten einbringen kann, etwa über eine Vene oder über eine Kapsel zum Schlucken. Die Radioaktivität hängt an Stoffen, die sich im Körper verteilen und die man über die radioaktive Strahlung messen kann. Damit kann man sehr genaue Funktionsdiagnostik machen, Stoffwechselvorgänge bildlich darstellen oder "Strahlentherapie von innen" durchführen, wie etwa bei der Radiojod-Therapie der Schilddrüse.

Sie sind dann 2007 endgültig nach Bremen gekommen?

In Bremen sollte eine Praxis um ein PET/ CT erweitert werden und da wurde eine Nuklearmedizinerin gesucht, die auf dem Gebiet viel Erfahrung hatte. Da bin ich gefragt worden. Die Stadt kam mir sehr entgegen, ich kannte sie ja. Bremen ist eine schöne Stadt, eine Großstadt mit viel Lebensqualität. Ich bewege mich gern und viel mit dem Fahrrad in der Stadt.

Sie hätten Chefärztin an einer Klinik werden können.

Das wäre die Alternative gewesen. Aber mich hat eine private Praxis mehr gereizt, weil man da Dinge, die man für notwendig hält, schnell umsetzen kann, und nicht erst lange mit Verwaltungen und Ausschreibungen kämpfen muss.

Wann haben Sie beschlossen, dass sie einen neuen Praxisstandort aufmachen wollen?

Vor knapp einem Jahr, als nach einer Kündigung durch unsere Vermieterin, das Klinikum Bremen Mitte, Unklarheiten bezüglich unseres bisherigen Mietvertrages bestanden.

Was haben Sie falsch gemacht als Praxis beim Klinikum Mitte? Sie hatten einen Vertrag bis 2024.

Wir haben nichts falsch gemacht. Die lange Vertragslaufzeit war die Grundlage für große Investitionen gewesen und die Grundlage für mich, nach Bremen zu kommen: eine langfristige Perspektive an einem Großklinikum.

Dennoch die Kündigung. Haben Sie Mist gebaut?

Nein. Die Entscheidung, die radiologische Arbeit an eine private Praxis auf dem Klinikgelände abzugeben, ist vor vielen Jahren unter der früheren Geschäftsführung des Klinikums Bremen-Mitte gefallen. Das Klinikum will unter der neuen Geschäftsführung der Holding Gesundheit Nord diese Leistung wieder selber unter dem eigenen Dach erbringen. Daher die Kündigung.

Kann eine staatliche Klinik diese hoch spezialisierte Arbeit so gut machen wir eine private Praxis?

Das ist eine Frage der Organisation. Aber nach unseren Erfahrungen sind kleinere Strukturen sehr viel effektiver. Das Personal bei uns hat zum Beispiel eine stärkere persönliche Bindung an die Praxis, identifiziert sich mit uns und der Praxis und ist hochmotiviert. Ich gehe davon aus, dass es für das Klinikum Mitte unter dem Strich teurer werden wird, wenn es die MRT-Leistungen selbst erbringt.

Die Firma Siemens hat bei Ihnen ein Gerät ausgestellt, mit dem man Tumore in einem sehr viel früheren Stadium erkennen kann als bisher.

Der Biograph mMR stellt per Magnetresonanz- oder Kernspin-Diagnostik (MRT) die Anatomie und Funktion dar. Simultan in der gleichen Untersuchung zeigt er mit der molekularen PET-Bildgebung den Stoffwechsel. Mit der PET-Komponente, die modernste Detektoren mit höchster Empfindlichkeit besitzt, sehe ich zum Beispiel den Zucker-Stoffwechsel und erkenne damit bösartige Tumore, die den Zucker vermehrt aufnehmen. In Kombination mit der MRT und ihrem exzellenten Weichteilkontrast ist es somit möglich, bereits Tumoren kleinster Größe zu finden und zu lokalisieren. Damit ist die Möglichkeit gegeben, die Therapie individualisiert zu gestalten. Zudem wird auch die Strahlendosis für den Patienten reduziert, so dass das MR/ PET insbesondere für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wichtig ist. Weitere Anwendungsgebiete sehen wir in der Neurologie, zum Beispiel in der Demenzdiagnostik oder bei Hirntumoren, und in der Kardiologie.

Viele Menschen sterben an Krebs?

Jeder zweite.

Älteren Menschen haben berechtigterweise Angst davor. Wenn ich Ihnen 3.000 Euro auf den Tisch legen würde - machen Sie dann so ein Ganzkörperbild von mir?

Das mache ich nicht. Das wäre eine Screening-Methode, als solche setzen wir in Deutschland PET nicht ein. Wir brauchen einen konkreten Verdacht, eine medizinische Frage und die Zuweisung durch einen Haus- oder Facharzt. Anders ist das mit der strahlungsfreien MRT, die durchaus als Suchmethode eingesetzt werden kann. In Asien gibt es eine andere medizinische Kultur als in Europa, dort wird PET tatsächlich als Suchmethode verwendet.

Viele Krebserkrankungen könnten viel früher erkannt werden.

Das ist so. Aber dann müssten Sie sich alle zwei Jahre hier hineinlegen.

Warum nicht?

Die Frage ist, ob der Nutzen solcher Untersuchungen überwiegt. Man würde den einen oder anderen Tumor früh erkennen, aber man würde aber auch viele Veränderungen entdecken, die am Ende keine Tumoren sind.

Wie beim Brust-Screening.

Oder beim Prostata-Screening mit Tumormarkerbestimmung. Gefundene Veränderungen muss man dann weiter abklären.

Das ist teuer.

Und es führt zu Belastungen der Personen, nicht nur wegen der zusätzlichen Untersuchungen, sondern auch psychisch. Diese Folgen muss man im Vorfeld abklären und abwägen. Wir sind weit davon entfernt, PET als Screening-Methode ohne konkreten klinischen Verdacht einzusetzen.

Man könnte auch Alzheimer-Erkrankungen früher erkennen.

Ja, aber auch hier wird derzeit PET als Screeningmethode abgelehnt. Was hätte das Screening heute auch für eine therapeutische Konsequenz? Es gibt aber Indikationen, bei denen wir MR/ PET-Untersuchungen mit der Frage nach Alzheimer-Demenz machen. Zum Beispiel bei klinisch untypischen Fällen, um eine anders zu behandelnde Erkrankung auszuschließen. Oder als Frühdiagnostik bei unklarer Symptomatik, um damit Behandlungsmöglichkeiten früh einsetzen zu können.

Wie erkennen Sie Alzheimer?

Es gibt typische Funktionsmuster des Gehirns und auch typische Abweichungen hiervon bei Alzheimer-Patienten.

Sie sind im weiten Umkreis die einzige Praxis, die so ein Gerät hat?

Die erste Praxis weltweit.

In welchen Problem-Situationen würde mein Facharzt mich zu Ihnen schicken?

Immer dann, wenn es darum geht, einen Tumorverdacht zu erhärten, die Tumor-Ausbreitung im gesamten Körper festzustellen oder weitere Tumorherde auszuschließen. Mit der Methode lässt sich zudem früh feststellen, ob eine Therapie anschlägt. So kann eine effektive Therapie fortgeführt werden oder auch eine Therapie beendet werden, von der der Patient nicht profitiert.

Sie machen diese Arbeit viele Stunden am Tag - nebenbei haben sie drei kleine Kinder? Sehen die Sie öfter?

Ich arbeite voll. Ich bemühe mich, zum Abendessen und zum Zubettgehen zuhause zu sein. Lieber fahre ich dann später am Abend noch einmal in die Praxis. Mein Mann arbeitet in Teilzeit, wir praktizieren da das umgekehrte Rollenmodell. Teilzeit wäre für mich nicht machbar. Aber am Wochenende haben wir viel Zeit für die Familie.

Wie hoch ist der wissenschaftliche Anteil Ihrer Arbeit?

Ich kann klinische Tätigkeit und Wissenschaft nicht trennen. Wir machen ja angewandte Wissenschaft, bei der wir unsere täglichen Patientenuntersuchungen optimieren und systematisch auswerten.

Wann haben Sie das letzte Mal auf einem wissenschaftlichen Kongress einen Vortrag gehalten?

Jetzt am Wochenende. Davor war ich vor den Sommerferien auf einem Kongress, bei dem weltweit alle zusammenkommen, die sich mit nuklearmedizinischer Diagnostik von Krebs bei Kindern beschäftigen. Einer meiner wissenschaftlichen Schwerpunkte ist die Anwendung und Anpassung der Untersuchungsmethoden bei Kindern. Das war auch Thema meines Vortrags.

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